Bauwerk

Fondation Pinault
Tadao Ando - Paris (F) - 2006

Traumtanz-sur-Seine

Tadao Ando baut die Fondation Pinault bei Paris

3. November 2001 - Marc Zitzmann
Der japanische Architekt Tadao Ando soll bis 2006 im Auftrag von François Pinault auf der Ile Seguin bei Paris ein Kunstmuseum erbauen. Der französische Milliardär möchte dort auf über 30 000 Quadratmetern seine Privatsammlung präsentieren.

Ende des 19. Jahrhunderts unterhielten etliche der reichen, reifen Männer vom Pariser Jockey-Club eine Tänzerin. Sei's, dass die Schönheitschirurgie bei ihren Gattinnen Wunder bewirkt, sei's, dass indiskrete Photoberichte in der Regenbogenpresse bei den Aktionären nicht gut ankommen oder die Verlockungen des Ewigweiblichen im Zeitalter der virtuellen Instant-Erfüllungen verblasst sind: Am Anfang des 21. Jahrhunderts sind die reichen, reifen Männer des «CAC 40» der Ballerinen müde geworden. Ihre mehr oder minder uneigennützigen Investitionen in Projekte jedoch, welche nicht in erster Linie Gewinne abwerfen müssen, werden in Frankreich nach wie vor mit dem Wort «danseuse» bezeichnet. Da die meisten Wohltätigkeitsorganisationen fest in der Hand von Politikergattinnen sind und «charity» ohnehin weder glamourös noch sexy ist, stecken die reifen, reichen Männer ihre Überschüsse lieber in Kunst & Kultur. Das Nonplusultra ist dabei, eine nach einem selbst benannte Stiftung zu gründen. Ein Milliardär ohne eigenes Museum ist ein armer Tropf.

François Pinault ist nun bestimmt kein armer Tropf. Zum einen rangiert der Chef des Pinault-Printemps-Redoute-Konzerns mit einem geschätzten Vermögen von 6,3 Milliarden Dollar laut dem amerikanischen Magazin «Forbes» heuer nach der L'Oréal-Erbin Liliane Bettencourt und seinem Erzrivalen Bernard Arnault (LVMH) in Frankreich auf Platz drei. Zum andern wird er Ende 2006 ein eigenes Museum haben. Und zwar nicht irgendeines. Mit 32 000 m 2 Nutzfläche soll die «Fondation d'art contemporain François Pinault» halb so gross sein wie das Centre Pompidou - nur dass dieses neben dem staatlichen Museum für moderne Kunst (14 000 m 2 Ausstellungsfläche) noch andere grosse Institutionen beherbergt. Errichten wird den rund eine Milliarde Francs teuren Bau der japanische Architekt Tadao Ando, der nach einem ausgeschriebenen Wettbewerb Konkurrenten wie Rem Koolhaas, Dominique Perrault und MVRDV ausgestochen hat.

Die etwa tausend Exponate, die aus Pinaults seit seinem allerersten Kauf (einem Gemälde von Sérusier, 1972) mit einem gewaltigen finanziellen Crescendo zusammengetragener Sammlung ausgewählt werden sollen, beeindrucken mit grossen Namen. Obwohl über die Kollektion nur wenig bekannt ist, gilt Pinault - nebenbei auch Besitzer des Auktionshauses Christie's - heute als Frankreichs erster Privatsammler von Kunst seit 1945. Laut der französischen Presse besitzt er Werke von Künstlern wie Brancusi, Barney, Calder, Cattelan, Fautrier, Flavin, Giacometti, Hirst, Klein, Modigliani, Nauman, Pollock, Rothko, Ryman, Sherman, Soulages, Sugimoto, Twombly, Viola, Warhol; dazu Monumentalskulpturen von Chillida, Miró, Moore, Picasso und Serra sowie Meisterwerke wie Degas' «Petite danseuse de quatorze ans» (1881), De Koonings «January 1st» (1956), einen Mondrian von 1925 und einen Rauschenberg von 1955.

Errichtet werden soll das Museum auf dem jüngst für 100 Millionen Francs erstandenen Drittel der in einer Seineschleife drei Kilometer südwestlich von Paris gelegenen Ile Seguin. Diese Insel, von deren elf Hektaren drei für die Stiftung, vier für einen Park und der Rest für eine «Cité scientifique» mit Wohn- und Bürogebäuden vorgesehen sind, gehörte wie rund 60 Hektaren südlich des Bois de Boulogne dem Automobilhersteller Renault. 1992 hat dieser seine historischen Fabriken geschlossen und steht nun im Begriff, den Grossteil seines dortigen Grundbesitzes zu verkaufen. Jahrelange Diskussionen über das Werden des einstigen «Sing-Sing der Proletarier», der sozialgeschichtlich bedeutsamen, aber erstaunlicherweise nicht denkmalgeschützten Ozeanriesen-artigen Fabrikgebäude auf der Ile Seguin, finden so wohl ihren Abschluss (NZZ 26. 3. 99). Mit der Abwicklung des Architekturwettbewerbs war François Barré betraut worden, der frühere Directeur de l'architecture et du patrimoine im Kulturministerium; der zukünftige Direktor des Museums soll eine dem Leiter des Musée d'art moderne de la Ville de Paris vergleichbare Statur aufweisen, einer Institution von Weltrang, mit der die Stiftung konkurrieren möchte.

Freilich: in architektonischer Hinsicht wirkt das Wenige, was man über die unterlegenen Entwürfe von Koolhaas und MVRDV weiss, weit aufregender als das letzte Woche mit grossem Trara vorgestellte Modell von Ando. Der Pritzkerpreisträger bewegte sich mit seinen Bauten und Projekten in den letzten Jahren ohnehin oft am Rande des minimalistischen Edelkitsches. Planten die Niederländer, mit dem Museum die Dichotomien zwischen Tag und Nacht sowie zwischen Ausstellungsfläche und Reserve auszureizen (Koolhaas) beziehungsweise es als einen die Symbiose von Dienstleistungs- und Ausstellungsbetrieb vollziehenden urbanen Kunst-Raum auf seine Umwelt hin zu öffnen (MVRDV), so liefert der Japaner einen klassisch-musealen Bau. Funktional ist er streng in drei Schichten aufgeteilt: zuunterst ein Sockel für die Verwaltung und die Bücherei, darüber ein verglaster «japanischer Garten» für Wechselausstellungen (7000 m 2) und schliesslich die Sammlungsräume (15 000 m 2) mitsamt zwei Dachgalerien, die an den die Londoner Tate Modern krönenden Glaskörper von Herzog & de Meuron erinnern. Stromlinienförmig folgt der dreieckige Bau dem Umriss der Inselspitze, einem Ozeanriesen aus durchsichtigem, geschliffenem und granuliertem Glas gleich, in dem sich der Fluss spiegeln soll. Für die nächtliche Beleuchtung wird möglicherweise James Turrell verantwortlich zeichnen.

Doch auch wenn dereinst vor der Stiftung wie vor dem Guggenheim-Museum in Bilbao ein monumentales Werk von Jeff Koons stehen sollte (Pinault hat letztes Jahr dessen blumenbewachsenen Pferde-/Dinosaurierkopf «Split-Rocker» erworben), muss man schon etwas verwirrt sein, um den Bau - wie jüngst die Architekturkritiker von «Le Monde» - mit einem freudschen Verschreiber, der womöglich im kulturtouristischen Neid auf die «guggenheimisierte» Baskenstadt gründet, als eine «Fondation Gehry» (sic) zu bezeichnen. Denn mit den wilden Titanwogen des Kaliforniers hat die brave Traumschifftorte des Japaners nun wirklich nichts gemein. Wie Pinaults «danseuse» dereinst an der Seine tanzen wird, das weist sich erst 2006 . . .

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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