Veranstaltung

mega:manifeste der anmaßung
Veranstaltung
10. April 2002 bis 2. Juni 2002
Künstlerhaus
Karlsplatz 5
A-1010 Wien


Veranstalter:in: Künstlerhaus Wien
Eröffnung: Dienstag, 9. April 2002, 20:00 Uhr

Von Babylon bis New York

Die Ausstellung „Mega - Manifeste der Anmaßung“ widmet sich der architektonischen Gigantomanie und sorgt für produktive Verwirrung.

17. April 2002 - Matthias Dusini
„Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, damit wir uns einen Namen machen. (...) Und der HERR sprach: Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des anderen Sprache verstehe!“
Genesis, 11/4

Als Hauptangriffsziel einer antiliberalen, antiwestlichen Allianz nennen Ian Buruma und Avishai Margalit in ihrem kürzlich in der New York Times Review of Books erschienenen und seither breit diskutierten Essay "Der Hass auf den Westen"1 die Stadt. Was Adolf Hitler mit Pol Pot und mit dem eigentlichen Anlass der Analyse, Osama bin Laden, verbinde, sei ein „tiefer Hass auf die Stadt“, der aus religiösem Eifer entsteht und „mindestens so alt ist wie Babylon, die Großmacht der Antike“. Alle drei monotheistischen Religionen - das Christentum, das Judentum und der Islam - hätten das sündige, urbane Babylon mit seinem megalomanen Turm als anmaßende Herausforderung Gottes dargestellt.

Mit Babylon im Rückspiegel möchte die von einem Kuratorenteam (Peter Bogner, Henny Liebhart-Ulm, Anna Soucek, Jan Tabor) geleitete Ausstellung „Mega“ Manifeste der Anmaßung präsentieren - und untermauert diesen Anspruch durch einen thematischen Ausstellungsteil mit dem Titel „Die schöne Ausstellung“, was als selbstironischer Hinweis darauf zu verstehen ist, dass es sich bei dem Projekt insgesamt um alles andere als eine abgeschlossene, museale Schau handelt, sondern um ein experimentelles Projekt mit offenem Ausgang.

Diese Ausstellung in der Ausstellung, die eine Geschichte megalomaner Strukturen skizziert, stellt die biblische Geschichte des Turmbaus von Babel als zentralen Topos dar, der durch einige frühneuzeitliche Abbildungen belegt wird. Der Mythos vom verruchten Babylon wirkt aber bis in den Film der Zwischenkriegszeit nach, wo der amerikanische Wolkenkratzer nicht nur als Fortschrittssymbol auftaucht, sondern - wie eine Auswahl an Filmplakaten belegt - als bedrohliches Katastrophenszenario.

Ein weiterer inhaltlicher Bogen wird anhand von Illustrationen und Architekturmodellen von der technischen Revolution bis zu modernistischen Stadtutopien gespannt. Etwas deplatziert wirkt Friedrich Kieslers Raumbühne, die als Theatermodell in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Thema steht. Adolf Loos' Bürogebäude in Form einer Megasäule für die Chicago Tribune Columne, 1922, steht neben dem Bild „Woman Power“ von Maria Lassnig (1979). Der italienische Künstler Luca Vitone hat ein Modell des Büroturms „Torre Velasca“, dem Symbol der regionalistischen Nachkriegsmoderne in Italien, mit einem Stadtplan überklebt. An der Wand hängen Schnappschüsse des auf dem offiziellen Stadtplan ausgesparten multikulturellen Mailands: albanische Marktstände oder chinesische Restaurants. Leider sind die dazugehörigen alternativen Stadtpläne, die ursprünglich zum Architekturmodell gehörten, nicht mehr vorhanden.

Die moderne kritische Losung der Siebzigerjahre, „Small is beautiful“, wurde in der Ausstellung tunlichst vermieden - ebenso wie jene Beispiele, anhand derer in den letzten Jahren architektonische Megastrukturen diskutiert wurden: die Niederlande, die Boomtowns Südostasiens oder afrikanische Metropolen wie Lagos und Dakar. Das für die Neubewertung von urbanen Megastrukturen maßgebliche kiloschwere Buch „S,M,L,XL“ von Rem Koolhaas, das auf einem Skulpturensockel präsentiert wird, nimmt sich neben dem Blindband des erst am Ende der Ausstellung erscheinenden Katalogs wie ein Leichtgewicht aus.

Durch die Fotoarbeiten der Wiener Künstlergruppe gelatin, die vor zwei Jahren einen kleinen Balkon ins World Trade Center bauten, oder einer Vitrine mit Zeitschriftenabbildungen zum 11. September wird die Metapher vom babylonischen Turm mit tagespolitischer Aktualität aufgeladen. Wobei der Aktualitätsbezug des Projekts im Laufe der Ausstellung noch verstärkt werden soll: Im Treppenhaus stehen meterlange Reihen von Ordnern, in denen neben Informationen der eingeladenen Architekturbüros auch Zeitungsausschnitte zu Themen wie Babylon, Futurismus oder Metropole gesammelt werden. Der Ordner zum Thema Globalisierung in Österreich enthält vorerst nur einen Text - über die geplante Schließung des Virgin Megastores in Wien.

Ein Großteil der Ausstellungsflächen stand während der Eröffnung noch leer. Das Konzept sieht vor, dass die Projekte der geladenen Büros zunächst als Plakatmanifeste an der Wand hängen und dann schrittweise auf schreibtischgroßen Bodenplatten realisiert werden. Manches ist schon fertig: Ein Holzturm von Raith + Gallister oder eine Hütte der Sixties-Avantgardisten Zünd Up; das meiste nicht - es wird wachsen „wie eine richtige Stadt“, erklärt Kurator Peter Bogner. Darüber hinaus werden noch jede Menge Workshops, Vorträge und Diskussionen „angesiedelt“ (Infos: www.mega-architektur.at).

Als Konzept ist „Mega“ von der imposanten Wucht einer Barockorgel. Es wird allerdings schwierig sein, dieses kuratorische Präludium mit einer ähnlich opulenten inhaltlichen Fuge fortzusetzen. Mit achtzig geladenen Teilnehmern erhebt die Ausstellung Anspruch auf beinahe babylonische Vermessenheit - und hat durch ihre produktive Vielschichtigkeit eine nicht minder babylonische Sprachenverwirrung erzeugt.

1 Die deutsche Übersetzung ist über die Internetseiten der „taz“ (www.taz.de) abrufbar.

Bis 2.6. im Künstlerhaus.

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