Ensemble

Ciudad de las Artes y Ciencias

Valencia erwacht und reckt sich in seinem alten Flussbett

Santiago Calatravas Palau de les Arts als Wahrzeichen metropolitaner Ambitionen

Valencia hat einige Trümpfe auszuspielen, um sich - wirtschaftlich und kulturell - zwischen den ewigen Rivalinnen Madrid und Barcelona als Spaniens dritte Metropole zu profilieren. Symptomatisch für die hochtrabenden Ambitionen sind Bauten wie das jüngst eröffnete Zentrum szenischer Künste, der Palau de les Arts. In zwei Jahren hofft die Stadt überdies als Austragungsort des America's Cup zu brillieren.

24. Oktober 2005 - Markus Jakob
Valencia träumt. Es träumt sich selbst in urbanen Wunschbildern. Höchst widersprüchlich in ihrem formalen Ausdruck, fehlt diesen indessen kaum je ein gewisser provinzieller Anflug von Megalomanie. Da gibt es etwa das Projekt «Sociópolis» des Architekten Vicente Guallart, für welches er Figuren wie Toyo Ito, Winy Maas von MVRDV und Alejandro Zaera von FOA gewinnen konnte, nebst weiteren namhaften Repräsentanten der spanischen und französischen Baukunst. An der Bienal de Valencia 2003 wurden die Modelle der Bauten, die an die dreitausend Sozialwohnungen aufnehmen sollen, präsentiert: berückende, teilweise einfach verrückte, scheinbar wirklichkeitsfremde Wohnutopien. Und doch wird dieser Tage der Grundstein zu dem Quartier gelegt. Gewiss, Guallart - von dem der Masterplan und das erste auszuführende Gebäude stammen - musste einige Abstriche machen. Ein ungewöhnlich hoher Anteil gemeinschaftlicher Bereiche, dies die Grundidee, wird aber auf jeden Fall die Privatsphäre der Wohnungen ergänzen. Exemplarisch soll auch die Implantation der Siedlung in der Huerta sein, der von Orangenhainen geprägten Grosslandschaft um Valencia, die für das Wesen der Stadt so bestimmend ist wie das Meer. Zugleich und zwangsläufig ist sie der Raum, in den jene hinauswuchert.

Sociópolis wird einen nordsüdlichen Grüngürtel abschliessen, dessen Kernstück der künftige, die Geleiseanlagen der Estación del Norte überdeckende Zentralpark sein wird. Sein westöstliches, ganz Valencia durchziehendes Pendant ist das ehemalige Flussbett des Turia. Pläne für dessen Trockenlegung hatten schon die Araber gehegt; ingenieurtechnisch (und politisch) machbar wurde die Umleitung des Flusses erst nach den Überschwemmungen von 1957. Seither sind weite Teile des über zehn Kilometer langen Flussbetts in einen linearen Park verwandelt worden. Etwa auf halbem Weg zwischen der Altstadt und dem Mündungsbereich entstand schliesslich ab 1991 die «Ciutat del les Arts i de les Ciències» nach den Entwürfen von Santiago Calatrava.

Calatravalandia

Was heute als Parade gigantischer zoomorpher Gebilde das Auge der Valencianer und - wichtiger noch - der Touristen verblüfft, war ursprünglich als seriöser Wissenschaftspark geplant gewesen. Forscher haben hier heute jedoch wenig verloren. Stattdessen offerierte die Stadt dem aus Valencia stammenden Calatrava eine Spielwiese, auf der er eine halbe Milliarde Euro in Einrichtungen verbauen konnte, deren Sinn, gemessen an den sozialen und kulturellen Bedürfnissen der örtlichen Bevölkerung, zumindest zweifelhaft erscheint. Umgeben von Wasserflächen, liegt das blendend weisse, vierteilige Ensemble trotz seinen Dimensionen fast spielzeughaft zwischen den Fronten mächtiger Wohnbauten und einer Shoppingmall. Zuerst vollendet wurde 1996 das «Hemisfèric» genannte Imax-Kino in Form eines Auges. Es folgten das gigantische Walskelett des Wissenschaftsmuseums und das «Umbracle», ein langgestrecktes Schattenhaus mit der Eigentümlichkeit, dass es keinerlei Schatten spendet.

Den krönenden Abschluss bildet der 250 Millionen Euro teure, Anfang Oktober von der königlichen Namensgeberin eingeweihte Palau de les Arts Reina Sofía. Auf diesem Grundstück sollte ursprünglich ein Fernsehturm entstehen, doch als die Stadt- und die Regionalregierung die Couleur wechselten, entschied der nunmehr herrschende konservative Partido Popular 1996, auf den bereits gelegten Fundamenten sei stattdessen das Opernhaus zu errichten, das der Stadt bisher fehlte. Calatrava - auch Autor des nicht gebauten Turms - nahm die Herausforderung an. In den extremen Auskragungen, tollkühnen Verankerungen und Betonverrenkungen findet die Planungsgeschichte um die allzu knapp bemessene Basis noch jetzt ihren Widerhall.

Calatrava generierte die Form geradezu aus diesem Handicap. Um den eigentlichen Baukörper herum, der drei Säle mit insgesamt fast 4000 Plätzen aufnimmt, hat er ein architektonisches Formenspiel geschaffen, das je nach Blickwinkel Assoziationen an einen Riesenkäfer, einen grossmäuligen Wal, einen Medici-Helm oder einen Ozeandampfer weckt. Symmetrisch ummantelt von zwei immensen Schalen, deren rhomboide Öffnungen den gigantesken Eindruck noch erhöhen, ziehen sich Treppenanlagen und Terrassen fast bis auf die Gesamthöhe von 75 Metern hinauf. Auf diese empor schwingt sich allein die 237 Meter lange, scheinbar schwebende, zumal nur an zwei Stellen verankerte Dachfeder. Dieses Biest von einem Bau, das auf die einen faszinierend, auf andere bloss grotesk wirken mag, ist zugleich ein Stück öffentlicher Raum. Denn das Kontinuum der Treppen und der teilweise palmenbestandenen Aussichtsplattformen soll den Valencianern rund um die Uhr offen stehen.

In diesem bizarren Stück Stadt fühlt man sich wie in einem betonierten Ufo, das einen mit seinen formalen Gebärden zu betören versucht. Schon die Verkleidung der Schalen und anderer Bauteile mit weiss glitzernden Keramikscherben ist eine lokalpatriotische Anbiederung: Trencadís genannt und von manchen Gaudí-Bauten bekannt, decken sie hier rekordverdächtige Flächen. Mit dem hellen Beton und den gestrichenen Bauteilen bilden sie eine ästhetisch allerdings dubiose Dreieinigkeit in Weiss.

Musikstadt Valencia?

Die fünf Ränge des Opernsaals, der zusammen mit dem Bühnenhaus das Zentrum des Baus einnimmt, sind gleichfalls mit Keramik verkleidet: kobaltblau in diesem Fall. Von dem dunkel gebeizten Buchenboden des Parketts und den blauen Sitzen abgesehen ist jedoch auch hier Weiss die vorherrschende Farbe. Die gleissenden Balkonbänder und das gleichfalls in Bändern angelegte Lichtgewölbe, das sich als Bühnenvorhang niedersenkt, verleihen diesem Saal den frostigen Charme einer elegant gestylten Tankstelle. Die Akustik wurde nach dem Eröffnungskonzert als messerscharf geschildert, sie dürfte sich noch verbessern lassen. Nichts mehr zu ändern ist indessen daran, dass Calatrava das spanische Opernhaus mit den meisten Sitzplätzen gebaut hat, die keine oder nur eine sehr beschränkte Sicht auf die Bühne haben: Laut der Lokalpresse betrifft das nicht weniger als 200 der 1700 Plätze. Der Palau de les Arts ist ein Opernhaus und zugleich ein begehbares Monument, das drei weitere Säle aufnimmt. Das «Anfiteatro», über den Hauptsaal gestapelt und mit 1500 Plätzen nur wenig kleiner als dieser, wirkt mit seinem Zenitallicht, seinen gelben Sesseln und der Lamellenverkleidung wesentlich behaglicher als der Opernsaal - schon fast wie ein reformierter Kirchgemeindesaal, in dem gleich ein Gitarrist zu schrammen beginnt. Die Bühnentechnik ermöglicht hier vielfältige Nutzungen, Ballett- ebenso wie Konzertabende oder Multimediaspektakel. Weiter hinzu kommen die «Aula Magistral», geeignet für Kammermusik, sowie unterirdisch und ausserhalb des eigentlichen Baus ein 400-plätziges Kammertheater, das auch als Sitz der Musikakademie dient.

An diesem Punkt stellt sich freilich die Frage, wie, von wem und für welches Publikum all diese Säle je bespielt werden sollen. Valencia hatte 1987, in Sichtweite von Calatravas Neubau, mit dem Palau de la Música ein Konzerthaus eröffnet, das die Nachfrage nach ernster Musik in dieser Stadt aufs Beste zu befriedigen schien. Nur die Oper fehlte noch. Mit Lorin Maazel als Chefdirigenten und mit Zubin Mehta, der das jährliche «Festival Mediterráneo» leiten wird, hat man zwei ehrwürdige Namen verpflichtet, die vielleicht auch das dringend benötigte auswärtige Publikum anzulocken vermögen. Intendantin ist Helga Schmidt, der für das Vorlaufjahr ein Budget von 12 Millionen Euro zur Verfügung steht.

Wie die voraussichtlich vier- bis fünfmal so teuren künftigen Spielzeiten finanziert werden sollen, steht noch in den Sternen. Schmidt hofft auf Subventionen des Kulturministeriums «im selben Umfang, wie sie das Liceu in Barcelona und das Teatro Real in Madrid erhalten». Der zentralstaatliche Zustupf deckt in Barcelona 37 Prozent, in der Hauptstadt 70 Prozent des Budgets.

Eine Stadt nimmt Kurs aufs Meer

Dem exuberanten Calatrava-Ensemble schliesst sich «flussabwärts» das Aquarium an, «Oceanográfic» genannt und angeblich das grösste Europas. Fünfzehn olympische Schwimmbecken vermöchten seine Salzwasserbassins zu füllen. Der Empfangspavillon ist das postume Werk eines Virtuosen der Schalenbauweise, des 1939 aus Spanien nach Mexiko emigrierten und vor acht Jahren verstorbenen Félix Candela. Doch neben Calatravas Exhibitionismus erscheinen Candelas elegante, wie eine Seerose sich entfaltende Deckengewölbe, zudem verborgen hinter Mauern und Hecken, wie die Werke eines Kleinmeisters. Der menschliche Massstab ist hier im Grunde nicht gefragt. Für das anschliessende Grundstück hat wiederum Calatrava eine Grossüberbauung projektiert: drei zwischen 220 und 308 Meter hohe Apartment-Türme, in ihrer Form den gotischen Pfeilern der Lonja von Valencia nachempfunden. Die Finanzierung dieses Projekts ist freilich noch nicht gesichert. - Wer vom Oceanográfic dem alten Flusslauf bis zum Hafen folgt, begreift, wo Valencias Zukunft liegt. Die Ciutat de les Arts i de les Ciències hatte aus dem Passanten einen Figuranten gemacht, einen Winzling, der offenen Mundes zwischen den weissen Kulissen umherirrte; von hier an verwandelte er sich in einen einsamen Wandersmann, zwischen Grasnarben und Leitplanken stolpernd, quer über jene Ödflächen, die auf spanisch den Namen descampados tragen und die geradezu nach ihrer Urbanisierung schreien.

Valencia, dessen Zentrum sechs Kilometer vom Meer entfernt liegt, hatte zu diesem stets ein zwiespältiges Verhältnis: der Hafen unwirtlich, die Strände nur saisonal verlockend, die dahinter liegenden maritimen Viertel - Natzaret, El Cabanyal - ein wenig anrüchig. Allmählich wuchs die Stadt aber doch mit ihren Uferzonen zusammen, mit der hundert Meter breiten Avenida Blasco Ibáñez als Rückgrat. Keine Prachtstrasse, eher ein von mächtigen Wohn- und Universitätsbauten beliebig eingefasster Strang, und doch die wichtigste Achse der Stadt. Hierher - in eine ebenso beliebige Bar - hatte mich der Soziologe José Miguel Iribas bestellt, um über Valencias künftige Stadtentwicklung zu sprechen.

Iribas ist eine Art Agitator, fern vom akademischen Betrieb, der sich lieber als Ideenlieferant in die Praxis der Planer und Promoter einschaltet. Zusammen mit dem Makler Ignacio de Laiglesia und Jean Nouvel als federführendem Architekten hat er das einzige Planungskonzept geliefert, das die ganze Küstenlinie von der Playa de la Malvarrosa im Norden bis zum Hinterland des Containerhafens im Süden umfasst. Mit dem Projekt «Valencia Litoral» wurden die Stadtplaner selbst überrumpelt. Diese hatten nach der Wahl Valencias zum Austragungsort des America's Cup 2007 wohl einige Wettbewerbe rund um das Hafenbecken ausgeschrieben; eine integrale Planung des ebenso enormen wie komplexen Gebietes schien ihnen jedoch nicht vordringlich.

Grossplanung als Privatsache

So zieren nun zwar - anschliessend an die Reihe schöner alter, ihrer kommerziellen Transformation noch harrender Speicher - einige kleinere Neubauten das Hafenhalbrund; allen voran die Alinghi-Basis. Entschieden ist auch, dass David Chipperfield und Fermín Vázquez den «Foredeck» genannten Besucherpavillon bauen werden, voraussichtlich das architektonische Wahrzeichen des America's Cup. Ausgesetzt wurde jedoch die Entscheidung des Wettbewerbs für den einstigen Mündungsbereich des Turia. Denn Jean Nouvels Gesamtkonzept hatte inzwischen das Interesse nicht nur der Medien, sondern auch verschiedener Investoren geweckt, so dass die Behörden den zunächst favorisierten Entwurf von Meinhard von Gerkan auf Eis legten. Nouvels Projekt bringt divergierende Interessen in ein scheinbar ideales Gleichgewicht: die der Anwohner und die der Stadtvermarkter, die der Linken und der Grünen wie die der Investoren. Entgegen dem schneller Rendite verschriebenen lokalen Usus ist es eine langwierige, auf mindestens fünfzehn Jahre angelegte Planung.

Für Valencias Strände sieht sie, wie könnte es anders sein, eine gezielt touristische Nutzung vor. Die angrenzenden, heute von Verwahrlosung bedrohten Viertel - El Cabanyal, La Malvarrosa - haben gemäss Iribas das Zeug, sich zu einer Art «europäischem Sausalito» zu entwickeln: als attraktive Wohngegend für Künstler, Kulturmenschen, Kreative - wobei diese gentryfication, allen schönen Worten zum Trotz, zweifellos auf Kosten der ansässigen Bevölkerung ginge. Für den Soziologen ist im Übrigen die Zeit für ein von der konservativen Regierung gehegtes Vorhaben abgelaufen, das zum urbanistischen Zankapfel Nummer eins geworden war: die Verlängerung der Avenida Blasco Ibáñez bis ans Meer, die die kleinteilige Struktur des Cabanyal zerstören würde. Einen sorgsamen Umgang mit gewachsenen Strukturen verspricht «Valencia Litoral» auch auf der andern Seite des Hafenbeckens, wo das verwunschene Viertel Natzaret sogar seinen auf Kosten des Hafens verlorenen Strand zurückgewinnen soll.

Der von Jean Nouvel vorgelegte und eloquent vertretene Plan (www.valencialitoral.com) lässt aber auch die Bauwirtschaft aufhorchen. Auf dem Muelle de Levante sollen künftig Wohnbauten entstehen, ein weiteres neues Viertel sich ins Niemandsland hinter dem Industriehafen erstrecken und schliesslich - die Mutter aller künftigen Entwicklungen - das verödete Flussdelta sorgsam saniert und in eine mit Wolkenkratzern bestückte Parklandschaft verwandelt werden. Nicht etwa Wohntürme, wie sie Calatrava etwas weiter landeinwärts vorsieht, sondern Bürobauten, der wirtschaftlichen Dynamik der Stadt entsprechend und einer Strategie, für die sie laut dem Soziologen Iribas beste Voraussetzungen bietet.

Dass Valencia prosperiert, sich plustert, in eine andere Liga aufsteigen möchte, fällt - ganz unabhängig von Calatravalandia - jedem aufmerksamen Besucher spätestens an der ersten Ausfallstrasse auf. Valencia träumt davon, Barcelona den Rang als westliche Mittelmeermetropole abzulaufen; und dafür hat es einige Gründe. Schon übertrifft sein Containerhafen den Barcelonas an Umsatz. Die Vernetzung mit dem spanischen Markt wird mit dem Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Madrid und dem der Autobahn nach Zaragoza vorangetrieben. Madrid wird demnächst Europas kapazitätsreichsten Flughafen eröffnen, und in Zaragoza ist das grösste Logistikzentrum des Kontinents im Entstehen. Das Dreieck Madrid - Valencia - Zaragoza wird Barcelona zumindest auf dem iberischen Markt ins Abseits drängen. Kommt hinzu, dass Valencia im Gegensatz zu der katalanischen Metropole keine nationalistischen Hemmschuhe trägt. So ungefähr argumentiert der Valencianer Iribas.

Signalisierten im Übrigen in den letzten Jahren nicht auch die Erfolge des Fussballklubs den Aufschwung der Stadt? Zugleich wirft der FC Valencia jedoch ein grelles Licht auf den Filz, in dem hier Stadtplanung - wenn überhaupt - möglich ist: den ungenierten Immobilienschacher, in dem Valencia nach Höherem ringt. Der lukrativste Deal gelang dieses Jahr dem Vereinspräsidenten Juan Soler, zugleich Mehrheitsaktionär des FC Valencia und zufällig - wie so viele Fussballklubpräsidenten - Bauunternehmer. Erst wurde mit dem Segen der Stadtregierung das an die Avenida Blasco Ibáñez angrenzende Stadion Mestalla zum Abriss freigegeben (mit skandalös hoher Ausnützung für die künftigen Wohnbauten), kurz darauf das gleichfalls in lukrativer Wohnlage befindliche Trainingsgelände des Klubs. Solche Umwidmungen - Real Madrid machte es vor - rechnen sich in Hunderten Millionen Euro.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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