Ensemble

Weltausstellung 2010 Shanghai
Better City, Better Life

Der Schnee der Zukunft

Mehr, größer, bedeutender als die vorangegangene wollte bis dato noch jede Weltausstellung sein. Doch bei der Expo Shanghai werden tatsächlich viele Rekorde gebrochen werden. Ein Lokalaugenschein.

21. August 2010 - Elke Krasny
Nummer fünf hat unseren Pavillon besucht.“ Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht unter allen Mitarbeitern im österreichischen Pavillon auf der Expo in Shanghai. „Die Frau des Ministers war auch dabei. Sie hat sofort damit begonnen, Schneebälle zu werfen.“ Mit „Nummer fünf“ ist der chinesische Kommunikationsminister Li Changchun gemeint. Er hat dem österreichischen Pavillon sogar noch vor dessen offizieller Eröffnung einen Besuch abgestattet.

Solche Besuche potenzieren das symbolische Kapital im diplomatischen Beziehungsraum auf Zeit, den eine Weltausstellung einrichtet. Solche Besuche der politischen Prominenz verwandeln das investierte symbolische Kapital in den sich langfristig realisierenden Tauschwert der zwischenstaatlichen Beziehungen, Ökonomie und Kultur inklusive. Der Eindruck des chinesischen Kommunikationsministers war ein positiver. Die Frau des Kommunikationsministers warf ihre Bälle gekonnt in die Winterlandschaft, die als virtuelle Projektion den fließenden Raum überzieht. Die erste Station im Österreichpavillon wartet mit einer Kunstschneeballschlacht auf. Die Überraschung glückt. Eine kühlende Erfrischung nimmt man gern an. Die Gäste werden, sobald sie durch den blickdicht schließenden Vorhang eingetreten sind, im tiefen Winter empfangen.

Weltausstellungen sind Diplomatie auf höchster Gestaltungsebene. Wenn das Gastgeberland China ruft, dann kann es sich niemand leisten, an ein Fernbleiben zu denken. Das würde die Spielregeln der internationalen Etikette verletzen. Solch einer Einladung zur Expo, zum repräsentativen Weltschauplatz, der von Mai bis Oktober links und rechts des Huangpu ein globales Dorf entstehen lässt, hat man Folge zu leisten. Und man hatte in diesen nationalen Auftritt mit intelligenter Architektur und gekonnter Ausstellungsgestaltung zu investieren. Alles andere könnte nämlich künftig verheerende ökonomische Nebeneffekte haben. Das will letztlich keine Nation riskieren. „Wer nicht vorhanden ist, macht keine Geschäfte“, sagt der österreichische Wirtschaftsminister Mitterlehner, der die Expo des Jahres 2010 als die wichtigste Weltausstellung betrachtet: „Wer nicht vorhanden ist, der wird keine Partner haben.“

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Weltausstellungen vom Industriebürgertum und den erstarkenden Nationalstaaten als Foren des Austausches erfunden. Rasch wurden sie zum Umgschlagplatz der Informationen im Drei-D-Format, zum gestalteten Wissenstransfer mit dem Anspruch des internationalen Wettbewerbs. Zwischen den Nationen herrschten Austausch, Vergleich, Wettbewerb und Konkurrenz. Die Welt des 19. Jahrhunderts wurde angetrieben von der sich entwickelnden Dynamik der industriellen Produktion, von Landwirtschaft über Bildung bis zu Kunst oder Maschinen, dem Wissenssystem des 18. Jahrhunderts, der Enzyklopädie folgend, für diesen begehbaren Wettbewerb der Nationen geordnet.

1873: Wende in Wien

Mit der Wiener Weltausstellung von 1873 vollzog sich eine bis heute spürbare Wende in der räumlichen Konfiguration des Mediums. Vor allem für die industrieschwächeren Länder, aber auch für die weniger entwickelten Regionen des Habsburgerreiches war es von Vorteil, sich nicht nur mit technologischen Neuerungen zu beweisen, sondern mit einem landestypischen, repräsentativen Pavillon. Authentizität wurde zur entscheidenden Distinktion der Anziehung. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts lässt sich folglich der ferne, heute jedoch kaum mehr gewusste Ursprung der Nation als Pavillon-Gestaltungsaufgabe ausmachen, dessen Echo in den aktuellen Strategien des „nation branding“ nachklingt.

Mit 240 Teilnehmern, einzelnen Ländern, aber auch internationalen Organisationen, und der hochgerechneten Erwartung von 70 Millionen Besuchern will Shanghai alle vorangegangenen Weltausstellungen überflügeln. Mehr, größer, bedeutender als die vorangegangene wollte bis dato jede Weltausstellung sein. Doch in Shanghai werden wahrscheinlich viele Rekorde gebrochen werden. Damit ein solches Ereignis tiefenwirksam greift und sich global verbreitet, braucht es intensive Verstärkungseffekte. Seit 2008 schwört der lokale Fernsehsender International Channel Shanghai, kurz ICS, mit seinen englischen oder japanischen Sendungen, die chinesisch untertitelt werden, die Stadtbewohner auf den obligatorischen Expobesuch ein. Das Globalisierungsereignis Expo wurde mit medialer Tiefenwirkung tagtäglich bereits im Vorfeld als Berichterstattungsfixpunkt verankert.

Infrastrukturen von Medien und Transportmitteln wurden die längste Zeit als Todfeind von Weltausstellungen angesehen. Sie galten als deren Überflüssigmacher. Da man alles überall sehen kann, da man scheinbar über alle Grenzen reisen kann, wurden diese Foren der internationalen Begegnung auf Zeit als obsolet erachtet. Dass akzelerierte virtuelle Medienkommunikation und beschleunigte Realmobilität jedoch beide Ansprüche intensivieren können, nämlich die der medialen Fernwirkung und die der realen Begegnungsmöglichkeit, stellen städtische Großereignisse wie Olympische Spiele, Fußballmeisterschaften oder Weltausstellungen unter Beweis.

Der Beginn des 21. Jahrhunderts markiert eine Ära erneuter Expoenergie und gesteigerter Suche nach Anlässen für diplomatischen Kontakt, für Treffen mit Geschäftspartnern, für kulturellen Austausch. „Man muss Präsenz vor Ort zeigen. Kontaktpflege wird sehr geschätzt, und zwar nicht auf elektronischem Wege“, betont der Wirtschaftsminister bei seinem Expobesuch. Ausländische Staatsgäste absolvieren ihre Aufwartungen. Der kolumbianische Vizepräsident, der Chief Minister von Malaysia, der Wirtschaftsminister von Luxemburg, sie alle statteten dem Österreichpavillon bereits ihren Besuch ab. Ob sie und die vielen anderen, im Schnitt 14.000 Pavillonbesucher täglich die komplexen Entwurfsideen und die technologisch innovative Entstehungsgeschichte des Österreichpavillons auch nur annähernd erfassen können, ist mehr als fraglich. Sie kann allenfalls gefühlt werden, doch das ist für eine Weltausstellung zu wenig. Hinter den komplexen Faltungen und dem organisch fließenden Raumerleben, das von den beiden Architekturteams SPAN und Zeytinoglu Architects gemeinsam entwickelt wurde, steht eine avancierte, rein auf digitalen Modellen beruhende Entwurfsmethode. Dieser Entwurf musste Schritt für Schritt gemeinsam mit den chinesischen Partnerarchitekten, der Shanghai Xian Dai Architectural Design Group, mit der lokalen chinesischen Bauordnung in Einklang gebracht werden.

Aufruhend auf der beschleunigten Simulationen der Evolution, die qua Computer generiert wurde, ist erstmals ein realer architektonischer Raum hervorgebracht worden. Das ist die eigentliche Innovation des Österreichpavillons. Doch Innovationen muss man, so sie nicht auf den ersten Blick eingängig sind, vermitteln. Was sich nicht auf den ersten Blick zu erkennen gibt, wird vom Massenpublikum einer Expo schlichtweg übersehen. Das Interesse an der Entwicklung komplex gekrümmter natürlicher Flächen beflügelt die Architekturforschung, die Matias del Campo und Sandra Manninger, gemeinsam SPAN, schon seit mehreren Jahren betreiben. Dass dies alles auch etwas mit einer spezifischen österreichischen Architekturtradition zu tun hat, sich dem „Endlosen Haus“ von Friedrich Kiesler verpflichtet fühlt, wird man im Pavillon nicht erfahren. Denn es fehlt leider an der kuratorischen Kompetenz, die es verstanden hätte, die subtilen und komplexen Zusammenhänge in eine stimmige Ausstellungsnarration zu übersetzen.

Dennoch herrscht im Österreichpavillon ausgelassene Stimmung unter den Besucherinnen und Besuchern. Obwohl nach außen hin durch den Pavillon der Extremwetterlage in Shanghai kaum Rechnung getragen wurde und auch das Warten – und das Realerlebnis Expo hat sehr viel mit Warten zu tun, die langen Schlangen rund um die einzelnen Pavillons bedeuten mitunter zwei bis drei Stunden Anstehen – nicht in die Gestaltung einkalkuliert wurde, gibt sich das Pavilloninnenerleben erfrischend besucherorientiert. Die technisch aufwendigen Projektionen, die von Peyote Design entwickelt wurde, sorgen für Lust an der Interaktion.

Was die Besucher zu erleben bekommen, bestimmen sie selbst mit. Landschaften und Städte werden zum medialen Erlebnisparcours. Unter den Füßen der Ausstellungsbesucher wachsen im Waldbereich die Blumen, im Wasserbereich kann man die Fische jagen. Das spielerische Angebot wird bestens angenommen. Man hätte das technisch hohe Potenzial dieser Medieninteraktionen freilich zu ganz anderer Wissensvermittlung, zu ganz anderer Erfahrung, hochfahren können und nicht bei lieblichen, aber inhaltsentleerten Landschaftsszenarien mit wachsenden Blumen und schwimmenden Fischen verharren müssen.

Zehn Millionen Fliesen

Das intellektuelle und ästhetische Potenzial des Österreichpavillons, der auch ein Stück gebaute interkulturelle Realienkunde verkörpert, da seine Außenhaut aus zehn Millionen Porzellanfliesen besteht und somit die Verbindung zwischen China, dem Porzellanerfinder, und Österreich, dem zweitältesten europäischen Porzellanerzeuger, schafft, hätte sich für sein Innenleben Besseres verdient.

Auch der österreichische Umweltminister, Nikolaus Berlakovich, hat nach offiziellen Treffen mit Behördenvertretern in Peking, Nanjing und Shanghai und dem Besuch der weltgrößten Umweltfachmesse, der IFAT in Shanghai, der Expo und dem Österreichpavillon seinen Besuch abgestattet. Umwelttechnik wie Abwasserreinigung, Abfallverwertung, erneuerbare Energien oder Energieeffizienz, alles Gebiete, in denen China in den kommenden Jahren intensiv zur Bewältigung der Umweltprobleme investieren wird, wird er jedoch im Österreichpavillon vergeblich gesucht haben. Das allgemeine, von China gewählte Expothema, „Better City, Better Life“, hätte diesen Themen inhaltlich alle Türen weit geöffnet. Mehr sogar, das Thema ist als Anspruch formuliert, da die Weltausstellung eine Informationsmaschine, eine Volksbildungsmaßnahme in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltbewusstseinsbildung ist. Mit Stadtinfrastruktur und Umwelttechnologien hätte man daher punkten können, ist doch Wien laut Mercer-Studie 2009 die Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität, was bis dato jedoch niemand bei einem Besuch im Pavillon hat erfahren können – und zum offiziellen Expothema hätte man hier einiges mitzuteilen gehabt.

Inhalte also sind des österreichischen Pavillon Sache nicht, doch im Reich der Bilder spielt er alle seine Trümpfe aus. Das spüren Mediokraten, Touristen und andere Weltbürger und navigieren auf den Oberflächen. Gerade deshalb wäre dem Österreichpavillon, der zu den fünf beliebtesten der Expo zählt, mehr inhaltlicher Tiefgang zu wünschen. Die Besucher hätten sich sicher gerne darauf eingelassen.

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