Bauwerk

Altamira-Museum
Juan Navarro Baldeweg - Santillana del Mar (E) - 2001

Streng architektonische Inszenierung

Das Altamira-Museum von Juan Navarro Baldeweg

14. November 2001 - Klaus Englert
Als der spanische Dichter Rafael Alberti vor den Felsmalereien in der Altamira-Höhle stand, wähnte er sich im «schönsten Heiligtum der gesamten spanischen Kunst. (. . .) Es kam mir vor, als ob die Felsen brüllten. Ich sah wilde und ruhende Bisons, in Rot und Schwarz, in Herden vereint und glänzend durch eintretendes Wasser.» Wie der vom «Schaudern der Jahrtausende» ergriffene Alberti waren auch die Maler der Moderne gebannt von den Hirschen, Pferden und Rindern, die der paläolithische Künstler vor über 14 000 Jahren in der Höhle verewigte. «Niemand von uns ist in der Lage, so zu malen», hatte selbst Picasso ausgerufen.

Da die archaischen Tierdarstellungen zum spanischen Nationalschatz zählen und als Weltkulturerbe unbedingten Schutz verlangen, sind sie seit kurzem dem breiten Publikum nur noch in einer originalgetreuen Reproduktion der Restauratoren Matilde Muzquiz und Pedro Saura zugänglich. Diese befindet sich in der «Neocueva», einer vom spanischen Architekten Juan Navarro Baldeweg nachgebildeten Höhle unweit der ursprünglichen Altamira-Höhle im kantabrischen Santillana del Mar. Für die Besucher hat dies den unschätzbaren Vorteil, dass sie sich für eine Besichtigung nicht mehr dreissig Monate im voraus anmelden müssen. Und dass sie nun die Zeichnungen und Malereien ohne die hinterlassenen Spuren unzähliger Touristen bewundern können.

Neben der «Neocueva» ist aber auch Juan Navarros Museumsneubau eine Augenweide: Die terrassenförmige Konstruktion und die zurückhaltenden Ockertöne der Fassade passen sich der Hügellandschaft an. Der Madrider Architekt hat dieses Gebäude, das neben der Höhlenkopie ein archäologisches Museum, eine Bibliothek, eine Restaurierungswerkstatt, einen Verwaltungstrakt und ein Café umfasst, im Sinne einer «architecture parlante» interpretiert - als eine «geologische Tektonik». Navarro, der auch das «Museo de la Evolución Humana» bei der Atapuerca-Höhle (Burgos) bauen wird, gelang es in Altamira, die Innenarchitektur durch den immateriellen Lichtzauber zum Schweben zu bringen. Die Ausstellungsräume bestechen durch raffiniert gestaltete Oberlichtbänder. Ein visuelles Erlebnis ist die Bibliothek: Sie ist in wohldosiertes natürliches Licht getaucht und gibt durch eine verglaste Trennwand den Blick auf das schwarze Felsgestein der «Neocueva» frei, das an zahllosen Stahlseilen aufgehängt ist und wie ein Bühnenbild wirkt. Dieser Bezug zur Bühne ist durchaus von Navarro beabsichtigt, da er dem Besucher keineswegs weismachen will, er befinde sich in der wirklichen Höhle. Mit einem «Höhlen-Disneyland», wie es ein Kritiker von «El País» befürchtete, hat das neue Gebäude allerdings nichts gemeinsam, eher mit einer Inszenierung, die sich streng architektonischer Mittel bedient.

Die Museumsdirektion wies darauf hin, dass man sich im Einverständnis mit Navarro darauf geeinigt habe, aus dem «international bekannten Juwel der Menschheitskunst» keinen Themenpark zu machen. Dagegen wolle man angrenzende Häuser für Wechselausstellungen nutzen und die Umgebung der Höhle mit Bäumen und Sträuchern bepflanzen, die zur Zeit des paläolithischen Künstlers hier wuchsen. Ein anspruchsvolles Ziel zur Bewahrung der «Sixtinischen Kapelle des Paläolithikums».


[Das Altamira-Museum in Santillana del Mar ist dienstags bis sonntags geöffnet. Vorverkauf: Tel. 0034/902-112211.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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