Bauwerk

EXPO.02 - Schweizerische Landesausstellung
Diller Scofidio + Renfro, Extasia, Morphing Systems, Multipack, Coop Himmelb(l)au, Jean Nouvel, GLS Architekten AG - diverse Standorte (CH) - 2002
EXPO.02 - Schweizerische Landesausstellung, Foto: Yves André
EXPO.02 - Schweizerische Landesausstellung © expo.02

Allgemeines Entzücken

Die Expo 02 im Spiegel der deutschen Presse

2. Juli 2002 - Joachim Güntner
Liebe Nationen, hört auf, Weltausstellungen zu machen, inszeniert lieber Landesausstellungen! - Das empfiehlt zwar niemand in der deutschen Presse, aber wenn man dort die Lobgesänge über die Schweizer Expo 02 verfolgt, drängt sich dieser Rat geradezu auf. Wie angestrengt klang vor zwei Jahren alle Begeisterung über die Weltausstellung in Hannover, verglichen mit dem Enthusiasmus, den die deutschen Zeitungen nun der schweizerischen Selbstthematisierung zuteil werden lassen. Die übergreifenden Themen wie «Augenblick und Ewigkeit», «Macht und Freiheit» oder «Sinn und Bewegung» seien nicht nur «weniger simpel gestrickt als bei der Expo Hannover», rühmt der Berliner «Tagesspiegel», sondern würden «mit helvetischer Pfiffigkeit zu ureigenen Devisen verwandelt». Von «geradezu unschweizerischer Leichtigkeit» schwärmen unisono «FAZ» und «Stuttgarter Zeitung».

Kein Blatt versäumt es, Martin Heller, den «bravourösen» künstlerischen Leiter der Expo 02, mit Lorbeer zu bekränzen. Auch wenn Heller nicht die «futuristisch-verträumten Gebilde» seiner gescheiterten Vorgängerin Pipilotti Rist realisiert habe, so sei doch «der architektonische Mut» geblieben und habe zu «grossartigen, eigenwilligen Bauten» geführt, notiert der «Rheinische Merkur». Als wohltuend empfindet es die «FAZ», dass Heller sich nicht als «Volkspädagoge oder sogar als Visionär» geriere. Die Berichterstatterin aus Stuttgart ist gerecht genug, um neben Martin Heller auch Nelly Wenger, die Generaldirektorin, sowie den technischen Direktor Ruedi Rast zu preisen: «Ihre Expo ist weder die von vielen befürchtete Heidi-Schoggi-Matterhorn-Schau mit Jodeln, Fahnenschwingen und Alphornblasen noch eine säuerliche Attacke auf die Schweizer Identität, um diese mit volkspädagogischem Ingrimm als Schimäre zu entlarven.» Unterm Druck der Globalisierung scheinen Identitätsverlangen nicht mehr verpönt. Wenn ohnehin alles in Stücken liegt, weckt zusätzliches Dekonstruieren des Selbstgefühls nur Überdruss. Eine Portion schweizerischen «Neopatriotismus» wollen die deutschen Blätter entdeckt haben, betonen indes, die Expo stille dieses Bedürfnis auf reflektierte Weise, liefere mehr Fragen als Gewissheiten.

Die «Zeit» zieht vor den Organisatoren den Hut, weil sie Niveau gehalten haben: «Sie haben einer Grossveranstaltung einen Anspruch auf Tiefe abgerungen, haben Künstler, Politiker, Sponsoren unter ein Dach geholt, ohne vor den Unterhaltungs- und Werbewünschen zu kapitulieren.» Die «Frankfurter Rundschau» findet die Expo 02 so gelungen, dass sie schon jetzt sicher ist: «Keine Frage, diese Landesausstellung wird nicht die letzte gewesen sein.»

Nur die «taz» bleibt reserviert, schildert von dem, was zu sehen ist, fast gar nichts, hält sich dafür lang bei der Historie der Schweizer Landesausstellungen und den Anlaufschwierigkeiten der gegenwärtigen Expo auf. Erst am Ende möchte man glauben, der Berichterstatter sei leibhaftig in das Drei-Seen-Land zwischen Mittelland und Jura gereist. In einem jähen Anfall von Zustimmung nennt er die idyllischen Naturlandschaften ringsherum «so verführerisch wie» - welch possierliche Analogie - «die zahlreichen, in Uniformen gekleideten Mitarbeiter», reserviert dann aber flugs den Schlusssatz für eine Bemerkung über den «noch immer ziemlich teuren Schweizerfranken». Ohne Geld, das ist leider wahr, macht die Expo keinen Spass.

Ins Superlativische greifen die Kritiker aus, wo sie vom allgemeinen Kommentar zur konkreten Analyse übergehen: bei der Betrachtung der Arteplages. Dank der künstlichen begehbaren Wolke der amerikanischen Architekten Diller & Scofidio biete Yverdon «die spektakulärste Arteplage, inhaltlich wie architektonisch», meint der «Rheinische Merkur». Als «ganz einzigartiges Sinnenspektakel» und «surreale Sensation» hat die «Süddeutsche Zeitung» die Kunstwolke erlebt; vom «aufwendigsten und zugleich poetischsten Vorhaben» schwärmt die «Frankfurter Rundschau». Des Rühmens voll ist «Die Zeit»: «Hier, erhaben über dem See, im Rausch der Weite, lässt sich lernen, was Nuancierung heisst.»

Als zwar weniger poetisch, dafür aber ebenso eindrucksvoll wie aussagekräftig bewegt Jean Nouvels rostender Kubus auf dem Murtensee die Kritiker zu Huldigungen. Mal ist es der Gegensatz zwischen der «perfekt konservierten Museumsstadt Murten» und dem radikal futuristischen Vis-à-vis draussen auf dem See, der sie entzückt, mal die Kombination der Panoramen im Innern des schwimmenden Monolithen: im unteren Geschoss der elektronische Bilderzirkus; in der Etage darüber das restaurierte Schlachtengemälde aus dem 19. Jahrhundert. «Schöner und eindringlicher hätte man die Tradition der Schweizer Landesausstellungen nicht beschwören können als mit dieser im See ausgesetzten doppelgeschossigen Selbstreflexion», urteilt die «Süddeutsche».

Natürlich gestattet sich der beeindruckend geschlossene Chor der Jubler auch das eine oder andere Nörgler-Solo bei den Einzelausstellungen in den zahlreichen Pavillons; es gibt Dissens, ob man Harald Szeemanns Installation zum Thema «Geld und Wert - Das letzte Tabu», wo ein Roboter unermüdlich echte 100-Franken-Scheine zerfetzelt, altbacken und bieder oder tatsächlich klug nennen soll. Aber derlei wirkt eher als Demonstration, dass man das Kritikermetier sehr wohl nach beiden Seiten hin beherrscht - und stört im Übrigen nie die hymnischen Töne.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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