Veranstaltung

Vorarlberg − Ein Generationendialog
Ausstellung
Vorarlberg − Ein Generationendialog © Nicolai Dörler
17. März 2020 bis 5. September 2020
vai Vorarlberger Architektur Institut
Marktstraße 33
A-6850 Dornbirn


Die Vorzeige-Baukünstler

Wir müssten eigentlich nicht wieder aufzählen wie Vorarlberg mit ressourcenschonender Architektur, partizipativen Siedlungsprojekten, innovativen Schulbauten, auch durch die aufs Wesentliche reduzierten und dem Handwerklichen stark verbundenen Einfamilienhäusern zur Vorzeigeregion wurde. Aber so ist es eben. Vier der Vorarlberger Baukünstler aus den legendären Anfangszeiten haben ihren Vor- bzw. Nachlass dem Architekturzentrum Wien vermacht. Und mit dem SammlungsLab hat das Az W neuerdings ein Ausstellungsformat kreiert, das die Schätze aus dem Archiv in den Blick rückt. So entstand die Idee, einen Generationendialog zwischen den Pionieren der Baukünstlerszene – Hans Purin, Rudolf Wäger, Gunter Wratzfeld und Karl Sillaber (Architektengemeinschaft C4) – und den „Jungen“ – Bettina Götz, Richard Manahl (ARTEC), Bernardo Bader, Andreas Cukrowicz, Anton Nachbaur, Matthias Hein und Helena Weber – zu führen. Die Kuratorin ist Sonja Pisarik vom Az W.

Die jüngere Generation bezieht sich mit je einem aktuellen, eigenen Projekt auf insgesamt sechs Bauten aus dem Archiv. Das Spannende an der Ausstellung sind jedoch die filmischen Begegnungen an Originalschauplätzen in Vorarlberg. Die ORF-Journalistin Ingrid Bertel ist prädestiniert dafür, diese zu inszenieren, ist sie doch selbst in der Siedlung Halde von Purin aufgewachsen. Die große Herausforderung war jedoch, dass mit Hans Purin und dem im Frühjahr 2019 verstorbenen Rudolf Wäger zwei wichtige Protagonisten fehlten. Sollte man die zwei bei den Dialogen einfach weglassen? Nein, das kam für Ingrid Bertel nicht in Frage. Sie hatte doch reichlich Filmmaterial und vor kurzem ein Österreich Bild (Pionierleistungen – 50 Jahre neue Vorarlberger Bauschule, September 2018, ORF 2) gestaltet.

An den Tisch setzten

Als Bindeglied zwischen Ausstellung und Filmen fungiert ein eigens entworfener Tisch, der zu allen Schauplätzen mitgereist ist und in der Ausstellungsarchitektur wieder auftaucht. Der Vorarlberger Designer Robert Rüf zeichnet dafür verantwortlich. „Die Situation war schon eigenartig, am Tisch zu sitzen, vor mir der Laptop mit den vorbereiteten Gesprächs-Sequenzen von Rudolf Wäger und daneben die Filmkamera“, berichtet Matthias Hein, der als Ambiente für diesen Dialog das gerade fertiggestellte Kinderhaus in Kennelbach ausgesucht hat. In diesem letzten, so wertvollen Interview von Ingrid Bertel mit Wäger waren vielfältige Anknüpfungspunkte zu finden. „Ich schätze seine Architektur sehr und auch die prägnante, einfache Art wie Rudl Dinge mit dieser Selbstsicherheit auf den Punkt bringt. Ich denke, das Kinderhaus passt gut dazu, weil ich hier versuchte, das Formale zurücktreten zu lassen und das Neue mit den räumlichen Verschränkungen im Inneren hineinzubringen.“

Bernardo Baders Dialogpartner ist ebenfalls Wäger. Der Tisch steht nun in seinem vielbeachteten Projekt „Islamischer Friedhof“. Eine der wenigen Regieanweisungen von Ingrid Bertel war, sich nicht allzu konkret auf die Bauten zu beziehen, sondern auf Qualitäten und größere Themen. Das gelingt in diesem Gespräch sehr gut, der Bogen wird bis zu aktuellen Baugruppenprojekten gespannt.

Nachhaltigkeit

Der Spirit der 68er-Jahre, auch mit dem gemeinschaftlichen Bauen, zeigt sich bei der Siedlung Halde in Bludenz deutlich. Damit beginnt ja eigentlich jede Erzählung über die Vorarlberger Baukünstlerbewegung. Die Architektin Bettina Götz ist hier aufgewachsen, was sehr prägend für ihr Berufsleben war. Also sitzen sie und Richard Manahl am Dach der Telegrafenstation hinter der oberen Häuserreihe der Halde und reagieren auf die Einspielungen über Hans Purin. Als Projekt haben ARTECs ihre Wohnhausanlage „Die Bremer Stadtmusikanten“ in Wien ausgewählt. Eine gute Überleitung zur Siedlung an der Ach, die 1971–1982 in Bregenz entstanden ist: Geplant von Jakob Albrecht, Eckehard Schulze-Fielitz und Gunter Wratzfeld begibt sich letztgenannter mit den beiden ebendort in Diskussion: „Dichte führt nicht automatisch zu Problemen, Dichte kann auch Qualität haben.“

Mit Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur setzt sich Gunter Wratzfeld hingegen im für ihn sehr wichtigen Kindergarten Koblach (1996–98) an den Tisch. Cukrowicz Nachbaur Architekten wiederum, begeben sich im von ihnen ausgewählten Projekt „vorarlberg museum“ mit Karl Sillaber in den Dialog. Der Reigen setzt sich mit Matthias Hein fort, der Karl Sillaber in der Volksschule Nüziders begegnet. Dieses 1958–1963 entstandene Gebäude der Architektengemeinschaft C4 wird auch in der Ausstellung präsentiert. „Das war ein besonderer Tag für mich“, sagt Matthias Hein, „mit welcher Freude und Gründlichkeit Karl mich durch diese Schule führte und mir dann im Hof stehend jeden einzelnen Gipfel des Bergpanoramas benannte, den er bereits erklommen hat.“ Karl Sillaber tritt noch einmal mit Helena Weber auf. Und zwar nicht von ungefähr in der Volksschule in Lustenau Hasenfeld, hat die Architektin doch das von C4 geplante Bauwerk jüngst saniert.

Vorarlberg – eine Insel der Seligen? Das Rheintal ist eine der dynamischsten Agglomerationen Europas mit durchaus „raumgreifenden“ Entwicklung: Mittlerweile ist es nach Wien und Graz der am dichtesten besiedelte Ballungsraum Österreichs. „Schaffa, schaffa, Hüsle baua“ war lange Zeit Programm. Neben vereinzelten Versuchen, verdichtetes Wohnen durchzusetzen, entstanden in den letzten Jahrzehnten unzählige Einfamilienhäuser. Der rasante Verbrauch von Grünflächen führte zu einer voranschreitenden Zersiedelung und mittlerweile ist finanzierbarer Grund Mangelware. Wäre es nicht wichtig, den Stimmen von damals wieder mehr Gehör zu schenken? Wie schafft man behutsame Nachverdichtung, die einerseits die landschaftlichen Gegebenheiten pflegt und andererseits den dringend benötigten Wohnraum liefert? Schon Friedrich Achleitner konstatierte, dass Dichte nicht ein rein ökonomischer Wert ist: „Sie bedeutete in der Entwicklung der Menschheit immer auch gesellschaftliches Leben, Information, Kultur, also die Potenzierung individueller Fähigkeiten in der Gemeinschaft.“

[ Der Text erschien in der März-Ausgabe 2020 von KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, http://www.kulturzeitschrift.at ]

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