Bauwerk

World Trade Center
Minoru Yamasaki Associates, Inc., Emery Roth & Sons - New York (USA) - 1972
World Trade Center © Minoru Yamasaki Associates
World Trade Center © Minoru Yamasaki Associates

Den Stadtraum beherrschen

Das World Trade Center war ebenso sehr Metapher wie massiver Bau, finanzielles wie phallisches Projekt - und damit eine ideale Zielscheibe.

13. September 2001 - Michael Freund
„Wolkenkratzer bauen kommt in Friedenszeiten einem Krieg am nächsten.“ W. Starrett, Skyscrapers & the Men Who Build Them, 1928 „Das World Trade Center ist ein lebendes Symbol dafür, dass sich die Menschheit dem Welt- frieden widmet.“ Minoru Yamasaki, Architekt des WTC, 1974


Selbst in dem an Superlativen gesättigten New York hatte der Wolkenkratzer eine Ausnahmestellung. Zahlen allein können nicht ermessen, wofür er stand. Am World Trade Center kristallisierten sich Anmaßung und Durchsetzungswille von Planern, Liebe und Hass gegenüber dem Urbanen wie an wenigen anderen Gebäuden der letzten Jahrzehnte. Die finanzielle wie die phallische Dimension, die ästhetischen wie die allegorischen Wirkungen dieses Baus konnte man ahnen, wenn man davor stand. Klarer wurden sie, wenn man den Blick von weiter weg auf die beiden Türme warf - sei es aus der Entfernung einiger Kilometer, wenn sie alles um sich herum schrumpfen ließen und monoman den Stadtraum beherrschten, sei es aus dem Kontext der Geschichte dieses Kolosses.

Mit dem Bau des WTC sollte viel bewiesen werden. Seit den 50er-Jahren gab es die Idee, dem bis dahin höchsten Gebäude der Stadt etwas entgegenzusetzen. Dieses war nach dem Staat New York, dem Empire State, benannt und stand am Rand von Midtown, dem Geschäftszentrum von Manhattan. Das neue sollte das Finanzzentrum ganz im Süden beherrschen, natürlich höher sein - taller is better - und sozusagen nach der ganzen Welt benannt werden. Nach langwierigen Grundstück-Deals mit den Rockefellers entschieden sich die Bauherren für einen Platz am Rande des Hudson, und 1969 begann der Bodenaushub.

Die Erde und der Felsen, die Platz machen mussten, wurden in den Strom gekippt, dorthin, wo vorher der Hafen der Stadt verfallen war: Statt des ehemaligen Handelsplatzes schuf man mit faustischer Geste zehn Hektar neues Land und besetzte es mit riesigen WTC-Satellitenbauten. Vorher aber wuchsen die Zwillingstürme in die Höhe, so schnell, dass man ihnen buchstäblich dabei zusehen konnte: Die Verantwortlichen führten vor, dass der Bau eines Wolkenkratzers eine militärisch organisierte Logistik verlangt, und kaum zuvor wurden so viele Kubikmeter so schnell und, wie es bis vorgestern schien, so sicher in den Raum gesetzt wie mit diesem „Welthandelszentrum“.

Seine schiere Präsenz fachte die Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Wolkenkratzern an und erdrückte sie quasi zugleich. Schon vorher hatte man darüber gestritten, ob die Gebäude ab einer gewissen Höhe sich überhaupt noch rentierten, und tatsächlich trat dies nur ein, wenn die Grundstücke günstig, die Büros vermietet und die Mieten hoch waren. Doch auch wenn dies nicht der Fall war: Sie standen nun mal da und erfüllten noch andere, weniger rationale Anforderungen.

Mit very tall buildings konnten sich Bauherren ein deutlich herausragendes, womöglich noch nach ihnen (Chrysler, Seagram, Rockefeller etc.) benanntes Monument leisten. Eine feministisch inspirierte Kritik setzte an diesem Aspekt an und brauchte nur die Nebenwirkungen der Bauten auf Licht und Mikroklima in der Umgebung, auf Infrastruktur und Verkehrssituation zu addieren: Das Gesamtimage eines lebensfeindlichen Bauprinzips ergab sich wie von selbst.

Andererseits ist die Freude der New Yorker über Superlative nicht zu unterschätzen. Als das World Trade Center 1974 417 Meter hoch da stand, definierte es nicht nur die Skyline der Stadt neu. Es gehörte sehr bald zum Identitätsbaukasten ihrer Bewohner. Der Autor diese Zielen lebte damals in New York, als die Architekturkritik sich bemühte, dem gigantischen Zweckbau einen ästhetischen Zusatznutzen abzugewinnen: Als „gotisch“ wurden die seltsamen Spitzbögen im untersten Zehntel gewürdigt, und in dem öffentlichen Raum zwischen den Türmen wähnte man etwas „San-Marco-haftes“ wie in Venedig. Quatsch, hatte Frank Lloyd Wright Jahrzehnte vorher gesagt: „Wolkenkratzer haben kein höheres Ideal als den geschäftlichen Erfolg.“

Wie auch immer, die symbolhafte Aufgeladenheit des Baus regte die, die unter ihm lebten, zu extremen Aktionen an. Kaum standen die Türme, balancierte der französische Seiltänzer Philippe Petit vom einen zum anderen, und drei Jahre später kletterte George Willig aus Brooklyn entlang den senkrechten Schienen an der Außenwand bis zum 110. Stock. Beide wurden verhaftet, aber beide hatten die Sympathien der New Yorker, die wieder einmal die Chuzpe in ihrer Stadt bewiesen sahen. Die Kampagne für Willig war so nachdrücklich, dass der auf 750.000 Dollar verklagte Mann schließlich mit 1,10 Dollar Strafe davonkam - einen Cent für jeden Stock . . .

Erst durch den Bombenanschlag 1993 merkte man, dass die Hybris aus Größe, Massivität und „Welthandels“-Anspruch zur Zielscheibe geworden war. In einem Krieg um Symbole hätten sich die Gegner am vergangenen Dienstag kein besseres Objekt aussuchen können.

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