Bauwerk

BTV Bürogebäude
Johann Obermoser, reitter_architekten - Innsbruck (A) - 2002
BTV Bürogebäude, Foto: Günter Richard Wett
BTV Bürogebäude, Foto: Günter Richard Wett

Schiefer, der Musik macht

Die Vorgaben waren rigoros, sowohl in bezug auf die Kosten wie auch in bezug auf die Nutzungsqualitäten. Johann Obermoser und Helmut Reitter brachten bei der Innsbrucker Zentrale der Bank für Tirol und Vorarlberg hohe Dichte und atmosphärische Großzügigkeit unter einen Hut - mit einem städtebaulichen Trick.

1. Februar 2003 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die Gegend ist ziemlich unwirtlich, aber das Gebäude kann sich gerade in diesem Umfeld und trotz der problematischen Umfeldbedingungen wirklich sehen lassen. Die Tiroler Architekten Johann Obermoser und Helmut Reitter haben hier, am Langen Weg in der Innsbrucker Reichenau, das neue, wenn auch nur „temporäre“ Domizil der Zentrale der Bank für Tirol und Vorarlberg errichtet. Gleich daneben: Innsbrucks meist befahrene Kreuzung. Und daher: viel, viel Lärm und keine gute Luft. Und doch merkt man drinnen im Haus praktisch nichts davon.

Das Haus hat eine Vorgeschichte. An sich war die Zentrale der BTV bisher in der Innsbrucker Innenstadt. Und zwar in einem beziehungsweise eigentlich mehreren Altbauobjekten, die miteinander verbunden sind. Dieser Unternehmenssitz bedurfte nun dringend der Sanierung. Das Problem war: Wohin in der Umbauzeit? Als Lösung bot sich das Grundstück am Langen Weg an. Erstens, weil es der Bank bereits gehörte, und zweitens, weil sich gleich im Anschluß eine Dependance des Unternehmens befindet. Architektonisch attraktiv ist diese Zweigstelle mit ihrer Waschbetonfassade zwar nicht, aber hier zwischen Alt und Neu eine Verbindung herzustellen, die womöglich auch dem „Alt“ etwas bringt, lag irgendwie auf der Hand.

Man griff zum Mittel des Wett-bewerbs, um Lösungsvorschläge zu erlangen. Dabei waren die Vorgaben relativ rigoros - und zwar sowohl hinsichtlich der zulässigen Kosten als auch in bezug auf die Nutzungsqualitäten. Es sollte ein Low-Budget-Projekt sein, denn die Bank will selbst ja nur während der drei Jahre Umbauzeit für den Altbau dort bleiben, danach soll das neue Haus verwertet werden. Das hatte natürlich auch innenräumlich gewisse Konsequenzen. Denn es wurden zusammenhängende Büroflächen einer bestimmten Größenordnung - zwischen 250 und 300 Quadratmetern - gebraucht. Es hatte aber auch Folgen für die technologische Seite des Gebäudekonzepts: High-Tech-Lösungen waren nicht gefragt, man wollte vielmehr ein Haus, das zwar flexibel, aber auch leicht zu handhaben ist.

Johann Obermoser und Helmut Reitter haben mit ihrem Vorschlag diesen Bedingungen optimal entsprochen. Denn er bringt die erstaunlichsten Gegensätze wie selbstverständlich „unter einen Hut“. Es war große Dichte gefragt, natürlich wollte der Bauherr sein Grundstück optimal ausnutzen. Es war aber auch Großzügigkeit gefragt, das architektonisch-räumlich Besondere. Auch in Innsbruck stagniert der Büroflächen-Markt. Die Nachfrage steigt nicht, es herrscht eine Art Verdrängungswettbewerb, den derjenige für sich entscheidet, der bei „üblichen“ Preisen mehr bietet. Nicht zuletzt ging es aber auch um die atmosphärischen Qualitäten, um die ganz pragmatischen Arbeitsbedingungen im Haus. Es sollte hell und freundlich und offen sein, es sollte klimatisch funktionieren, und vor allem sollten der Lärm und die Abgase des Verkehrs vor der Haustür möglichst draußen bleiben.

Die Königsidee von Obermoser und Reitter ist eigentlich städtebaulicher Natur. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Wettbewerbsteilnehmern haben sie ihr Gebäude nicht entlang der Straße entwickelt, sondern in zwei Einheiten geteilt, die nun im rechten Winkel zum Straßenverlauf stehen. Und über diese beiden Büro-Baukörper und bis hinüber zum anschließenden Altbau haben sie eine vereinheitlichende zweite Haut gezogen, sodaß zwischen den beiden Bürotrakten ein großes überdachtes Atrium mit 19 Metern Spannweite entsteht und zum Altbau hin noch ein zweites, kleineres mit sieben Metern Spannweite.

Klar, daß unter solchen Voraussetzungen die Bürogeschoße selbst relativ dicht genutzt werden können. Das fällt gar nicht auf, atmosphärisch ist das nicht wirksam. Denn jeder, der hier arbeitet, hat ja ständig die räumliche Großzügigkeit dieser - übrigens nicht mit Glas, sondern mit einer sehenswerten Leimbinderkonstruktion überdachten - Atrien vor Augen. Das mit der Großzügigkeit ist aber wörtlich gemeint. Die beiden Bürokomplexe sind nämlich so transparent, daß sich immer Durchblicke ergeben, die über das eigene Territorium hinausweisen. Und das vermittelt erfreuliche Weltoffenheit.

Beim Rundgang durch das Haus hat mir eine kleine Nebenbemerkung des Direktors der BTV gezeigt, daß der Eindruck, jeder einzelne, der hier arbeitet, wisse dieses räumliche Konzept zu schätzen, nicht bloß Wunschprojektion eines Besuchers ist. Zwischen den beiden Bürokomplexen wird die Verbindung geschoßweise mit Brücken hergestellt, die auch als „Pausenflächen“ genutzt werden. Und zwischen den einzelnen Geschoßen gibt es dann kurze, eher „interne“ Treppenverbindungen, aber auch eine „große“, mehr öffentliche Treppenlösung. Der Direktor sagt, seine Mitarbeiter benutzen fast ausschließlich die „große“ Treppe, weil sie sich einfach nicht selbst um die Freude des räumlichen Erlebnisses im Atrium bringen wollen.

Dieses Atrium basiert auf einem geradezu genialen Trick, den übrigens auch schon Dieter Henke und Marta Schreieck beim Sowi in Innsbruck angewendet haben: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Und bei der BTV (wie schon beim Sowi) ist der Innenraum ein Außenraum, obwohl er doch ein Innenraum ist.

Es geht dabei um brandschutz-behördliche Auflagen. Wären die beiden Büro-Baukörper nicht wirklich eigenständige Komplexe mit eigenen, geschlossenen Fluchtwegen, dann würden die Atrien nicht als Außenräume gelten. Und dann wäre es notwendig gewesen, die äußere, gläserne Gebäudehülle mit Brandschutzgläsern zu versehen. Allerdings hätte das niemand finanziert. Das gesamte Projekt wäre daran gescheitert.

Das große, zentrale Atrium erfüllt neben seiner alltäglichen Funktion als Erlebnisraum für die Mitarbeiter und Kunden auch noch eine zweite Aufgabe. Hier werden - wenn schon nicht allabendlich, so doch zwei, dreimal die Woche - kundenorientierte Veranstaltungen durchgeführt. Dafür gibt es einen eigenen, nicht auf Straßenniveau, sondern höher gelegenen Bereich, der zur verglasten Gebäude-rückseite (und auf einen „Garten-bereich“, denn ein Bauer hat partout einen ganz schmalen Streifen Acker nicht verkaufen wollen) orientiert ist. Diese räumliche Differenzierung zwischen eigentlichem Entree und „Veranstaltungsbereich“ ist im Material, etwa des Bodens, mitvollzogen. Im Entree selbst geht man auf Sandstein, dahinter, im Veranstaltungsbereich, liegen minutiös verfugte Eichenbretter, ein richtiger Schiffboden.

Überhaupt sind die Materialien, die Oberflächen es wert, daß man sie bewußt wahrnimmt. Es gibt aber nur eine begrenzte Vielfalt. Also nicht die ganz minimalistische Materialeinheit, aber auch keine allzu opulente oder barocke Vielfalt. Sandstein. An Hölzern: Eiche, Lärche, Edelkastanie, Birkensperrholz. An der Gartenseite, außen: lose Schieferplatten, die beim Drübergehen Geräusche - nein, Musik machen. Schließlich: Sichtbeton, Stahl und Glas.

Bei der Beschreibung des Hauses ist ja schon klar geworden, daß es dabei im wesentlichen um eine zweischalige Fassade geht. Die äußere Glashaut - und die thermische Haut der beiden Bürokomplexe dahinter. In der thermischen Haut: für die Mitarbeiter zu öffnende Fenster. In der Außenhaut: auf der Ebene des vierten Obergeschoßes und auf der Erdgeschoßebene Lüftungsklappen, die die Luft zum Zirkulieren bringen und innerhalb von wenigen Minuten durch die frische (und von Abgasen freie) Zuluft von oben für ein gutes Raumklima sorgen. Gemeinsam mit der simplen Maßnahme der aktiven Nutzung der Betonkerne - im Sommer zur Kühlung via Grundwasser, im Winter auf 14 Grad temperiert) - ist das ein unheimlich simples Energiekonzept (siehe den Hinweis zuvor: keine High-Tech-Lösungen), aber gerade deswegen funktioniert es wahrscheinlich so gut. Es gibt auch noch Jalousien, die sich zu gewissen Zeiten automatisch schließen und dann licht- und wärmegesteuert wieder öffnen. Aber jeder einzelne Mitarbeiter hat immer die Möglichkeit, diese programmierten Mechanismen zu „overrulen“ und den eigenen, individuellen Bedürfnissen anzupassen.

Da wurde auch auf Bauherrnseite viel dazugelernt. Die technisch aufwendige - und anfällige - Variante solcher Lösungen (der Direktor der BTV hat sich im Vorfeld des Neubaus einiges dazu an Neuplanungen in Deutschland angesehen) hat sich gewissermaßen selbst relativiert. Diejenigen, die in einem solchen Haus arbeiten, wollen nicht einer Technik ausgeliefert sein, die sich nur vom Fachmann unter Kontrolle bringen läßt. Ein bißchen ist das wie das Verhältnis zwischen Computer und mechanischer Schreib-maschine. Wenn letztere nicht funktioniert hat, wußte man sich zu helfen. Beim Computer braucht man immer den Fachmann.

Etwas Merkwürdiges ist mir übrigens aufgefallen, wie ich vor dem - letztlich doch: unheimlich eleganten, in dieser Umgebung geradezu wie ein Edelstein wirkenden - Gebäude gestanden bin. Es hatte mich schon zuvor, beim Anblick der Photos, unbewußt irritiert. Da gibt es so ein Farbspiel zwischen den einzelnen Tafeln der gläsernen Außenhaut, das ich mir nicht erklären konnte. Jetzt weiß ich es: Da, wo vollgedämmte Wände hinter der Außenhaut liegen, waren keine Isoliergläser nötig; da, wo sozusagen reines „Volumen“ hinter der Außenhaut liegt, sehr wohl. Aber diese Gläser sind unterschiedlich transparent. Das ergibt einen eigenwilligen Effekt. Wenn man davorsteht und es nicht weiß, dann erkennt man kaum, warum, aber es stellt sich dadurch eine Plastizität ein, die dieser dünnen Glasmembran unterschwellig eine geradezu haptische Qualität verleiht.

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