Veranstaltung

Boden für Alle
Ausstellung
Boden für Alle © Darko Todorovic
29. September 2021 bis 22. Januar 2022
vorarlberger architektur institut
Marktstraße 33
A-6850 Dornbirn


Eröffnung: Dienstag, 28. September 2021, 19:00 Uhr

Kostbarer Boden

12. Oktober 2021 - Martina Pfeifer Steiner
Boden – in aller Munde. Inzwischen berichten die Medien beinahe täglich darüber. Boden – das brisante Thema. Die fortschreitende Versiegelung trägt maßgeblich zur Klimakrise bei und gefährdet die Ernährungsgrundlagen der Menschen. Die Spekulation und Hortung von Grundstücken verteuert den Wohnbau und führt zu einer schleichenden Privatisierung des öffentlichen Raums. Die Verdrängung städtischer Produktionsbetriebe verstärkt die Monofunktionalität. Außerhalb der großen Zentren finden wir uns in einer Landschaft mit Einkaufszentren, Chaletdörfern und Einfamilienhaus-Teppichen wieder, während die Ortskerne veröden und das Verkehrsaufkommen explodiert. Raumplanungsgesetze, Steuergesetzgebung und Förderwesen gehören gründlich hinterfragt. Das Az W Architekturzentrum Wien hat sich diesem Thema fundiert angenommen und schickt die eindringliche Schau „Boden für Alle“ in zwei mobilen Varianten auf Wanderschaft durch ganz Österreich. Zum brandaktuellen Diskus in Vorarlberg macht sie im vai halt.

Boden ist kein Joghurt

Anschaulich und konkret, kritisch und manchmal unfreiwillig absurd erläutert die Ausstellung politische, rechtliche und wirtschaftliche Hintergründe: Wie wird Grünland zu Bauland? Wer plant die Raumplanung? Wieso steigt der Preis für Grund und Boden? „Kaum ein Politiker hat mehr eine Ahnung von fundamentaler Bodenökonomie und weiß, was das wirtschafts-, demokratie- und sozialpolitisch überhaupt bedeutet. „Das regelt der Markt“, jaja. Was soll das denn für ein Markt sein? Wenn die Leute mehr Joghurt essen, was machen die Produzenten? Mehr Joghurt. Und wenn die Nachfrage nach Joghurt wieder sinkt, dann produzieren sie weniger. Das ist Markt. Aber Boden? Sie können dieses Gut ja nicht vermehren!“, so wird eine Schweizer Nationalrätin zitiert. Adäquat plakativ, in kräftigen Farben, übersichtlich und grafisch an Mind-Maps erinnernd, bis zur Karikatur ausgereizt, kommen die Botschaften rüber: „GrundeigentümerInnen in Kitzbühel können bei der Umwidmung von Grünland in Bauland und anschließendem Verkauf bis zu 15.937 % Gewinn machen“. Nein, es handelt sich hier nicht um einen Tippfehler! „Pro Minute werden in Österreich 9,89 m² Straßen gebaut.“ „Zwischen 1951 und 2016 ist die landwirtschaftlich genutzte Fläche um beinah die Größe der Steiermark zurückgegangen.“ Bodenpolitik hat mit uns allen zu tun und diese Ausstellung will vor Ort aufrütteln.

Vorarlberger Ansätze

Die vier, auch in der begleitenden (sehr wichtigen!) Publikation eingeschobenen Kapitel „Gutes auf den Boden bringen“ zeigen Alternativen auf. Es finden sich sogar zwei Best-Practice-Beispiele aus Vorarlberg darunter! Im vai illustriert zusätzlich eine Tafel der Landesraumplanung das „Raumbild Vorarlberg“ sehr anschaulich. Auch der Verein Bodenfreiheit wird in Dornbirn mit aufrüttelnden, brisanten Fragestellungen ausführlicher behandelt. Im Buch erfährt man, wie diese Gruppe Gleichgesinnter mit höchst innovativen Mitteln um die Freihaltung von Boden kämpft. Es gelingt dem Verein mitunter an strategisch wichtigen Orten kleinere Grundstücke „frei“ zu kaufen, sie haben aber obendrein mit dem Instrument des Gehrechts eine Möglichkeit entdeckt, Freiflächen zu sichern. Mit Rücksicht auf landwirtschaftlich auferlegte Beschränkungen wird das Recht erworben über den Grund zu spazieren, der dadurch nicht mehr bebaut werden darf.
Das zweite Vorarlberger Beispiel antwortet auf die Zersiedelungsproblematik und präsentiert eine modellhafte Masterarbeit (Kunstuniversität Linz, Studienrichtung Architektur), die sich der Nachverdichtung einer bestehenden Einfamilienhaussiedlung in Götzis „Unter der Bahn“ widmet. Neun freistehende Einfamilienhäuser aus den 1950er, 70er-Jahren in einem bestehenden Siedlungsgebiet werden unter die Lupe genommen. Besonderheit, vielleicht auch Zeichen von Aufgeschlossenheit, ist der gemeinsame Garten zwischen den Häusern, der ohne Zäune auskommt. Im Forschungsprojekt wurden fünf Nachverdichtungsmuster – Cluster, Hofhäuser, Winkelhofhäuser, Blockrand – geprüft, die für bis zu achtmal mehr Menschen Wohnraum bieten könnten. Die Variante mit Blockrandbebauung kam bei den EigentümerInnen am besten an, weil die Grünflächen komplett erhalten bleiben würden. Interessant war jedoch auch der Cluster-Vorschlag, der die Typologie von freistehenden Häusern fortführt. Ein bevorstehender Generationenwechsel könnte hier wohl zur Bereitschaft umzudenken beitragen, neben den Argumenten für die Verringerung der relativen Baukosten, die Vermeidung von sozialer Vereinsamung und Anpassung der Wohnfläche an die individuellen Bedürfnisse.

Radikale Transformation

Neben solchen regionalen Akupunkturen kommen in der Ausstellung auch spektakuläre internationale Projekte wie die zwei Umnutzungen von Verkehrsbauten in Seoul vor: Vor mittlerweile 20 Jahren entschied sich die Hauptstadt Südkoreas für den ersatzlosen Abriss einer knapp 6 km langen Stadtautobahn und die Freilegung des darunterliegenden zubetonierten Flusses. Der nun freigelegte Cheonggyecheon-Kanal bringt mit seiner höchst reizvollen, mannigfaltigen Landschaft nicht nur Lebensqualität und Biodiversität in die Stadt, sondern dient auch dem Hochwasserschutz. Ein erstaunlicher Nebeneffekt ist der verbesserte Verkehrsfluss. Ein Erklärungsmodell für dieses Phänomen könnte das Braess-Paradoxon (1968 vom deutschen Mathematiker Dietrich Braess veröffentlicht) sein: Unter der Annahme, dass jeder Verkehrsteilnehmer seine Route so wählt, dass es keine andere Möglichkeit mit kürzerer Fahrtzeit gibt, zeigt das Modell, dass eine zusätzliche Handlungsoption zu einer Verschlechterung der Situation für alle führen kann. Es entsteht das paradoxe Situation, dass der Bau einer zusätzlichen Straße – also eine Kapaziätserhöhung – bei gleichbleibendem Verkehrsaufkommen, die Fahrtdauer für jeden einzelnen Autofahrer erhöht. Mit der Transformierung einer vierspurigen Stadtautobahnabfahrt in eine parkähnliche Fußgängerbrücke mit Gärten, Teecafés, Blumenläden, Bibliotheken und Gewächshäusern gab es 2017 in Seoul noch eine großangelegte Draufgabe für nachhaltige Stadtentwicklung.

Doch bleiben wir bei den Autobahnen! Ist dieses bodenvernichtende Themenfeld ausreichend mit der Landesraumplanung verknüpft? Warum werden bei diesen immensen Eingriffen in die Natur die LandschaftsarchitektInnen nicht zwingend in die Projektierung eingebunden? Warum dürfen die StraßenplanerInnen unbeachtet und undiskutiert so absurd viele Bodenflächen versiegeln? Die Herausforderung zur Ressource Boden betrifft nicht nur ALLE sondern ALLES.
[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, http://www.kulturzeitschrift.at ]

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