Bauwerk

Niederösterreichisches Landesmuseum
Hans Hollein - St. Pölten (A) - 2002

Zwischen Kunst und Künstlichkeit

Schauplatz Sankt Pölten

Niederösterreich baut sich eine Landeshauptstadt

18. Februar 2003 - Paul Jandl
Jahrzehntelang hat das grösste Bundesland Österreichs keine eigene Hauptstadt gehabt. Seit 1986 ist Sankt Pölten die neue Metropole Niederösterreichs und baut mit grossem architektonischem Engagement an einem Regierungsviertel und einem Kulturbezirk. Vor kurzem wurde ein neues Landesmuseum eröffnet, das der vorerst letzte Schritt der 50 000-Einwohner-Stadt auf dem Weg aus der Provinz ist.

In Niederösterreich herrscht noch Eintracht zwischen Kunst und Natur. Teichmolch und Huchen vertragen sich mit Hermann Nitschs Schüttbild, lebensgrosse kämpfende Hirsche teilen sich das Reservat ihrer endgültigen Bestimmung mit Egon Schiele. Niederösterreichs neues Landesmuseum ist eröffnet, und man zeigt, was man hat: neue Kunst, einen Abriss vom Barock bis zur Moderne und die zoologischen Besonderheiten des Landes. Innen hat jede Sparte ihren vielfach gebrochenen Raum, aussen ragen die wuchtigen Kuben von Hans Holleins Museum in die architektonische Landschaft des Regierungsviertels in Sankt Pölten.

Die Fertigstellung des neuen Landesmuseums ist der vorerst letzte Teil in einem der ehrgeizigsten österreichischen Projekte der letzten Jahre. Weil das flächenmässig grösste Bundesland Österreichs keine eigene Hauptstadt hatte, sondern im zentral gelegenen Wien nur ein paar Verwaltungsgebäude, begann man in den siebziger Jahren mit der Planung eines selbstbewussten Signals. Schon 1984 hat man geahnt, wie man beim Volk am besten für das Grossprojekt wirbt. Wie «ein Gulasch ohne Saft» sei ein Land ohne Landeshauptstadt. Das zwingende Argument hat dem Bundesland heftige Debatten über den Standort der künftigen Metropole beschert. Mit 44,63 Prozent der Stimmen konnte sich die 50 000-Einwohner-Stadt Sankt Pölten gegen andere niederösterreichische Herausforderer wie Krems, Baden, Tulln oder Wiener Neustadt durchsetzen. 1992 erfolgte der Spatenstich zum Bau des neuen Regierungsviertels. Man versprach «Mut zum Grossen» und setzte auf einer Gesamtgrundrissfläche von 220 000 Quadratmetern eine zweite Stadt ans Ufer der Traisen. An 17 Objekten wurden in dieser ersten Phase insgesamt 570 Millionen Franken verbaut. Grösser, so hiess es damals in Sankt Pölten, seien in Europa nur die Hauptstadtprojekte Berlins.


Geplante Leblosigkeit

Gut zehn Jahre nach dem Beginn der Verwandlung der Provinzstadt Sankt Pölten in eine Landesmetropole steht der langgestreckte Riegel neuer Architektur am Ufer der Traisen. Hans Hollein, Klaus Kada, Boris Podrecca und Gustav Peichl waren mit eigenen Bauten an der Realisierung des neuen Regierungs- und Kulturviertels beteiligt. Überragt wird das Ensemble unterschiedlicher Bestimmungen durch den Klangturm von Ernst Hoffmann, der federführend das niederösterreichische Verwaltungszentrum mitentworfen hat. Gebaut zwischen Kunst und Künstlichkeit, zwischen Notwendigkeit und Anmassung, ist das Regierungsviertel heute ein Ort beherzt geplanter Leblosigkeit. Über 3000 Beamte bevölkern tagsüber die Gebäude. Für Bewegung auf den weiten Plätzen sorgen nur die Autobusse, die beinahe leer zu ihren niederösterreichischen Zielen aufbrechen: nach Zwettl, Amstetten oder in die Städte, die im Kampf um den Titel der Landeshauptstadt unterlegen waren.

In noblen Katarakten kräuselt sich das Wasser der Traisen, doch am anderen Ufer stehen die baufälligen Relikte aus etwas weniger modernen Zeiten. So ist Sankt Pölten: ein potemkinsches Dorf des Neuen, in dem auch abseits des Regierungsviertels höchst beachtliche Architektur entstanden ist - von den Wohnhaussiedlungen Helmut Christens bis zum Traisenpavillon von Adolf Krischanitz. Doch neben dem Ehrgeiz einer Sankt Pöltner Moderne steht die Tristesse der jüngeren Vergangenheit. Gesichtslose Sechziger-Jahre- Wohntürme ragen über das flache Terrain der Stadt, deren kleiner Kern umlagert ist von Ausfallstrassen und hart bedrängt von den trostlosen Zeichen der Peripherie.

Sankt Pölten hat das älteste Stadtrecht Österreichs. Gegründet als Römersiedlung, erlebt die katholische Metropole ihre Blüte im Barock. Aus dieser Zeit stammt das Zentrum mit dem Rathausplatz und einigen wenigen Gassen. Auf dem Bischofssitz residiert ein ultrakonservativer Geist, der so wenig Weltoffenheit signalisiert wie alle Klischees, die es über Niederösterreichs Metropole gibt. Zahllos sind die literarischen Bonmots, die die Stadt zum Inbegriff der Provinz erklären. Und während man sich rühmt, wenigstens Rainer Maria Rilke zu Gast gehabt zu haben, gibt es auch hier nur Undank. In Sankt Pölten hat der junge Rekrut Rilke eine «Fibel des Entsetzens» durchlebt - eine Ausbildung in der kaiserlich-königlichen Militär-Unterrealschule. Der Jugendstil- Architekt Joseph Maria Olbrich hat mit dem Bau eines Hauses in Sankt Pölten seine Spuren hinterlassen. Die ehemals grosse und lebendige jüdische Gemeinde Sankt Pöltens gibt es seit den Zeiten nicht mehr, als der Ort «Gauwirtschaftsstadt» war. Heute ist die vorbildlich restaurierte ehemalige Synagoge ein Kultur- und Veranstaltungszentrum.


Ambitionen und Stagnation

Nur wenige hundert Meter vom neuen Regierungsviertel entfernt dämmert das alte Zentrum Sankt Pöltens im süsslichen Nebel des nahen Glanzstoffwerks dahin. Vor einigen Jahren hat Boris Podrecca den Rathausplatz neu gestaltet, rundherum bröckelt jetzt der Putz der alten Substanz. Geschäfte stehen leer, während am Stadtrand Einkaufszentren die ehemals landwirtschaftlichen Flächen zersiedeln. Nur sechzig Kilometer westlich von Wien gelegen, erfährt Sankt Pölten Fluch und Segen seiner verkehrsgünstigen Lage. Man ist schnell dort, ebenso schnell aber auch wieder weg. Und so haben sich alle Prognosen, die mit einem raschen Wachstum der Stadt gerechnet haben, nicht erfüllt.

Zwischen 1870 und 1970 war Sankt Pölten die mit Abstand am schnellsten wachsende Stadt in Niederösterreich. Die Mischung aus Industrie- und Handelszentrum hat ihre Wirkung ausgerechnet bis zu jenem Zeitpunkt getan, als Sankt Pölten zum Zentrum Niederösterreichs erhoben wurde. In den letzten Jahren stagniert die Zahl der Bewohner. Eher geht sie zurück, als sich an jene Vorhersagen zu halten, die für die Gründung einer eigenen Landeshauptstadt Bedingung waren. Dass Sankt Pölten sich wenigstens allmählich in Richtung jener Grösse auswachsen würde, die andere Bundesland-Metropolen wie Graz, Linz oder Salzburg haben, wollte man hoffen. An deren Status anzuschliessen, wird Sankt Pölten kaum jemals gelingen.

Vom sanften Leben der Provinz ist die neue Landeshauptstadt auch durch die Eingriffe der Politik und den Bau des Regierungsviertels nicht abzubringen. Das Land ringsum lebt von Industrie, Landwirtschaft und da und dort von sanftem Tourismus. Sankt Pölten ist die Kulmination dieser unspektakulären Mischung und ebenso solide rechtschaffen wie sie. Als letztes Projekt schliesst das neue Landesmuseum die Einrichtung eines Sankt Pöltner «Kulturbezirks» ab. Gleich daneben arbeitet nicht ohne Erfolg das Festspielhaus, das in erster Linie modernen Tanz zeigt.

Das Land Niederösterreich ist die Summe seiner kulturellen Eigenschaften. Nicht mehr und nicht weniger will das neue Museum seinen Besuchern zeigen. Der Landeshauptmann Erwin Pröll grüsst bedeutsam aus dem 3-D-Video zur Landesgeschichte. Einige wunderbare Stücke aus der Gemäldesammlung des Museums sind zu sehen - von Ferdinand Georg Waldmüllers Landschaftsbildern bis zu Herbert Boeckls «Selbstporträt mit grossem Akt». In der gezeigten Kunst nach 1945 brilliert die Sammlung mit einem Schwerpunkt «Lust und Leiden am Selbst», in dem sich auch einige Exponate des Wiener Aktionismus finden. Der unaufgeregte Aktionismus, der aus Sankt Pölten kommt, sieht anders aus. Die Hirsche stehen stumm.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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