Veranstaltung

Critical Care | Architektur für einen Planeten in der Krise
Ausstellung
Critical Care | Architektur für einen Planeten in der Krise © Filip Dujardin
28. Januar 2021 bis 30. April 2021
vorarlberger architektur institut
Marktstraße 33
A-6850 Dornbirn


Sorgfältig Weiterdenken

2. Februar 2021 - Martina Pfeifer Steiner
Good News! »Critical Care« ist ein Plädoyer für eine neue Haltung in Architektur und Urbanismus. Die Suche nach positiven Konnotationen für Sorgsamkeit fällt recht ergiebig aus: Behutsamkeit, Aufmerksamkeit, Augenmerk, Bedacht, Umsicht, Achtsamkeit, Besonnenheit, Hingabe, Interesse, Wachsamkeit, Fürsorge, Rücksichtnahme, Behutsamkeit. Unser Planet braucht das, um den Menschen und allen Wesen Lebensqualität zu bieten! Architektur beschäftigt sich immer mit der Zukunft und hat großes Potenzial diese zu verändern – die Beziehungen zwischen Ökonomie, Ökologie und Arbeit grundsätzlich zu denken, mit neuen Allianzen und selbstverständlich interdisziplinär.

Die Wanderausstellung des Az W – Architekturzentrum Wien zeigt anhand von aktuellen Beispielen aus Asien, Afrika, Europa, der Karibik, den USA und Lateinamerika, dass Architektur und Stadtentwicklung sich durchaus dem Diktat des Kapitals entziehen sowie mit Ressourcen und Arbeit achtsam umgehen kann, und gruppiert die Projekte nach fünf Themen: Sorgetragen für Wasser, Grund und Boden, den öffentlichen Raum, für Fertigkeiten und Kenntnisse, Reparatur sowie für die lokale Produktion. Das Stadtentwicklungsgebiet am Wiener Nordbahnhof ist ein großmaßstäbliches Beispiel, bei dem die „Freie Mitte“ mit ihrer urbanen Wildnis der Verdichtung mit Wohn- und Bürobauten im neuen Stadtviertel widersteht. Die natürlichen, kulturellen und sozialen Ressourcen sind Ausgangspunkt für einen Partizipationsprozess, der alte Wasserturm und die Nordbahnhalle bleiben als kreativ bespielbare Stätten erhalten.

Ein Wiedersehen

Wir erinnern uns an eine ungemein inspirierende Ausstellung 2012 im vai über die belgischen Architekten de vylder vinck taillieu. Diese tragen ein sehr spezielles Rettungsprojekt bei. Bevor auch noch der letzte, über Jahrzehnte ungenutzte, prächtige Pavillon am Rande des Parks einer Psychiatrischen Klinik abgerissen wurde, überzeugten sie mit der Idee, die Ruine in einen großzügigen öffentlichen Raum mit Pflanzen und Tieren zu transformieren. Lacaton & Vassal ist ebenfalls schon aus „Inhabiting. Pleasure and Luxury for Everyone“ bekannt und es wurde im Mai 2019 auch das Wohnbau-Sanierungsprojekt in Bordeaux im vai präsentiert. Anstatt die Großwohnsiedlungen aus den 1960er-Jahren zu sprengen, entwickelten sie ein nachhaltiges und viel ökonomischeres Konzept, bei dem unter Beteiligung der BewohnerInnen mit einfachen thermischen Maßnahmen und Zufügung einer zweiten luziden Raumschicht aus Wintergarten und Balkon, die Wohnhochhäuser umgerüstet wurden.

Auch Anna Heringer widmete das vai mit „Didi Textiles“ im März 2019 eine Ausstellung. Im kleinen Dorf Rudrapur in Bangladesh baute sie gemeinsam mit der Modemacherin Veronika Lena und der gemeinnützigen lokalen Organisation Dipshikha die lokale Textilproduktion auf. Es ging darum eine Alternative zu zeigen und den Menschen das Leben und Bleiben in ihren Dörfern zu ermöglichen. In diesem Projekt werden die textilen Ressourcen mit Handwerk veredelt – und aus alten Saris Designprodukte.

Regionalentwicklung

Architektur als Akupunkturtherapie zum ländlichen „Upgrading“ gelang der Pekinger Architektin Xu Tiantian in der chinesischen Region Songyang. In Zusammenarbeit mit den Dorfgemeinschaften, lokalen HandwerkerInnen und den Kommunen wurde in wenigen Jahren ein neues „rurales Selbstbewusstsein“ in Gang gesetzt. Mit minimalen Interventionen begannen sie die vorhandenen Ressourcen und oft schon vergessene handwerkliche Traditionen einzubinden, um zentrale Elemente der Dorfsubstanz sowie Dorfgeschichte zu wahren und positive Zukunftsperspektiven für die kulturelle, soziale und ökonomische Entwicklung zu schaffen, wie bei der Tofu Fabrik in Caizhai, die mit einer Erweiterungsstruktur in Holzkonstruktion, gefertigt von den lokalen HandwerkerInnen, nun gleichzeitig Produktionsstätte, öffentlicher Raum, Veranstaltungszentrum und touristischer Anziehungspunkt ist.

Ein weiteres Modellprojekt für nachhaltige Dorfentwicklung gibt es in der chinesischen Provinz Sichuan, wo nach zerstörerischen Erdbeben und Erdrutschen ein beispielgebender Wiederaufbau gelang. Man möchte hier alle Interventionen anführen, es darf jedoch noch neugierig gemacht werden auf ein ehemaliges Kaufhaus in São Paulo, das in ein soziales Kultur-, Sport- und Gesundheitszentrum umgebaut wurde, mit öffentlichen, luftigen Wegen, die als Rampen bis zum Swimmingpool am Dach leiten. Oder auf die stimmungsvolle Reaktivierung eines brachliegenden römischen Bewässerungssystems inmitten von jetzt öffentlich zugänglichen Kleingärten in Spanien. Oder auf ein spektakuläres urbanes Projekt: In Kolumbien wurde ein Drittel der Wasserspeicheranlagen von Medellin in einen neuen, sicheren öffentlichen Raum für die benachteiligten Nachbarschaften verwandelt. Und noch ein Blick nach Jordanien, wo gemeinsam mit den BewohnerInnen und den geflüchteten Menschen 100 kuppelartige Klassenräume für die Kinder errichtet wurden, in traditionellen und klimagerechten Lehmbaumethoden.

Was für ein Glück, dass Clemens Quirin das Ausstellungskonzept für die Räumlichkeiten des vai Vorarlberger Architektur Institut adaptieren konnte und somit auch in Vorarlberg alle 21 Projekte mit ihren großformatigen Bilderzählungen, Modellen und Filmen präsentiert werden. Ein 15 Meter langer, 3 Meter breiter Tisch, der die ansonsten den Raum zerteilenden Säulen gekonnt integriert, schafft in großer Geste eine wohltuende Übersichtlichkeit. Es ist ratsam, sich für diese Ausstellung reichlich Zeit zu nehmen, auch für die Videos, die Hintergründe zu den Entstehungsprozessen vermitteln und die AkteurInnen zu Wort kommen lassen. Umsichtige Zusammenarbeit ist immer konkret und entsteht aus den spezifischen lokalen Verhältnissen und Bedingungen. Wenn solche weltweiten Initiativen dokumentiert und geteilt werden, gibt das Mut und Hoffnung für ein gutes Leben auf unserem Planeten.
[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, http://www.kulturzeitschrift.at ]

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