Veranstaltung

Die Revision der Postmoderne
Ausstellung
29. Oktober 2004 bis 6. Februar 2005
Deutsches Architektur Museum
Schaumainkai (Museumsufer) 43
60596 Frankfurt / Main


Veranstalter:in: Deutsches Architekturmuseum (DAM)

Geschichte ohne Falten

Beobachtungen zur Ausstellung «Revision der Postmoderne» in Frankfurt

Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt widmet seine neuste Ausstellung der «Revision der Postmoderne». Anhand von über 300 Zeichnungen, Modellen und Fotografien vergleicht sie Arbeiten postmoderner Pioniere mit Beispielen zeitgenössischer Architektur. Die Schau erlaubt damit neue Blicke auf eine architekturgeschichtliche Strömung, die es liebte, die Moderne mit historischen Bildern zu maskieren.

4. Dezember 2004 - Werner Oechslin
Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt begeht seinen 20. Geburtstag und feiert damit auch seinen Bau mit Oswald Mathias Ungers' «Haus im Haus». Von dieser Idee eines übergiebelten Hauses im Kern einer umgebauten Villa abgesehen, war und ist diese Architektur in erster Linie weiss, kubisch und autonom. Sie entspricht somit präzis jener Kurzformel, die Ungers' Kollegen und Generationsgenossen, Alison und Peter Smithson, noch in den fünfziger Jahren der modernen Architektur als Wesensdefinition zugedacht hatten. Das in den Raum hineingestülpte kleine Haus gibt sich zudem als Variante all jener Urhütten zu erkennen, die in moderner Zeit mehr denn je zuvor an die Stelle historischer Erörterung gesetzt wurden. Kein Grund also, Ungers, der das Haus für die von Heinrich Klotz an dieser Stelle 1984 initiierte «Revision der Moderne» erbaute, der Postmoderne zuzuordnen. Ungers selbst hat sich damals wie heute vehement dagegen gewehrt, als postmoderner Architekt klassifiziert zu werden. Wer möchte nicht ein moderner Architekt sein - und wer liesse sich durch das Attribut «postmodern» stigmatisieren!

Ein Blick Zurück

In ihrer Frankfurter «Revision der Postmoderne» haben Ingeborg Flagge und Romana Schneider klugerweise darauf verzichtet, der Postmoderne ihre (end)gültigen Stilmerkmale zuzuweisen. Das erübrigt sich. Denn Charles Jencks, der wie kein Zweiter die Ismen dieser Periode lancierte, hat dies längst besorgt. Er fügte die zugehörigen Begriffe in eine Matrix, der neben der Rubrik der Moderne und der Postmoderne auch noch jene der naiv-unbewussten Fortführung der Moderne in einer Spätmoderne zugehört. Alles ist darin - in gewohnt kunsthistorischer Manier - auf die Linie gebracht: vom Einfachen zum Komplexen, vom Puristischen zum Eklektischen, von der geradlinigen zur hybriden Aussage und selbstverständlich vom Nicht-Stil des alles dominierenden «einen» International Style über den Unconscious Style der Spätmoderne zum berühmten Double-coding of Style, der wohl verbreitetsten Kennzeichnung der architektonischen Postmoderne. Selbstverständlich ist dies alles und vieles mehr an den Bauten - ihren «Phänotypen», ihren Erscheinungsformen - abgeschaut. Denn in der Fixierung auf die Oberfläche hat sich die Postmoderne kein Jota von der Moderne wegbewegt, sosehr die Doppelkodierung vordergründig alle neuen und alten Inhaltsdimensionen der Architektur zu erschliessen schien: in Jencks' Liste von «pro-metaphor» über «pro-historical reference» und «pro-humour» bis «pro-symbolic».

Die Ausstellung im DAM in Frankfurt begnügt sich stattdessen mit einem Blick zurück und beschreibt einige mögliche Fährten, die von dort in unsere heutige Zeit hineinreichen. Man begegnet also den Ikonen von 1980. Dabei drängt sich einem zuweilen ein Eindruck auf, der auf diese Weise wohl kaum intendiert gewesen sein kann. Die postmodernen Bildwelten sind in die Jahre gekommen, ohne dass man ihnen das Altern ansehen würde. Sie sind weniger Geschichte als blosse Vergangenheit. Die Bauten haben Falten gekriegt, die nicht erwünscht sind und die man lieber verdecken möchte. All das verträgt sich schlecht mit der damals postulierten Wiederentdeckung der Geschichte. Man denkt also eher an die immer kürzer gewordenen Zyklen neuer Bilderscheinungen und andererseits an die von der Moderne geforderte Geschichtslosigkeit, das Aufgehobensein in einer zeitlos gültigen Welt, womit man die grösste aller Utopien der Moderne beschreibt. Daran hat sich mit der Postmoderne, so die Vermutung, kaum was geändert. Sie wurzelt in der modernen Welt. Sie hat den Gang der Dinge weder aufgehalten, noch hat sie sich - Ausnahmen vorbehalten - wirklich in ein wesenhaft Geschichtliches hineinvertieft. Damit ist sie zumindest konform. Und konform ist die Kultur und sind die Kulturinstitute schon längst. Unsere Welt lebt immer noch von modernen Fiktionen trotz allen längst historisch gewordenen Warnungen wie denjenigen der «Grenzen des Wachstums». Sie behält ihren naiven Optimismus, ist immer noch einseitig und zuweilen blind zukunftsgläubig und hat mangels Visionen je länger, je weniger brauchbare Vorstellungen von der Zukunft.

Halbwertszeit von Bauikonen

Der Architektur fällt immer wieder die Aufgabe zu, all diese unterschiedlichen Aspekte in möglichst suggestiven Bildern vor Augen zu führen beziehungsweise zu verdecken. Und häufig genug tun das Architekten mehr als willfährig. Rund um Ground Zero hat Daniel Libeskind seine Presseauftritte im Look eines Raumschiffkapitäns aus der Science-Fiction-Welt gestaltet. Er ist nur einer von vielen, deren Marktwert sich nach dem Bekanntheitsgrad der von ihm geschaffenen Icons richtet. So ist insgesamt zumindest die moderne Versprechung der Form in Erfüllung gegangen, die schon Hermann Muthesius 1911 in seinem Werkbund-Vortrag «Wo stehen wir?» als «höhere Architektonik» bezeichnete, «die zu erzeugen ein Geheimnis des menschlichen Geistes ist, wie dessen poetische und religiöse Vorstellungen».

Aber auch diese Formen sind der Zeit ausgesetzt. Selbst die glänzenden Bauten der ersten, zweiten und dritten High-Tech-Generation sind dem unterworfen. Sie altern zwar nicht, aber ihre Halbwertszeit ist im Einvernehmen mit der daran interessierten Bauwirtschaft festgesetzt, dient der Investitions- und Amortisationsplanung und garantiert, dass unsere Bauten stets möglichst neu und zeitlos erscheinen. Der «Faktor Zeit» ist eine wirtschaftliche, keine kulturelle Grösse. Das Zeitmass ist standardisiert und auf zeitlos-neu getrimmt. Älter werden ist hässlich und vermeidbar. Eine sichtbare Geschichte, Ruskinsche Vorstellungen, der ästhetische Wert von Altersspuren sind ausgeklammert. Hinter jeder Patina schlummert schliesslich der Hausschwamm, und Verfallserscheinungen gehören nicht in unsere Welt. Selbst auf den archäologischen Feldern ist man wieder vermehrt darum bemüht, Säulen neu aufzurichten, damit unserer mangelnden Vorstellungskraft ein konkretes Bild gegenübergestellt wird. Der Hinweis auf «missverstandene Fortschrittsideen» und «unangebrachte Verschönerungs- und Neuerungssucht» hat uns zwar seit Max Dvoraks «Katechismus der Denkmalpflege» (1916) begleitet, aber die Verdrängung der Geschichte charakterisiert die moderne Zeit bis heute weit mehr als eine gegenteilige Position.

Es bleibt das Altwerden, gegen das die moderne Architektur mit allen formalen Mitteln von Anfang an Sturm lief. Mit ihrem Hang zu Zeitlosigkeit und Objektivität flüchtete sie sich schon früh in die Arme der «Klassizität», wozu die Postmoderne mit ihrem vorübergehenden Flirt mit der Säule lediglich eine weniger abstrakte Variante bot. Schon 1911 entdeckte Walter Gropius «neben den bisherigen Forderungen nach technischer und wirtschaftlicher Vollkommenheit ein Verlangen nach Schönheit der äusseren Form» und kündigte daraufhin - durchaus visionär - die ästhetische Ausgestaltung der modernen Architektur «in Bezug auf Geschlossenheit der Form, auf Farbe und auf Eleganz des ganzen Eindrucks» an. Eleganz als ästhetischer Imperativ der Moderne, glatte Haut, faltenlos! Das war und ist es wohl, was man sich immer noch von der Architektur erhofft. Es beschreibt den Mainstream der Moderne auch in spät- und postmodernen Zeiten. Man hat zwar den «Teint» gelegentlich «brutalistisch» aufgeraut und postmodern belebt. Im Übrigen bleibt es dabei, beim Hochglanz.

Ausserhalb dieser Orthodoxie hat der Autor des «Verschimmelungsmanifestes», Friedensreich Hundertwasser, den höchsten je erzielten Popularitätsgrad eines Architekten erzielt. Er hat am ehesten der berühmten Kritik Ortega y Gassets, die Moderne erreiche die Massen nicht, etwas Konkretes entgegengesetzt. Das müsste zu denken geben. Es lässt sich nicht mit der tendenziös gestellten Frage «Populismus oder Baukunst» beiseite schieben.

Inzwischen hat die Verschimmelung auch die eleganten Bauten der Moderne und Postmoderne erreicht. Icons werden zuweilen überflüssig; man scheidet sie aus dem Kanon orthodoxer Architekturbetrachtung aus. Charles Moores «Piazza d'Italia» in New Orleans, um 1980 gefeiert, hat die Architekturdiskussion nicht nachhaltig bestimmt. Man liest jetzt im Frankfurter Katalog zur Revision der Postmoderne, dieses «ambitionierte Projekt postmoderner Stadterneuerung» sei von den Bewohnern nie wirklich angenommen worden. Nun werde die «städtebauliche» Anlage zum Eingangsbereich eines Hotels umfunktioniert. Sollte die Postmoderne tatsächlich städtebauliche Ambitionen gehabt haben, und niemand möchte das wirklich bestreiten, so sind diese im Falle der «Piazza d'Italia» der Privatisierung anheim gefallen. Was städtisch gedacht war, ist jetzt Lifestyle- und Wellness-Ornament. Oder war die «Piazza d'Italia», trotz den humanistischen Intentionen ihres Erfinders, doch nur ein Bild, ein kulturgeschichtliches Versatzstück?

Historismus der Moderne

Man kann ex negativo schliessen: Insofern auch die Postmoderne nicht gelernt hat, mit Geschichte wirklich umzugehen, ist sie Teil der Moderne. Umso weniger mangelt es uns an eleganten und formschönen Bauten, modernen wie spät- und postmodernen, weshalb man wohl doch alles am besten in ein Bild der architektonischen, der Form verpflichteten Moderne einfügt. Dem darf man noch die ähnlich unkorrekte, postmoderne Variante des Syllogismus gemäss Andy Warhol anfügen: «Das Schönste an Tokio ist McDonald's / das Schönste an Stockholm ist McDonald's / das Schönste an Florenz ist McDonald's / Peking und Moskau haben bis jetzt noch nichts Schönes.» Auch diese Versprechungen der Moderne sind mittlerweile längst eingelöst. Es geht - global - in diesem Sinn einer diskurslosen Welt der affirmativen Bilder und Hauptsätze weiter. Wir haben unsere - veralteten - Bilder längst nach Schanghai verkauft. Kurzum, wir befinden uns in der voll entwickelten Phase des Historismus der Moderne, der Reproduktion ihrer Bilder.

Diese Sichtweise hat Nikolaus Pevsner schon 1936 in «Pioneers of modern architecture» vorweggenommen: «our circle is complete». Mit Gropius sei die moderne Versprechung eingelöst worden, der Jahrhundertstil sei mit ihm zur vollkommenen Entfaltung gelangt. Zum Entsetzen der jungen Generation britischer Architekten, die sich nach 1950 im Aufwind befand, hielt er an dieser Meinung fest und reagierte auf die Neuheiten des «Brutalismus» 1961 mit der Darstellung «the return of historicism». Er quittierte das 1968 nochmals: «no successful effort has been made since». Das ist alles polemisch gefasst. Es ist eben nicht erst Richard Meier mit ewig gleichen - oder besser: ähnlichen - Varianten zu Le Corbusiers Villa Savoye aufgetreten und hat nicht erst Michael Graves' Reproduktionen nach Boullée und Ledoux in Bauten umgesetzt. Gemäss Pevsner ist auch schon der gestelzte Oberteil der Torre Velasca in Mailand formal mit den Stützkonstruktionen der «bay-windows» um 1900 zusammen zu sehen. Solange sich die Architektur selbst an den (kunstgeschichtlichen) Bildvergleichen und Ismen orientiert, sind solche Einwürfe nicht unangebracht. Im oben erwähnten Vortrag hat Muthesius im Rückblick auf das 19. Jahrhundert formuliert: «Die kunstgeschichtliche Erkenntnisarbeit verscheuchte die lebendige Architektur.»

Verkunstgeschichtlichung

Die damals in Angriff genommene Suche nach einem «überzeugenden Stilausdruck» hatte wohl zu einer Form geführt; aber seither scheint diese in den Bildern - und in den Bildvergleichen - gefangen und bestenfalls innerhalb von Bildvorstellungen modifiziert worden zu sein. Und vieles davon ist kunstgeschichtliche Referenz. Wir haben unseren Neo-Konstruktivismus und unseren Neo- Kubismus; und jetzt werden auch die kristallenen Formationen aus Bruno Tauts «Alpiner Architektur» gebaut; und das Auskragen gemäss Lissitzkys Wolkenbügel erfreut sich - auf vielfältigste Weise variiert - grossen Zuspruchs. Nach Massgabe solcher äusserlicher Ähnlichkeit wird zurzeit in der Basler Ausstellung «ArchiSkulptur» Norman Fosters Swiss Re Tower in London mit Brancusis «Vogel» verglichen - weshalb nicht gleich mit einer Gurke, was in London jedermann versteht? Dem Historismus der Moderne dient sich auch noch die Verkunstgeschichtlichung der Architektur an. Auch dies liesse sich auf die modernen Ursprünge zurückverfolgen.

Gewiss: Das ist alles sehr einseitig betrachtet. Es übersieht vor allem den Architekten, der auf vielfältigste Weise seine Aufgabe definiert und das einzelne Werk in eigener künstlerischer wie gesellschaftlicher Verantwortung schafft. Allein, im Blick auf Stil als eine übergeordnete, universale Kategorie hat ja gerade die moderne Kunstgeschichte immer wieder so getan, als ob nicht einzelne Menschen, sondern - auf der Basis menschlicher «Gleichförmigkeit» - «das menschliche Formgefühl» zur Kunst und zum Kunstwerk führe und dass auf dieser Grundlage die Formgesetzlichkeit und der «neue Stil» gesucht werden müssten (Wölfflin). Das hat 1925 Gropius mit seinem «Willen zur Entwicklung eines einheitlichen Weltbildes» bestärkt, womit er meinte, es seien «die geistigen Werte aus ihrer individuellen Beschränkung zu befreien» und «objektiver Geltung» zuzuführen, woraus dann eben auch die «Einheit der äusseren Gestaltungen, die zur Kultur führen», folgen würde. Insofern schliesst sich zumindest dieser Kreis moderner Bildvorstellungen und ihrer kunstgeschichtlichen Erklärungen. Ihnen fehlt allerdings der Blick auf die architektonischen Aufgaben, auf das Wohnen, auf die Stadt und schliesslich auf den Menschen selbst.

[ Die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt dauert bis 6. Februar 2005. Katalog: Revision der Postmoderne. Hrsg. Ingeborg Flagge und Romana Schneider. Junius-Verlag, Hamburg 2004. 296 S., Euro 34.90 (in der Ausstellung). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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