Bauwerk

MGG22
Sophie und Peter Thalbauer ZTGmbH, THALERTHALER, Alfred Charamza - Wien (A) - 2019

Die Macht der Masse

Ein neues Energiekonzept macht das Haus zum Energiespeicher. In Salzburg er forscht man, wie Heizen und Kühlen so effizienter funktionieren können. Klar ist: Der Bau und der Energiesektor rücken in Zukunft zusammen.

18. Dezember 2019 - Maik Novotny
Es war kein Zufall, dass Wiens Vizebürgermeisterin Birgit Hebein im heißen Juli die Wohnanlage in der Wiener Mühlgrundgasse auswählte, um die neuen städtischen Maßnahmen der Energieraumplanung zu verkünden. Es ist vor allem ihr Energiekonzept, das die Anlage mit dem Namen MGG22 besonders macht: die thermische Bauteilaktivierung.

Diese basiert auf dem Prinzip des Kachelofens, das heißt: Die Baumasse, die ein Gebäude sowieso hat, wird als Speichermasse zum Heizen und Kühlen verwendet, dafür werden Leitungen in Wand oder Decke verlegt. Der Vorteil ist, dass hier schon geringe Temperaturunterschiede höchst wirksam sind und die Technik ideal mit erneuerbaren Energieträgern wie Wind, Sonne und Photovoltaik kombiniert werden kann.

Die thermische Bauteilaktivierung ist keine neue Erfindung. Im Kompetenzzentrum Bauforschung in Salzburg forscht man schon seit Jahren daran. Die Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) hat bereits 2011 dort den Bau eines Simulationsraums initiiert. Was versprach man sich davon? „Wir haben zu Beginn geschaut, wie wir als Bauwirtschaft einen positiven Beitrag zu den Klimazielen leisten können, und Wind- und Solarenergie als Potenzial identifiziert“, sagt Gunther Graupner, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Bauforschung.

Bis zu sechs Tage ohne Energiezufuhr

Klar war, dass das Thema Speicherung für die Energieeffizienz zentral war. „Die Bauteilaktivierung ist hier ideal, weil massive Gebäude von sich aus eine hohe Speicherfähigkeit haben. Ich komme zwei bis sechs Tage ohne Energiezufuhr aus und liege in den Vorlauftemperaturen auch weit unter denen einer Fußbodenheizung“, erklärt Graupner. Die Solarbranche habe bereits erkannt, dass hier auch für Heizung und Kühlung Potenziale liegen, denn man könne schon bei zwei Grad Unterschied zwischen Kollektor und Raumtemperatur sinnvoll speichern. Eine Grundvoraussetzung ist dabei, dass die Gebäudehülle möglichst dicht und gut gedämmt ist.

Ein weiteres Pilotprojekt ist zurzeit in Wolfsbrunn in Bau. Der Wohnpark Sommerrein wird der erste mehrgeschossige soziale Wohnbau Niederösterreichs mit thermischer Bauteilaktivierung sein, den Strom für die Wärmepumpen mit Erdwärmetiefensonden liefert die EVN aus dem benachbarten Windpark. Die Frage ist: Wird die Bauteilaktivierung über die Pilotprojekte hinaus mehrheitsfähig? Auf jeden Fall, sagt Graupner, denn das Thema Kühlung wird angesichts des Klimawandels immer wichtiger. Der Energieaufwand für ein Grad Kühlung ist dabei viermal so hoch wie der für ein Grad Erwärmung. Jede Technik, die hier sparsam und effizient agiert, ist also höchst willkommen. „Wenn ein Gebäude eine gewisse Eigentemperatur hat, kann die Außentemperatur um 20 Grad schwanken, das interessiert das Haus nicht. Für Klimaresistenz ist das eine gute Voraussetzung. Ein weiterer Vorteil der Gebäudemasse als Speicher ist, dass man so die aktive Kühlung mit Klimasplitgeräten vermeiden kann, die erstens laut sind und zweitens durch ihre Abwärme die Außenluft noch mehr erwärmen.“

Nicht nur im Neubau, auch in der Sanierung wird mit Bauteilaktivierung experimentiert. Bei einem Altbaupilotprojekt in Hallein wurden die Rohre auf der Wandinnenseite ins Mauerwerk eingelegt. Ebenfalls in Hallein wurde ein Nachkriegswohnbau bauteilaktiviert, hier jedoch an der Außenseite. Vorteil: Die Mieter konnten so während der Sanierung wohnenbleiben. Graupner sieht hier Potenzial, etwa bei Gründerzeitwohnungen. Bedingung ist die ausreichende Speichermasse, weswegen die hohlen Betonsteine, die man vor allem in den 1970er-Jahren oft verwendete, sich nicht für die Bauteilaktivierung eignen.

Technologien für Klimaziele

Auch im Gewerbebau ist die Speichermethode schon länger im Testlauf. „Im Grunde haben wir dort mit der Bauteilaktivierung angefangen und die Erkenntnisse im Wohnbau umgesetzt“, sagt Graupner. „In Büros gibt es aufgeständerte Böden und abgehängte Decken, aber selten beides gleichzeitig. Zum Kühlen sind Decken zwar besser geeignet, aber beim Heizen funktionieren Boden und Decke gleich gut.“

Bleibt die Frage, ob und wann sich die Bauteilaktivierung auf breiter Front durchsetzen wird. „Es ist jetzt schon ein Paradigmenwechsel zu bemerken“, konstatiert Graupner. „Die Bauwirtschaft und die Energiewirtschaft rücken enger zusammen, weil Gebäude direkt auf die Spitzen im Tagesablauf reagieren können. Man kann über die Bauteilaktivierung Überschüsse aus dem Stromkreislauf einspeisen und genau die alternativen Energien verwenden, die am jeweiligen Ort gut funktionieren.“ Die VÖZ und die Arge Bauteilaktivierung waren 2018 mit dem Projekt „Energiespeicher Beton“ immerhin für den Staatspreis Umwelt- und Energietechnologie nominiert.

Wenn man die Klimaziele noch erreichen wolle, so Graupner, werde die Politik nicht umhinkommen, einen fixen Anteil alternativer Energien vorzuschreiben – so wie es Wien mit der Energieraumplanung beabsichtigt. „Dann wird die Bauteilaktivierung richtig spannend.“

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