Veranstaltung

Von Kapstadt nach Brasilia
Ausstellung
Von Kapstadt nach Brasilia © gmp Architekten / Marcus Bredt
22. April 2010 bis 20. Juni 2010
Pinakothek der Moderne
Barer Strasse 40
A-80333 München


Veranstalter:in: Architekturmuseum der TU München
Eröffnung: Mittwoch, 21. April 2010, 19:00 Uhr

Der Star ist das Stadion

Vor der ersten Halbzeit: Anstoßgenau zur Fußball-WM in Südafrika zeigt München eine Ausstellung über neue Stadien.

24. April 2010 - Alexander Kluy
„Sind Sie schon einmal in einem leeren Stadion gewesen? Machen Sie einmal die Probe. Stellen Sie sich mitten auf den Platz und lauschen Sie genau. Es gibt nichts Volleres als ein leeres Stadion. Es gibt nichts Lauteres als die Ränge, auf denen niemand steht.“ Der Autor und Journalist Eduardo Galeano, als Uruguayer in den letzten Jahren von der Fußball-Nationalmannschaft seines Landes nur wenig verwöhnt, rückte in den Mittelpunkt, was in den letzten Jahren immer auffälliger wurde. Nicht das Spiel, nicht die Spieler, sondern das Stadion. Die deutsche Tageszeitung Die Welt spitzte das zu und schrieb, der eigentliche Star sei heute die Sportarena.

Dies ist weder vermessen, noch steht man mit einer solchen These allein im intellektuellen Abseits. Der Sportbau boomt - auf allen Kontinenten. Stadien sind urbanistische Attraktionen. Jene in Basel und München, beide vom Schweizer Büro Herzog de Meuron realisiert, illuminieren den städtischen Nachthimmel. Ihr „Vogelnest“ in Peking hat für Aufsehen gesorgt, unter der Architektenschaft deshalb, weil erst die Form bestimmt wurde und dieser die Funktionalität zu folgen hatte. Der Portugiese Tomás Taveira tauchte sein Stadiondesign in Aveiro in einen Pastellfarbtopf. Space Group Architects kreierten mit dem Busan Gwangjeoksi Stadium in Südkorea in der Nachfolge R. Buckminster Fullers Raumschiffartiges. Und ikonische „landmark architecture“, visuelles Entertainment, liefert Zaha Hadid mit ihrem biomorph-monolithischen Wal alias Aquatic Centre für die Olympischen Spiele 2012 in London.

Das Hamburger Büro von Gerkan Marg und Partner (gmp) geht da etwas andere Wege, ist adaptiver, reagiert - und das sieht man deutlich in der konzentrierten Werkschau im Architekturmuseum in München - ingenieur- konstruktiv nüchterner und planerisch nachgiebiger auf die jeweilige Umgebung. Deshalb reüssierten sie auch oft bei Wettbewerben, in denen es um den Umbau von Stadien ging und um die Erhaltung vorhandener Architektur, in Ljubljana, Bukarest und Chorzów, in Neu-Delhi und Brasília.

Ganz verzichten sie aber auf Effekte, auf Symbolik nicht. Die dieser Tage vollendeten Arenen von gmp in Südafrika, in Kapstadt, Durban und Port Elizabeth, sollen zugleich integrativ wirken. Nicht ohne Hintersinn ist etwa der Neubau in der zersiedelten Industriestadt Port Elizabeth nach Nelson Mandela benannt; das Tribünendach mit seinen blechgedeckten Kragarmen und den dazwischen gespannten Membranen löst im Inneren den Effekt des Zusammenfließens und Zusammenkommens aus. Aufgrund seines Standorts am Prince Alfred Park, direkt am Wasser, gibt es direkte städtebauliche Konsequenzen. Ein öffentlicher Park wurde angelegt, ein neuer Radweg gebaut und entlang des Ufers werden demnächst Bäume gepflanzt. Über die Spielfläche des Moses Mabhida Stadium in Durban schlug gmp einen gigantischen Betonbogen, auf dessen höchstem Punkt in 105 Meter Höhe eine Aussichtsplattform installiert ist. Was mehr als nur ein Echo auf Lord Norman Fosters neues Wembley-Stadion ist wie auf Santiago Calatravas Brückenkonstruktionen, die er 2004 zur Athener Olympiaarena umschneiderte. In Tripolis, Libyens Hauptstadt, planen die Hamburger, die derzeit 19 Stadien auf vier Kontinenten bauen, für den Afrika-Cup, die kontinentale Fußballmeisterschaft, 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt einen ausgreifenden Sportpark, wobei ihnen manches zu etwas plumpem Illusionismus verrutscht. Auf einem Kegelsockel platzieren sie ein muldenartiges Stadionoval, das sie mit drei Bögen überwölben, die die drei Städte Tripolitaniens repräsentieren sollen.

Kick-off, Kult und Politik

Für die meisten Kommunen sind Sportarenen ein essenzieller, fast unverzichtbarer ökonomischer Faktor. Für Staaten ist Profifußball ein volkswirtschaftlich lukratives Segment. „Im Jahr 2004“, rechnete Harald Irnberger am Beispiel Brasiliens vor, „wurden an die 860 Spieler an Vereine in 82 Staaten verkauft und damit etwa 15 Milliarden Dollar erlöst, was drei Prozent des brasilianischen Bruttoinlandsproduktes entspricht.“ Das Wort „Kick-off“ wird von um diplomatische Seriosität bemühten Ländern wie Libyen ganz wörtlich genommen. Schließlich ist Fußball, so das Wirtschaftsmagazin Euro, der „alles überragende Kult des frühen 21. Jahrhunderts“, weil Fußball eine globale Industrie ist. Er war es aber schon von Anfang an. In England existierte eine Profiliga bereits Ende des 19. Jahrhunderts; Österreich folgte 1925, im selben Jahr die Tschechoslowakei, 1926 Ungarn, 1927 Italien, 1931 Frankreich. Klaus Schmeh in Titel, Tore, Transaktionen: „Schon damals gab es in den Profiligen einen Ausländeranteil von bis zu 30 Prozent; so holten beispielsweise italienische Klubs reihenweise Argentinier italienischer Abstammung zurück ans Mittelmeer.“

Streng antiken Vorgaben folgend, wurde die Basisform lange Zeit nur sacht variiert. Luigi Canonicas Arena di Milano von 1808, das 1924 gebaute Soldier Field in Chicago und das sieben Jahren jüngere Praterstadion, die Olympiastadien in Helsinki und Rom 1952 respektive 1960 atmen alle noch einen ähnlich neoklassizistischen Geist. Erst die letzten Dekaden brachten in Material und Formensprache eine Revolution, eine Formenexplosion mit sich. Das Olympiagelände in München mit Frei Ottos an Pylonen aufgehängten organischen Zeltdächern machte den Anfang. 30 Jahre später baute Eduardo Souto de Moura das an zwei Seiten offene, von Seilen überspannte Stadion in Braga.

Der Sportbau der Gegenwart gehört zu den aufregendsten und zugleich lukrativsten Projekten für Architekten. Stadien werden zu räumlich und gesellschaftlich ausgreifenden Komplexen. Sportevents fungieren immer stärker als politische Akte und national als gelenkte Triebabfuhr für angestaute Unzufriedenheit ob wirtschaftlicher Stagnation und sozialer Krisen. Ins Toreschießen werden Träume projiziert. Das Fußballspiel, meint der Soziologe Gert Hortleder, ist „ein Plädoyer für das Nichtplanbare, für Überraschung und Sensation, für Symbolik inmitten einer sehr nüchternen Realität. Die Begeisterung für den Fußballsport spiegelt den Wunsch einer Gesellschaft nach Irrationalem wider oder den nach Mythen, was nicht unbedingt das Gleiche ist.“ Dass bei all den progressiven Entwurfstechniken und antimythischen High-tech-Materialien vor allem für Emotionen gebaut wird, das wird auch in der Münchner Schau deutlich, gibt es doch einige aufsteigende Sitzreihen mit originaler Stadionbestuhlung und davor eine Videoleinwand, auf der ein Film über Fußball in Südafrika läuft.

Der langjährige deutsche Bundestrainer Sepp Herberger, der den ersten Skandal des deutschen Fußballs auslöste, als er 1921 überführt wurde, für seinen Wechsel vom SV Waldhof Mannheim zum Lokalrivalen VfR als Amateur ein Handgeld von 10000 Mark eingestrichen zu haben, fragte einmal: „Warum gehen die Leute ins Stadion?“ Und gab zur Antwort: „Weil sie nicht wissen, wie's ausgeht.“ Heute ist das zu revidieren, ist doch häufiger die eigentliche Schau-Attraktion die Schau-Architektur. „Wenn alle fort sind“, schrieb der Holländer Cees Nooteboom, „die Spieler auf ihre Zeitungsseiten und die Zuschauer in ihre Häuser, um in der Zeitung von den Spielern zu lesen, liegt dieses nun so verlassene Rechteck wieder grün und in sich gekehrt da, so still wie ein Zen-Garten.“

[ „Von Kapstadt nach Brasília. Neue Stadien der Architekten von Gerkan, Marg und Partner“. Architekturmuseum der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne, München. Bis 20. Juni. Die Begleitpublikation (Prestel-Verlag) kostet im Museum 39 Euro, im Buchhandel 59 Euro. ]

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