Ensemble

Novartis Campus
Zentrum für Forschung und Entwicklung

Bewußt neben den Trends

Klotzen statt kleckern: Wenn Novartis in Basel sein europäisches Zentrum für Forschung und Entwicklung errichtet, wäre das, sollte man meinen, eine naheliegende Devise. Der Masterplan von Vittorio Magnago Lampugnani setzt indes auf Maßhalten.

8. Juni 2002 - Walter Zschokke
Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden in Basel die ersten Bauten der Firma Sandoz, einem Unternehmen der aufstrebenden chemischen Industrie, die der Stadt Wohlstand und internationale Bedeutung verschaffte. Binnen weniger Jahrzehnte war das etwa 20 Hektar große Areal mit Produktionsgebäuden dicht bebaut, wie das Luftbild von 1969 zeigt. Wie andere Industriekomplexe auch gewann die Anlage über die Jahrzehnte parastädtischen Charakter, wobei die spezifische Urbanität von Produktion, Forschung, Verwaltung sowie von der Infrastruktur für die Arbeitspausen bestimmt war.

Anders jedoch als für die riesigen Areale etwa von Sulzer in Winterthur oder ABB in Baden/Aargau, auf denen die Produktion wegen des Strukturwandels in der Schwerindustrie stillgelegt wurde, das Leben in den riesigen Hallen erstarb und mühsam unter Beizug öffentlicher Gelder eine Neubelebung hohe und riskante Investitionen erforderte, wird in Basel kein abrupter Wechsel, sondern eine schrittweise Transformation angestrebt. Das ist auch der Grund, weshalb das Thema von überregionalem Interesse ist. Denn hier geht es nicht um die „Rettung“ einer Industriebrache, weil die davon abhängigen Städte bedroht sind, sondern um vorausblickende Maßnahmen, die im Interesse von Novartis wie in jenem der Stadt Basel liegen.

Dem seit 1999 agierenden CEO von Novartis, Daniel Vasella, war aufgefallen, daß der Zustand der Firmengebäude den Eindruck von Stillstand erweckte, ja sogar den einer gewissen Vernachlässigung. Für das strategische Ziel, den Produktionsstandort aufzuheben und dafür den europäischen Schwerpunkt für Forschung und Entwicklung zu errichten, fehlten noch ein Bild und eine operative Vorgehensweise.

Ein im nachhinein glücklich zu nennendes Zusammentreffen mit Vittorio Magnago Lampugnani, dem Architekten, Historiker und Publizisten, der mittlerweile die wichtige Professur für Städtebaugeschichte an der ETH Zürich bekleidet, erbrachte die Idee des Campus, einer lebendigen Wissenschaftsstadt in der großen Stadt. An den Planungen sind weiters die Fachleute Peter Walker (Grünraum), Harald Szeemann (Kunst), Andreas Schulz (Licht) sowie Alan Fletcher (Graphic Design) beteiligt. Eine eindeutige Grenzziehung blieb aus betrieblichen wie rechtlichen Gründen unvermeidlich. Damit wird jedoch eine exakte Definition des Territoriums erreicht, denn es geht auch um Identität. Eine Identität, die nicht mit spektakulären Superzeichen - wir sind hier im calvinistischen Basel -, sondern mit strukturbildenden Maßnahmen angestrebt wird. Lampugnani, der Römer mit Standbeinen in Mailand und Zürich, glaubt nicht an das Retortenprodukt der geschlossenen Mall, sondern an einige - wenige - Regeln für die Bebauung, legt ei-ne Anzahl öffentlich-räumlicher Strukturelemente für das bauliche Gefüge fest sowie einige wichtige Zonen, wo innen und außen in Beziehung stehen.

Eine Transformation, die am soziokulturell und wirtschaftlich lebendigen Betriebskörper erfolgt, kann eben nicht mit einer Tabula rasa beginnen, auf die die radikale Moderne bis heute fixiert ist, sondern erfordert ein schrittweises Vorgehen nach einem Masterplan, der Vorhandenes ernst nimmt. - Die Ansprüche der künftigen Beschäftigten, internationalen Spitzenkräften mit großer Teamkompetenz, sind nicht gering. Zwar bietet Basel eine hohe Lebensqualität, das genügt aber nicht. Relativ rasch müssen daher sichtbare Maßnahmen gesetzt werden, die beispielsweise von einer dezidierten Begrünung begleitet sind.

Die allgemeinen städtebaulichen Regeln des Masterplans sind einfach: Als erstes wird im größten Teil des Areals eine Traufkante von 22 Metern vorgegeben. Die orthogonale Struktur der Produktionsgebäude wird beibehalten, die Straßen werden jedoch neu charakterisiert und zu (betriebsintern) öffentlichen Räumen gemacht.

Eine alleeartige Hauptachse - heute noch „Fabrikstraße“ genannt - zieht sich in ausreichender Breite durch das Areal und soll an ihrer westexponierten Seite einen Portikus erhalten, an dem vom Café über Geschäfte des täglichen Bedarfs bis zum Fitnesszentrum städtische Nutzungen situiert werden.

Auf den in einen Park vorgezogenen Eingangsbereich mit zwei flankierenden Pavillons folgen, tangential an der großen Achse liegend, ein „Forum“ genannter Platz, wo sich der Sitz der zentralen Verwaltung befindet - ein Gebäude aus den dreißiger Jahren -, der gefaßt wird vom geplanten Baukörper für Novartis Pharma, zugleich markanter Eckbau zum davor liegenden Park.

Nach dem Hauptsitz folgt ein großer „grüner“ Platz, dann schneidet die Hüningerstraße diagonal durch den Campus, eine „Störung“, die belebend aufgefaßt wird. Parallel zur Hauptachse durchzieht ein langer, parkartiger Grünraum für kurze Spaziergänge das Areal, und im übrigen Gefüge sind zwei größere Grünflächen ausgespart.

Den Anschluß zur Stadt wird ein Cluster aus bestehenden und neu zu errichtenden Hochhäusern bilden, während die Kante zum Rheinufer, im Masterplan als quasi römisches Castrum dargestellt, sich im Zuge von Gesamtüberlegungen der Basler Stadtplanung noch verändern wird, denn natürlich gilt es auch mit dieser Einvernehmen zu schaffen.

Die architektonische Konkretisierung des angestrebten Stadt- bildes soll über kleine Wettbewerbe unter drei bis fünf aus-gewählten Fachleuten erfolgen. Dabei wird nicht nach dem zeichenhaften Einzelbauwerk gesucht, sondern nach dem beachtlichen Bau, der im Verein mit bestehenden und zukünftigen Bauten stadtbildend wirkt. Maßhalten heißt die Devise, die hinter diesem Konzept steht, eine klassische bürgerliche Tugend, wie sie seit Jahrhunderten stadterhaltend zu wirken vermochte, wenn nicht Eigennutz, überbordende Spekulation oder Krieg die kontinuierliche Entwicklung unterbrachen.

Radikalen Kritikern wird dies zuwenig sein, sie werden mehr zeitgeistige „Experimente“ einfordern. Insofern liegt das Konzept neben den sogenannten Trends. Aus heutiger Sicht ist es daher ein in seiner Verhaltenheit durch- aus kühnes Unterfangen, weil es eine moralische Haltung im Städtebau einfordert.

Natürlich kann man einwenden, daß das alles einfach ist, wenn der Boden und die Initiative in einer Hand liegen. Doch es hätte auch anders kommen können. Jedenfalls ist sowohl der Bauherrschaft als auch den Planern die nötige Ausdauer und ein qualitativer Erfolg zu wünschen, damit das Beispiel Schule macht. [*]

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