Veranstaltung

Wendepunkt(e) im Bauen
Ausstellung
Wendepunkt(e) im Bauen © A. Laurenzo
18. März 2010 bis 13. Juni 2010
Pinakothek der Moderne
Barer Strasse 40
D-80333 München


Veranstalter:in: Architekturmuseum der TU München
Eröffnung: Mittwoch, 17. März 2010, 19:00 Uhr

Die Zukunft in der Parawolke

Die Grenze ist die Statik. Oder: Führt nach der Wende von der seriellen zur digitalen Architektur Rationalisierung zu einer neuen Poesie des Bauens?

27. März 2010 - Alexander Kluy
Triemli. Das klingt nett, beschaulich, ja geradezu idyllisch. Vor allem schweizerisch. Doch wem würde bei Triemli der Plattenbau einfallen, jenes von vielen verabscheute, ja verhasste Prinzip vorfabrizierter sozialistischer Wohnblöcke? Plattenbau, der stadtplanerisch oft genug verheerend wirkte und in endloser Wiederholung des Immergleichen und immer gleich Ideenlosen von Wulfen bis Wladiwostok seine ästhetische Bankrotterklärung erfuhr? Ein Plattenbau in Zürich - damit muss es etwas Besonderes auf sich haben. Das Architekturbüro Von Ballmoos Krucker exerziert in der Wohnsiedlung Triemli in Zürich-Albisrieden demonstrativ das Prinzip der Serialität mittels schwerer vorgefertigter Betonteile, allerdings reduziert auf Pfeiler und Brüstung. Bei diesem Wohnsiedlungsprojekt, das im nächsten Jahr fertiggestellt sein wird, wird Monotonie unterlaufen durch unregelmäßig geknickte Bauteile und durch gestaffelte Individualität. Auch wenn im Mittelpunkt der Planung weiterhin unbeirrt die Serie steht und deren Variabilität - beides propagierte schon vor 50 Jahren Konrad Wachsmann wortreich in Wendepunkte des Bauens, seinem Klassiker der Architekturliteratur des 20. Jahrhunderts.

„The past is gone, the present is in passing, the future is everything.“ (Die Vergangenheit ist vergangen, die Gegenwart vergeht soeben, die Zukunft ist alles.) Das war sein zentraler Satz, zugleich der emphatischste und programmatischste. 1959 erschien Wendepunkte des Bauens, ein von enormem Optimismus marmoriertes einflussreiches Manifest modernen Bauens, das mit Vehemenz auf die Zukunft setzte. Da verwundert es nicht, dass der 1901 in Frankfurt an der Oder geborene deutsche Jude Wachsmann, der 1929 Albert Einsteins Wochenendhaus im brandenburgischen Caputh entwarf, dreizehn Jahre später auch dank des Einflusses von Einstein aus Nazideutschland emigrieren konnte, Mitte der 1950er-Jahre mehrere Jahre lang die Architekturklasse der Salzburger Sommerakademie leitete, im Jahr 1964 Professor in Kalifornien wurde. Die Abschaffung des Wortes „Bauen“ forderte er und trat für Montage ein und für Standardisierung, auch um ein gleich hohes Niveau zu halten.

Walter Gropius hatte 1923 das Bauhausprogramm formuliert: „Kunst und Technik eine neue Einheit“. Wachsmann arbeitete mit ihm von 1941 bis 1947 an der Entwicklung eines in Systembauweise zu errichtenden Hauses, des wirtschaftlich erfolglosen Packaged House. Industrielle Fertigungsmethoden waren in den USA schon ab Mitte der 1930erJahre von der Roosevelt-Administration gefördert worden. Fertighaus-Bauen verdankte sich wenig später ganz dem Geist der Kriegsproduktion. 1940, im Zuge der Mobilmachung, erst recht mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941, wurden umfassende Programme zum Bau von Flugzeugwerken, Schiffswerften und Munitionsfabriken auf den Weg gebracht - plus ein Wohnbauprogramm für die Arbeiterschaft. Im Mittelpunkt: leichte Vorfabrikation und Massenproduktion.

Nach 1945 wurde dies weitergeführt. So manche Firma rüstete ihre Maschinen so um, dass nun nicht mehr Kriegsmaterial hergestellt wurde, sondern Fertighäuser. Funktional sollten die einfachen, oft mobilen Bauten sein, die das Antlitz von Nachkriegssiedlungen bestimmten. Etwa von Levittown, der zwischen 1947 und 1951 in der Nähe von New York entstandenen Vorortstadt, auf 80.000 Bewohner ausgelegt und sprichwörtlich geworden für suburbanes Wohnen.

Vorgeschnittener Wilder Westen

Aber das System der Fertigkonstruktion ist weitaus älter. Das architektonische Bild, das man vom Wilden Westen hat, propagiert durch Hollywoods Westernfilme, verdankt sich fast ausschließlich dem Holzskelettbau. Ein tragendes Gerüst, das auf dem Grundstück aufgerichtet, anschließend mit Streben ausgesteift und dann mit Außen- und Innenwänden, mit Fenstern und Türen ausgefacht wird: Der mit Planken versehene Rahmen wurde mittels schlanker Ständer und der Schalung zur steifen Schale. Rasant entstanden so Scheunen, Häuser, Straßenzüge, Siedlungen. Für diese sogenannte Balloon-Frame-Konstruktion benötigte man vor allem aufgrund der maschinellen Holzverarbeitung - die fertigen Teile anzutransportieren war mit der Eisenbahn einfach - nur wenige Arbeiter.

Der aktuelle Wendepunkt zeitgenössischen Bauens trägt futuristische Züge. „Ist“ - so der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger nachdenklich, der aktuell im Münchner Architekturmuseum eine kluge, konzise Ausstellung, eine Hommage à Wachsmann, verantwortet - „die üppige Formenexplosion, die das gegenwärtige Bauen dominiert, nur das Gegenstück zur Monotonie serieller Präfabrikation“? Oder mehr? Gelangt man via digitale Architektur zu „neuen Möglichkeiten einer humanen Architektur“? Immerhin gab Ludwig Mies van der Rohe schon 1924 zu bedenken: „Es kommt nicht so sehr auf eine Rationalisierung der bisherigen Werkmethoden an als auf eine grundlegende Umgestaltung des Bauwesens überhaupt.“ Dagegen liest man in Jörg Gleiters 2008 publizierter Architekturtheorie heute: „In Verbindung mit der Frage der Nachhaltigkeit greifen die digitalen Technologien massiv in die Verfahren der Architektur ein und verändern diese von innen heraus, oder soll man sagen, dass sie diese zersetzen, wie manchmal behauptet wird? Nun, es wird wesentlich von den richtigen Fragestellungen und den Antworten abhängen.“

Die Zukunft ist Kürzel?

Bestehen die Antworten aus den Kürzeln CAD, CIM, CAM, CNC? CAD, Computer-aided Design, CIM, Computer-integrated Manufacturing, CAM, Computer-aided Manufacturing, und CNC, Computerized Numerical Control, haben in den zurückliegenden Jahren die Architektur umgekrempelt. Aus der Filmindustrie und 3-D-Animation entlehnt wurde in den 1990ern die 3-D-Modellierung. Freigeformte Körper lösen Standardformen wie Rechtecke, Kreise oder Kuben ab. Wände, Stützen und Decken müssen nicht mehr getrennt voneinander behandelt werden, sondern können fließend ineinander übergehen und miteinander verschmelzen. Die Verabschiedung von der klassischen Konstruktion führt zu neuen, noch vor kurzem im planerischen Ansatz kaum vorstellbaren Lösungen. So schlug François Roche aus Paris bei seinem Entwurf für eine Architekturschule in Venedig vor, das Wasser der Lagune durch Böden und Wände zu leiten. Das möbiusbandartige Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart von UN Studio oder Shigeru Bans Gebäude des Centre Pompidou Metz, das Mitte Mai eröffnet wird, mit seinem wild geschwungenen Dach aus 1700 dreidimensional gekrümmten Holzelementen, von denen ein jedes anders ist: Ohne die Hilfe parametrischer Soft-ware wie Generative Components, Grasshopper oder Paraclouds und genug Rechnerkapazität wären diese Entwürfe mit ihren hochindividualisierten Detailserien nicht möglich.

Zugleich besteht bei diesen Bauten die Gefahr, Solitär im Stadtkörper zu werden, als stummer Monolithfremdkörper zu vereinsamen. Selbst bei einem Projekt wie Metropol Parasol des Stuttgarters Jürgen Mayer H., biomorphen pilzartigen Riesengebilden mit schirmartigen begehbaren Dächern, ist das nicht ausgeschlossen. Dabei sollen die „Sonnenschirme“ die Plaza de la Encarnación in Sevilla revitalisieren, einen kommunikativen Stadtraum bilden. Aber vielleicht wird man demnächst unter ihnen stehen, still und stumm und staunend, bis an welche Grenzen der Statik und der umbauten Poesie die Parawolke vorstößt.

[ „Wendepunkt(e) im Bauen. Von der seriellen zur digitalen Architektur.“ Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne, München. Zu sehen bis 13. Juni 2010. ]

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