Bauwerk

REHAB Basel
Herzog & de Meuron - Basel (CH) - 2002
REHAB Basel, Foto: Margherita Spiluttini
REHAB Basel, Foto: Margherita Spiluttini

Ein Stück Japan am Rande Basels

Das Rehabilitationszentrum von Herzog & de Meuron

9. April 2002 - Hubertus Adam
In den USA bietet beinahe nur noch das Bauen für kulturelle Institutionen ein Betätigungsfeld für ambitionierte Architekten. So weit ist es in Europa noch nicht gekommen, doch auch hier lässt sich mehr und mehr beobachten, dass bestimmte Bauaufgaben nur noch an spezialisierte Fachplaner vergeben werden - handle es sich nun um Shopping Malls, Kraftwerke oder Krankenhäuser. Im Bereich des Gesundheitswesens ist diese Tendenz besonders bedenklich. Gewiss geht es zunächst um die Optimierung medizinischer Versorgung, doch oft bleibt ausser acht, dass ein sorgsamer Umgang mit dem Raum, den der Patient vorübergehend bewohnt, für das Wohlbefinden und für den Heilungsprozess nicht unerheblich sein dürfte. Architektonische Qualität aber ist im Verständnis vieler Klinikleitungen immer noch eine Quantité négligeable.

Dass es auch anders geht, zeigt der von Herzog & de Meuron entworfene Neubau des Schweizerischen Paraplegikerzentrums REHAB im Nordwesten der Stadt Basel. Im Bereich des Burgfelderhofs, unmittelbar an der Grenze zu Saint- Louis, war schon 1967 ein Baukomplex entstanden, der indes mit seinen Vier- und Sechsbettzimmern sowie dem beschränkten Raumangebot für therapeutische Anwendungen nicht mehr den heutigen Ansprüchen an eine Rehabilitationseinrichtung entsprach. Eine Hauptforderung der Bauherrschaft bei dem 1998 ausgeschriebenen Wettbewerb lautete daher, der Neubau solle nicht wie ein Spital aussehen. In der Tat sind nicht die im engeren Sinne medizinischen Leistungen Schwerpunkt des REHAB, sondern oft langwierige Therapien, welche die - zumeist durch Unfälle in Mitleidenschaft gezogenen - motorischen und sensitiven Fähigkeiten der Patienten weitestmöglich wiederherstellen sollen.


Abschied von der Typologie

Damit standen die Architekten vor der Aufgabe, die klassische Krankenhaustypologie mit ihrer Trennung von Behandlungstrakt und Bettenhaus sowie der monotonen Reihung von Zimmern entlang zentraler Flure zu verlassen und ein eigenes Organisationsmodell zu entwickeln. An die Stelle des Nebeneinanders trat das Übereinander: Im Erdgeschoss des 120 Meter langen und 90 Meter breiten Komplexes befinden sich die Behandlungsbereiche, darüber die 5 Stationen mit insgesamt 84 Betten; ein mittig aufgesetztes drittes Geschoss umfasst neben Rekreationsbereichen und Mediathek Hotelzimmer für Besucher sowie Räume, in denen vor der Entlassung stehende Patienten das selbständige Wohnen einüben können.

Von weitem erscheint das Rehabilitationszentrum als breit gelagertes Volumen. Schmale Rundstäbe aus Eichenholz bilden die äusserste Schicht der Fassade; sie dienen als Brüstungselemente für die den Patientenzimmern im Obergeschoss vorgelagerten Terrassen, übernehmen im Erdgeschoss aber auch die Funktion von Brises- soleil. Durch leuchtende Plexiglasperlen miteinander verbunden, fügen sie sich - mal dichter zusammentretend, mal weiter auseinander gerückt - zu einer die Horizontalität des Komplexes unterstreichenden, filigranen Allover-Struktur. Obwohl das Stabwerk durchaus die Kubatur des Gesamtvolumens betont, entsteht der Eindruck einer pavillonartigen, fast japanisch anmutenden Leichtigkeit. Die Rundholzstäbe prägen auch die aus dem Gesamtvolumen ausgeschnittenen, aber sich nach aussen öffnenden Höfe. Im Eingangshof wurden die Stangen horizontal verwendet, während sie im unbetretbaren Wasserhof und im holzbeplankten Therapiehof in zwei Schichten im unregelmässigen Rhythmus vertikal versetzt wurden und als Führungsschienen für die Sonnenstoren dienen. Ermöglicht es der vierte Hof den Patienten, über eine Rampe ins Freie zu gelangen, so wird der fünfte vollständig von einer expressiven Betonskulptur ausgefüllt. Das als polygonal verzerrte Pyramide geformte und aussen mit einer schwarzen Plastic-Haut überzogene Therapiebad wirkt wie ein massiger Felsblock inmitten eines räumlichen Kontinuums. Die Betonschale ist dergestalt von runden Öffnungen durchbrochen, dass im Halbdunkel des Baderaums das Bild des Sternenhimmels in Erinnerung gerufen wird.


Ordnung und Abweichung

Die fünf Höfe, die von dem in der Mitte des Komplexes gelegenen, opulent dimensionierten Erschliessungsbereich einsehbar sind, lassen sich nicht nur spezifisch nutzen, sondern trennen auch die einzelnen Funktionsbereiche im Erdgeschoss (Therapien, Physiotherapie, medizinische Station, Tagesklinik, Verwaltung). Obwohl nämlich das REHAB zunächst wie ein faszinierendes, lichtdurchflutetes Labyrinth aus Höfen und Raumfolgen wirkt, ist es streng logisch organisiert. Das wird auch im Obergeschoss deutlich.

Insgesamt fünfzig auf fünf Stationen verteilte Zimmer, denen eine durchgehende Terrasse vorgelagert ist, bilden den äusseren Kranz, während sich Versorgungs- und Personalbereiche zum Inneren hin orientieren. Dabei ist jeder Station ein weiterer Lichthof zugeordnet. Folgen die fünf grossen Höfe ebenso wie die Patientenzimmer der Orthogonalität der Gesamtform, so sind die kleinen Lichthöfe polygonal geschnitten und im Erd- und Obergeschoss unterschiedlich dimensioniert. Es ist gerade die Kombination von Regelmässigkeit und Unregelmässigkeit, welche den Reiz des Gebäudes ausmacht - schon im Foyer weist die nicht durch einen Raster begründete Positionierung der Stahlstützen des Tragwerks darauf hin, dass es den Architekten eher um Abweichung und Individualisierung als um Regelmässigkeit ging.

Ungewöhnlich sind auch die Zimmer, die mit den üblichen sterilen Räumen nichts mehr gemein haben. Bäder in starken Farben, die über eine Lichtkuppel belichtet werden, und geschwungene hölzerne Decken, die sich in die Überdachung der Terrasse fortsetzen, bestimmen das Raumkonzept. Das beeindruckendste Element aber stellen die grossen transparenten Lichtkugeln dar: Auf dem Dach liegend und zum Teil in das Zimmer hineinragend, gewähren sie - gleichsam überdimensionale Augen - den ans Bett gefesselten Patienten den Blick auf das Blau des Himmels. Hier spürt man die Natur und den Wechsel der Jahreszeiten aber auch dank der Freiraumplanung des Landschaftsarchitekten August Künzel. Gartenbereiche sind den Funktionsbereichen im Inneren des Gebäudes zugeordnet, und im Eingangshof werden Nutzpflanzen gezogen. Das Rehabilitationszentrum ist vielgestaltig, eine kleine Stadt mit Häusern und Gärten - introvertiert, aber nicht hermetisch; offen, aber nicht exponiert.

Herzog & de Meuron gelang mit dem massgeblich von Christine Binswanger betreuten REHAB ein Massstäbe setzender Bau, funktional hervorragend gegliedert und von grosser ästhetischer Eindringlichkeit. Fast beiläufig werden einige der von Herzog & de Meuron immer wieder berührten Themen aufgegriffen: Orthogonalität und Abweichung, Repetition und Differenz, Transformation des Materials, Integration der Natur. In der an architektonischen Preziosen nicht armen Basler Kulturlandschaft stellt das REHAB ebenso einen Höhepunkt dar wie im Œuvre des von Erfolg zu Erfolg eilenden Büros Herzog & de Meuron. Dass trotz der architektonischen Qualität durch Verzicht auf teure Materialien die Kosten pro Bett deutlich niedriger ausgefallen sind als in konventionellen Neubauten, sollte anderen Auftraggebern zu denken geben.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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