Veranstaltung

Christian de Portzamparc
Ausstellung
9. Oktober 2004 bis 10. Januar 2005
Palais des Beaux-Arts, Lille

Veranstalter:in: Kulturhauptstadt 2004 Lille

Hochhäuser wie unregelmässige Kristalle

Eine Portzamparc-Werkschau in Lille

Der Palais des Beaux-Arts in Lille widmet dem französischen Architekten Christian de Portzamparc die erste Werkschau seit 1996. Zu sehen sind unter anderem jüngere Hochhausprojekte und zwei für Rio de Janeiro und Luxemburg geplante Konzertsäle.

30. November 2004 - Marc Zitzmann
Todchic und todernst: So wirkt die grosse monographische Ausstellung, die der Palais des Beaux-Arts in der heurigen europäischen Kulturhauptstadt Lille dem französischen Architekten Christian de Portzamparc widmet. Auf brusthohen Podesten aus anthrazitfarben angemaltem Holz thronen Modelle unterschiedlichen Massstabs. Spots entreissen dem Halbdunkel Inseln der Helligkeit. Auf drei Seiten des fensterlosen Saals im Untergeschoss des Museums flimmern Filme über grosse Leinwände, derweil aus Lautsprechern eine Art sphärisches Wummern mit Anklängen an ein Orchester beim Stimmen ertönt. Prova d'orchestra oder Sinfonie der Tausend? Der Werkschau fehlen sowohl Fellinis Frische als auch Mahlers Metaphysik. Stattdessen wirkt sie proper bis zur Asepsis und seriös bis zur Trockenheit - wie oft auch Portzamparcs Bauten.

Stadtplanung mit offenen Blocks

«What you see is what you get» könnte die Devise der meisten Arbeiten des 1944 geborenen Architekten lauten. Die Form entspricht dem Inhalt: kaum ein jüngeres Gebäude, dessen innere Aufteilung nicht bereits ein Blick von aussen verriete. Das gilt selbst dann, wenn Aussenhülle und Innenstruktur stark divergieren. So etwa im Fall des Entwurfs für die Grande Bibliothèque du Québec in Montreal (2000), wo ein langgezogenes «Aquarium» vier abstrakt-walfischförmige Körper umschliesst. Da das «Aquarium» rundum verglast ist, lassen sich diese Körper, denen je ein Teil des Programms zugeordnet ist (Mediathek, Auditorium usw.), von aussen gut erkennen. Diese Art von Lesbarkeit, die bisweilen eine gewisse Geheimnislosigkeit mit sich bringt, war nicht immer ein Markenzeichen des Architekten. Die Pariser Cité de la musique etwa, dank welcher Portzamparc zusammen mit dem benachbarten, zeitgleich erbauten Nationalkonservatorium international bekannt geworden ist (1984-1995), lässt sich von aussen wohl kaum erfassen. Hingegen sind dieser «Stadt der Musik» jene zwei Elemente eingeschrieben, die auch Portzamparcs urbanistische Arbeiten charakterisieren: die Fragmentierung grosser Raumeinheiten in kleinere Teile mit menschlichem Massstab und ihre Verbindung durch eine Binnenstrasse.

Einer der drei Bereiche der Ausstellung ist unter dem Titel «Pluriel» den stadtplanerischen Projekten gewidmet. Die beiden genannten Elemente finden sich dort allenthalben wieder. Im niederländischen Almere etwa gestaltet Portzamparc den ihm anvertrauten «Block One» (2000- 2006) als einen fliegenden Grasteppich: ebenerdig Läden und Boutiquen, darüber eine grosse Wiese, deren Ränder mit Wohnhäusern bebaut sind, das Ganze wie ein rechteckiger Kuchen durch zwei sich kreuzende Fussgängerstrassen in vier Stücke geteilt. Ähnlich sieht der Masterplan für das von diversen Architekten zu bebauende Masséna-Viertel im 13. Pariser Arrondissement (1995-2007) «offene Blocks» vor, durch die die Fussgänger flanieren können. «Ilot ouvert» ist ein Kernbegriff in Portzamparcs Vokabular - das Gegenteil des Stadtbilds à la Haussmann mit seinen unzugänglichen Innenhöfen hinter geschlossenen Häuserfronten.

Eine Musikstadt in Brasilien

Das Pendant zu «Pluriel» ist «Singulier». Unter diesem Titel versammelt ein zweiter Teil der Schau architektonische Solitäre mit grosser Ausstrahlung - in der Hauptsache öffentliche Gebäude. Die beiden wichtigsten sind zwei im Entstehen begriffene Konzertsäle: die Cidade da Musica in Rio de Janeiro (2002-2007) und die Philharmonie in Luxemburg (1997-2005). Die brasilianische «Stadt der Musik» umfasst einen Konzertsaal mit 1800 Plätzen, in dem auch Opern aufgeführt werden können, einen Kammermusiksaal mit 500 Sitzen und einen 180 Zuhörer fassenden «elektro-akustischen Saal». Der Bau besteht aus einer riesigen Plattform, die in zehn Metern Höhe auf segelförmigen Pfeilern ruht und, von Wasser- und Grünflächen unterlaufen, über einen tropischen Garten blickt. Die verschiedenen Säle und Räumlichkeiten, die die Plattform durchstossen, sind leicht konisch geschwungen und gemahnen ebenfalls an Segel; die Zirkulation erfolgt über Rampen, Treppen und über die im Freien gelegenen, terrassenähnlichen Teile der Plattform. Ganz anders der Komplex in Luxemburg: Hier ist der ovale Hauptbau mit dem 1500 Zuschauer fassenden Konzertsaal von einem Wald von 627 grazilen Säulen umstellt; der Kammermusiksaal befindet sich in einer konischen Ausbuchtung. Beiden Projekten gemein sind die (zehn beziehungsweise acht) seitlichen Türme, die im Konzertsaal die Zuschauerlogen beherbergen und sich in Rio sogar auf Gleisen bewegen lassen. Der letzte Teil der Schau stellt unter dem Titel «Vertical» zehn Hochhausprojekte vor. Mit der Tour du Crédit Lyonnais in Lille (1991-1995) und vor allem mit dem LVMH Tower in New York (1995-1999) hat Portzamparc zwei vielbeachtete Hochhäuser erbaut. Seine jüngeren Projekte in La Défense (Tour T1, 2001; Tour Granite, 2002-2006) und New York (Hearst Tower, 2000; Kalimian Tower, 2003) gehen deutlich von den prismatischen Formen des schmalen LVMH-Turms aus: Es sind skulpturale, unregelmässig geometrische Körper, die an langgezogene Kristalle erinnern. Der Entwurf für den nicht realisierten Bandai Cultural Complex in Tokio (1994), dessen Strassenfassade nachts wie ein elektrifiziertes Totem in changierenden Bob-Wilson-Farben hätte erglühen sollen, verweist auf Portzamparcs lebenslange Betätigung als Zeichner und Maler. Auf bildnerische Arbeiten verzichtet die Ausstellung jedoch ganz, wie sie auch Plänen lediglich eine Nebenrolle zukommen lässt - dies im Gegensatz zur Portzamparc-Retrospektive von 1996 im Centre Pompidou in Paris. Stattdessen dominieren Modelle und Computerfilme: Solcherart gewinnt die Schau etwas Räumliches, ja Haptisches.

[ Bis zum 10. Januar in Lille. Kein Katalog. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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