Bauwerk

Rathaus Premstätten, Neubau
Ederer+Haghirian - Premstätten (A) - 2020

Aufstieg in neuen Schuhen

Einst als Straßendorf entstanden, durchlief Premstätten, südlich von Graz, über die Jahre einige Wandlungen. Jüngster Streich, der dem Markt städtischen Charakter verleihen soll: ein Gemeindehaus – im Rang eines Rathauses. Das Streben nach Prestige ist nur allzu offensichtlich.

2. Mai 2020 - Karin Tschavgova
Nun, das Dorf ist real, wuchs an zur Marktgemeinde Premstätten, die nach der Gemeindezusammenlegung 2015 mehr als 6000 Bewohner zählt. Seine strategisch gute Lage, fünfzehn Kilometer südlich von Graz, mit Anschlüssen an zwei Autobahnen, dem nahe gelegenen Flughafen und einem Freizeitzentrum am Schottersee führte in drei Jahrzehnten zur Ansiedlung großer Industrien und zu erstaunlicher Prosperität, die sich in reger Bautätigkeit ausdrückt. Im Örtlichen Entwicklungskonzept 2009 wurde daher dem weiteren Ausfransen der Siedlungsgebiete in die Felder eine Absage erteilt und wurden Entwicklungsstränge für Industrie und Gewerbe festgelegt. Von einem Grundsatz zum Gelingen territorialer Umwandlung, die Alfons Dworsky und Judith Leitner in ihren „Überlegungen zum Bauen auf dem Land“, formulieren, ist darin nichts zu finden: „Baulich-räumliche Strukturen zu erfassen heißt, den Zusammenhang zwischen Naturraum, Kulturraum, Siedlungssystem und Haus zu erfassen und bei jeder Veränderung eines Teilsystems das Gesamtsystem im Auge zu behalten.“

Historisch gesehen war das Dorf als Straßendorf entstanden: Wohnhäuser als Einzelbauten zur Hauptstraße hin, meist mit dem First parallel dazu, ein großer Innenhof mit Stall und Scheune als Abschluss, dahinter Gärten und Felder. Die Bauern wurden, wie überall, weniger und konzentrieren sich auf Gemüseanbau. Die Neubauten der Post, des Notars, des Bäckers, der zum Cafetier wechselte, des Gastwirts, der um ein Hotel erweiterte, und der obligatorischen Supermärkte stehen bunt zusammengewürfelt an der Hauptstraße, die noch heute die wichtigste Ortsverbindung ist.

Das jüngste Bauvorhaben der Gemeinde, die seit Jahren eine der drei reichsten in der Steiermark ist, war ein neues Gemeindeamt, das – angesichts der Entwicklung ist man geneigt zu sagen: naturgemäß – den Rang eines Rathauses erhalten sollte. Als solches sollte es auch einen angemessenen zentralen Platz einnehmen. So wurde entschieden, ein frei gewordenes Gewerbeareal am Rand des Parks aufzukaufen, das Amt dorthin umzusiedeln und den umliegenden öffentlichen Raum zum Hauptplatz zu erklären. Der Prozess der Planung wurde vorbildlich durchgeführt. Man hatte von früheren Bauvorhaben gelernt und wollte jeden Anschein von Bevorzugung vermeiden. Mit dem Projektmanagement wurde die Bundesimmobiliengesellschaft BIG beauftragt, ein geladener Architekturwettbewerb mit sieben Teilnehmern ausgeschrieben und der Planungsauftrag an die Erstgereihten, das Grazer Büro Ederer Haghirian vergeben, das mit Bauten für die Universitätsklinik Graz bekannt geworden war.

Das Raumprogramm des sieben Millionen teuren Neubaus spiegelt den Wunsch der Gemeinde, das neue Zentrum zu sein. Er vereint auf einer Länge von fünfundvierzig Metern und zwei Etagen, die räumlich und visuell voneinander getrennt sind, die Ämter aller Fachbereiche, die Verwaltung und die Büros des Bürgermeisters, ein Standesamt mit Trauungssaal, einen Klubraum, ein Tourismusbüro und ein Café. Die Ausgestaltung mit großzügigen Foyers und hochwertigen Materialien wie Stein, Parkett, edlem Holz und Polstermöbeln zeugt von Großzügigkeit, aber schafft eine Atmosphäre, die vielen Ortsbewohnern sicher noch länger fremd bleiben wird. Größe und Wirkung des Rathauses stehen für Aufstieg und Repräsentation. Das wird schon am riesigen überdachten Vorbereich zum Haupteingang ausgedrückt, der als offene Gebäudeecke über beide Geschoße ausgebildet wurde und in Zukunft für unterschiedlichste Aktivitäten genützt werden soll. Auch die Neugestaltung des Parks, in dem einige Bäume der Erstbepflanzung gefällt und andere neu gepflanzt wurden, die Fahnenreihe mit den Bannern von der EU bis zum Marktwappen und die Adresse „Hauptplatz 1“ zeugen vom Bedürfnis nach Prestige. In eine neue Dimension eingetreten ist man auch mit dem Ausmaß an befestigten Flächen vor, neben und hinter dem Gebäude. Fünfzig neue Parkplätze an der Rückseite des Gebäudes neben den bestehenden am Rande des Parks widersprechen zeitgemäßen Geboten geringer Bodenversiegelung.

Mit dem Dorf von einst hat das nichts mehr zu tun, auch wenn in einer Projektbeschreibung festgehalten wird, dass das neu errichtete Gebäude dort steht, wo früher kleine Lebensmittelhändler gemeinsam mit der Kirche den Ortskern bildeten. Offensichtlich waren das Erfassen und Aufnehmen von baulich-räumlichen Strukturen des gewachsenen Orts, wie Dworsky und Leitner sie beschreiben, und Einfügung in das Bestehende keine Themen, die in der Projektvorbereitung diskutiert und ausgelotet wurden. Dann hätte auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden müssen, das Gemeindeamt als straßenbegleitende Bebauung an den östlichen Rand des Parks zu setzen und den dadurch lärmgeschützten Park, von der Hauptstraße abgewandt, um das zugekaufte Grundstück zu erweitern. Doch wer wäre dafür zuständig? Der Ortsplaner, die Raumplanung? Wem einen Vorwurf daraus machen, wenn anzunehmen ist, dass die historische Identität der Gemeinde nur noch von Alten und Nostalgikern erinnert wird?

Das Dorf ist aus sich selbst herausgewachsen. Die Schuhe, in denen es nun auftritt, sind etwas zu groß; ganz so, wie Schuhe in alten Zeiten für die Kinder gekauft wurden. Ob der Ort in sein neues Rathaus hineinwachsen wird? In städtische Identität? Sicher ist, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben und grundlegende Transformation des Landes, wie sie im prosperierenden Bezirk Graz-Umgebung im Gange ist, nicht die einzige Herausforderung bleiben wird.

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