Veranstaltung

Santiago Calatrava
Ausstellung
27. März 2003 bis 25. Mai 2003
Kunsthistorisches Museum
Bassano-Saal
Maria Theresien-Platz
A-1010 Wien


Veranstalter:in: Kunsthistorisches Museum

Die gefälligen Monstrositäten des Ingenieurs

Die Architekturen des Spaniers Santiago Calatrava erfreuen sich weltweit enormer Beliebtheit - vor allem bei Nichtarchitekten. Ab kommender Woche werden seine Arbeiten ausgerechnet im Wiener Kunsthistorischen Museum ausgestellt.

22. März 2003 - Ute Woltron
Wilfried Seipel, der Generaldirektor des Wiener Kunsthistorischen Museums, muss ein quasi metaphysisches Erlebnis gehabt haben, als er - eigentlich auf der Suche nach Werken des großen Manieristen El Greco - in Athen zufälligerweise eine Ausstellung der Arbeiten des spanischen Architekten Santiago Calatrava durchwandelte. „Die Faszination, die die ausgebreiteten Objekte und Modelle auf mich ausübten, ließ sich wohl nicht verbergen“, schreibt er im Vorwort eines neuen Calatrava-Kataloges. Der wurde notwendig, weil ab kommender Woche das Kunsthistorische nun ebenfalls in den üppigen Architekturformen des iberischen Baumeisters schwelgen darf. Der faszinierte Wiener Museumsmann übernahm Teile der Ausstellung. Unter dem schlichten Titel Santiago Calatrava ist sie ab kommendem Donnerstag, dem 27. März, bis 18. Mai im Bassano-Saal zu sehen.

Keine Frage, Santiago Calatrava ist ein Star. Ein weltbekannter Konstrukteur gewaltiger und sehr oft völlig unverständlicher Gebilde. Irgendwann einmal war der Architekt, der zugleich die optimierenden Formeln des Bauingenieurwesens studiert hat, auch ein sensibler Planer, und damals konstruierte er sehr schöne und hochelegante Brücken. In Barcelona etwa, in Sevilla oder in Valencia, und für diese spannungsvollen Gebilde großer Anmut wurde er auch vielfach mit wichtigen internationalen Preisen ausgezeichnet.

Mittlerweile ist das Brückenbauen für die drei Büros, die der renommierte Planer in Valencia, Paris und Zürich unterhält, allerdings fast schon zu einem Nebengeschäft geworden. Calatrava baut nunmehr groß und international, er konstruiert großformatige öffentliche Gebäude, Museen und Bahnhöfe - und er tut es nicht einmal annähernd so gekonnt wie früher. Irgendwie scheint die Eleganz, die er im Brückenbau bewies (und häufig immer noch beweist), im Bombastischen seiner Häuser zu ersticken, sie verliert sich zwischen den gewaltigen Stahlbetonrippen, die er in kühnen Bögen durch die Lüfte spannt, und sie lebt auch in den schwülstigen Innenräumen dieser absonderlichen Gebilde nicht auf.

Im gleichen Maße, in dem seine internationale Beliebtheit bei Architekturtouristen wuchs, schrumpfte denn auch sein Ansehen innerhalb der Kollegenschaft. Calatravas Arbeiten werden zwar bewundert, was ihre technische Fertigkeit anbelangt, doch er bemüht damit eine ganz spezifische, eigentlich aufdringliche Formensprache, die sich sehr rasch abnutzt und vielfach als geschmäcklerisch und nicht zukunftweisend empfunden wird. Allerdings nur in der Fachkollegenschaft, denn bei Auftraggebern allerorten ist der Spanier derzeit begehrt wie kaum ein anderer.

Jüngst konnte er mit dem Zubau zum Milwaukee Art Museum - einer enormen vogelgerippeartigen Angelegenheit - das amerikanische Publikum im Sturm für sich erobern. Das Time Magazine erklärte Calatravas Kunsthaus zur besten Architektur des Jahres 2001. Zurzeit spannt der spanische Einzelgänger weltweit verstreut insgesamt fünf Brücken über Flüsse und Kanäle, in Argentinien, Israel, Italien, den Niederlanden und den USA. Drei weitere Bauten befinden sich ebenfalls in Planung bzw. Ausführung, und zwar Opernhäuser in Teneriffa und Valencia sowie ein Hochhaus für das schwedische Malmö. Letzteres zeigt eine erfreuliche Abkehr vom allzu Opulenten und stellt Calatravas bautechnisches Können dennoch unter Beweis: Das Hochhaus wächst geschraubt aus dem Boden, es wirkt schlank, nur ein wenig verspielt und trotzdem fröhlich-originell - und lange nicht so eitel wie viele andere seiner Bauten.

Ein Gegenbeispiel zu Malmö: Für die Weltausstellung in Lissabon errichtete Calatrava einen Bahnhof, der wohl spektakulär gemeint war, dem aber die schauerliche Aura eines Sciencefiction-Gruselfilmes anhaftet. Im ankommenden Besucher erwächst der Eindruck, durch die Skelettlandschaft eines verblichenen Aliens zu wandeln. Knochenartige Gebilde ragen quasi anklagend rundherum empor, sie wuchten mächtige Betonplatten in die Höh', allerdings nicht hoch genug, um ein erträgliches Raumklima zu produzieren. Der Lissaboner Expo-Bahnhof geriet zu einer Stahlbeton-Geisterbahn, der jeder möglichst schnell zu entrinnen trachtet, und letztlich drängt sich die Frage auf: Warum muss der Mann das Bauen um so vieles komplizierter machen, als es ohnehin schon ist?

Gerade dieses so genannte Organische in Calatravas Arbeiten, das der Architekt selbst in jedem Interview betont, das sich auch in seinen künstlerischen Skulpturen ablesen lässt, und das in der Architekturgeschichte wahrhaftig nichts Neues ist, hat es dem Wiener Museumsdirektor Wilfried Seipel offenbar besonders angetan, denn er schwärmt: „Die Affinität und Vergleichbarkeit der konstruktiven, aber auch formal gestaltenden Grundstruktur der Projekte Calatravas mit den Skeletten der Vogelwelt ist evident.“ Zum Glück verfügt man im Naturhistorischen Museum in Wien über eine reiche Sammlung an Vögeln und deren Resten, sodass die Schau nun mit den präparierten Vorbildern Calatravascher Architekturen bereichert werden kann.

Den „kleinen Beitrag zur Architekturdiskussion der Moderne in Österreich“, den Seipel zu erwirken hofft, wird diese Ausstellung selbstverständlich leisten, und auch der Ort, an dem sie stattfindet, ist gerade recht. Calatravas Pfauenfedernarchitekturen sind in einem Kunstmuseum besser aufgehoben als in einer zeitgenössischen Architekturgalerie.

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