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anthos 2006/4
Erlebniswelten - Inszenierungen
anthos 2006/4
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Freizeit- und Erlebnisparks

1. Oktober 2006 - Hannes Krauss
Die Eröffnung des Tivoli in Kopenhagen im Jahre 1843, aber auch noch die Errichtung von Disneyland im kalifornischen Anaheim 1955 erregten weltweites Aufsehen. Inzwischen haben solche künstlichen Erlebniswelten ihren Exotenstatus längst verloren. Es gibt sie auf allen Kontinenten, sie sind ein wichtiger Faktor organisierter Freizeitgestaltung, kalkulieren mit wachsenden Besucherzahlen und werden durch verschiedene Fachverbände repräsentiert. Seit 1918 schon existiert die «International Association of Amusement Parks and Attractions» (IAAPA); 1978 wurde der «Verband Deutscher Freizeitparks und Freizeitunternehmen e.V.» (VDFU) gegründet und 1981 «Europarks – European Federation of Leisure Parks». Die Vielfalt der Parks ist beinahe unüberschaubar. Neben klassischen Freizeitparks (Holiday Park, Disneyland) gibt es Ferienparks (Center Parcs), Erlebnisparks (Mystery Park Interlaken, Legoland Günzburg), Badewelten (Erlebnisbäder, Wellness), Indoor-Sport-Anlagen (Skihallen, Indoor-Surfing) und Natur-Freizeitanlagen (Erlebniszoos, Tiergärten).

Als Freizeit- und Erlebnisparks werden im Folgenden Anlagenkomplexe verstanden, die einen mehr oder weniger grossen Anteil an überbauter Fläche aufweisen. Der Überbauungsgrad reicht vom reinen Bauwerk über Gebäudekomplexe bis zu durchkonzipierten parkähnlichen Anlagen. Eine exakte Terminologie existiert nicht; die Übergänge zwischen den einzelnen Varianten sind fliessend.

Konsummentalität und Erlebnisgarantie

Natur spielt seit jeher eine wichtige Rolle bei der Freizeitgestaltung. So mag der Erfolg künstlicher Freizeit- und Erlebniswelten befremden, weil er eine wachsende Bereitschaft signalisiert, Eigenverantwortung für die Gestaltung der Freizeit preiszugeben zugunsten risikolosen Konsums mit Erlebnisgarantie. Und doch ist diese Entwicklung letztlich nur ein Beleg für die Durchsetzung des Konsumprinzips in allen Lebensbereichen. Individuelle Bemühungen, dieses Prinzip zu unterlaufen, mögen ehrenwert sein; gesellschaftliche und ökonomische Trends aufhalten oder gar umkehren können sie sicher nicht.

Befremden mag auch die Art und Weise, in der beispielsweise der Mystery Park in Interlaken (durch den drohenden Konkurs in die Schlagzeilen geraten) Informationen über fremde Kulturen und vergangene historische Epochen inszeniert: In Gewerbehallenarchitektur werden Themenwelten zur Kulturgeschichte der Menschheit präsentiert, wie die Pyramiden von Gizeh, die Kulturen der Maya, die Einwohner von Papua-Neuguinea und dergleichen mehr. Warum soll man sich durch mühsame Lektüre aneignen, was sich hier an einem Nachmittag durch Anschauung erledigen lässt? Den Rezeptionsgewohnheiten einer durch Fernsehen und andere elektronische Medien geprägten Generation kommen solche «Bildungsangebote» entgegen.

Marketing und Wirtschaftspartner

Freizeit- und Erlebnisparks sind ein bedeutender Zweig der Tourismusindustrie (siehe Kasten). Ihre Errichtung basiert in der Regel auf ausführlichen Expertisen zur Rentabilität (zum Beispiel Kosten-Nutzen-Analysen oder Prognosemodelle), weil Investoren durch eine ausgeklügelte Standortwahl wirtschaftliche Risiken minimieren wollen. Das Beispiel des Mystery Parks zeigt jedoch, dass die Schweiz ein schwieriges Pflaster für die Etablierung grosser Freizeit- und Erlebniswelten ist. Vielleicht ist das Land zu klein, die Konkurrenz durch natürliche, landschaftliche «Highlights» zu gross, um einen wirtschaftlichen Erfolg zu garantieren. Eine mögliche Alternativstrategie ist die Einrichtung «kleiner Erlebniswelten » (wie «Appenzeller Brunch» und «Älpler Barbecue» auf dem Säntis-Gipfel).

Bei vielen Anlagen besteht ein perfektes Zusammenspiel von Gastronomie, Souvenirindustrie und oft auch Hotellerie. Durch eine geschlossene Konzeption der Anlage wird der Besucher gezwungen, alle einschlägigen Bedürfnisse in der Kunstwelt zu befriedigen (sprich: sein Geld dort zu lassen). So werden Freizeit- und Erlebnisparks zum Kurzurlaubsressort, in dem Erleben und Vergnügen sowie Relaxen gleichermassen möglich sind. Mehrtagesaufenthalte als «Package» (Fahrt, Unterkunft, Eintritt) liegen im Trend.

Wie eng Produktplacement und Marketing zusammenhängen, zeigt das Beispiel des Legolands Deutschland im bayerischen Günzburg. Dort fungieren Audi, Coca-Cola, Hipp, Intel, Langnese und Müller Milch als Wirtschaftspartner. So können Kinder in der Audi-Legoland- Fahrschule eine Art ersten Führerschein in einem Audi TT-Roadster machen. Der Freizeitpark dient also auch dazu, frühe Markenbindungen (das heisst wirtschaftliche Abhängigkeiten) zu erzeugen.

Indoor kontra Outdoor

Aus landschaftsplanerischer Sicht stellt sich die spannende Frage, ob durch die Konzentration der Erholungsuchenden in künstlichen Erlebniswelten die Natur entlastet werden kann. Ein Blick hinter die Kulissen der Jever-Skihalle Neuss (Deutschland) hilft bei der Suche nach einer Antwort. Die Gründer der Skihalle sind Reiseveranstalter und Skilehrer. Verantwortlich für den Schnee und die Pisten sind das Salzburger Land und seine führenden Skigebiete – Motto «Snowed by Salzburger Land». Regelmässig präsentieren sich Top-Skigebiete in der Neusser Skihalle, und im angeschlossenen integrierten Reisebüro können Skireisen dorthin gebucht werden. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage lautet also «nein»; Indoor funktioniert als «Appetizer» für Outdoor! Umso verwunderlicher, dass gerade Reinhold Messner, der sich sehr gegen die «Kapillarerschliessung» der Alpen aussprach, die Eröffnung der Kletterwand an der Jever Skihalle in Neuss zelebrierte.

Natur- und Landschaftsschutz

Aus dem Blickwinkel von Natur- und Landschaftsschutz können negative Auswirkungen vieler Freizeit- und Erlebnisparks auf die Umwelt festgestellt werden. Auch wenn moderne Anlagen unter Energiesparaspekten errichtet werden, schlägt ein unverhältnismässig grosser Energie-, Wasser- und Raumbedarf zu Buche. Abwässer, Abgase, Müll, Bodenverfestigung und -verbrauch belasten die Landschaft stark. Die Pflanzen- und Tierwelt wird gestört, Emissionen aus dem Freizeitverkehr nehmen zu. Im Legoland Günzburg wurden die Bedenken von Umweltschützern nachhaltig bestätigt: Etwa 90 Prozent der Besucher kommen mit dem Auto, da die Anreise mit Bahn und Shuttlebus zu umständlich ist. Weil Grossanlagen zur besseren Auslastung auf Massenbetrieb ausgelegt sind, werden die negativen Auswirkungen maximiert. Da die Besucher trotz aller Künstlichkeit nicht ganz auf die echte Natur verzichten wollen, werden Freizeit- und Erlebnisparks oft in oder nahe bei schönen Landschaften errichtet, was zu erheblichen Eingriffen führt.

Bei aller Kritik soll aber nicht verschwiegen werden, dass beim Bau solcher Anlagen auch Nachhaltigkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen können. Die Jever-Skihalle in Neuss entstand beispielsweise auf einer ehemaligen Mülldeponie. Der Verlust von ursprünglicher Landschaft konnte so vermieden werden. Das «Ferienparadies Tropical Island», das in der Niederlausitz (Deutschland) auf einer Fläche von 66 000 Quadratmetern in der grössten freitragenden Halle der Welt entstanden ist, nutzt die Halle eines noch vor Markteintritt in Konkurs gegangenen Luftschiff-Projektes (Cargo Lifter). Künstliche Bade- und Tropenwelten als Folgenutzung von Gewerbebauten – ein Modell für die Zukunft?

Freizeit- und Erlebnisparks und die Landschaftsarchitektur

Es gibt beachtenswerte Schnittstellen zwischen Freizeit- und Erlebnisparks und der Landschaftsarchitektur. Die Innenwelt von «Tropical Island» wurde von internationalen Landschaftsarchitekten gestaltet. Und in der Schweiz sind derzeit bekannte Landschaftsarchitekturbüros beispielsweise mit grösseren Um- und Neugestaltungen von zoologischen Anlagen befasst. Auch die Indoor-Gestaltung bietet interessante Perspektiven für unseren Berufsstand.

Qualifizierte Landschaftsarchitekten können zudem durch den intelligenten Einsatz von landschaftsplanerischen Instrumenten in erheblichem Masse dazu beitragen, die negativen Auswirkungen von Freizeit- und Erlebnisparks zu minimieren. Auf übergeordneter Ebene gilt es, die mit der Standortwahl einhergehenden Konflikte frühzeitig zu erkennen und sachgerecht zu lösen, die Einbindung in Landschaft und Umgebung sicherzustellen. Ein fundierter Landschaftsrichtplan, der den spezifischen Anforderungen von Freizeit- und Erlebnisparks Rechnung trägt, aber auch ein regionales oder kommunales Landschaftsentwicklungskonzept sind Instrumente, die zum Einsatz kommen sollten. Mit Hilfe einer UVP sollte sichergestellt werden, dass bei der Planung den Anforderungen des Umweltschutzes frühzeitig Rechnung getragen wird.

Auch auf der freiraumgestalterischen Ebene leistet die Landschaftsarchitektur einen unverzichtbaren Beitrag zur funktionalen, ästhetischen und ökologischen Qualität des Projektes und zur Integration von Freizeit- und Erlebnisparks in unsere Umwelt. Die Entwurfsqualität kann die Eingliederung der Anlagen in das Landschaftsbild garantieren, Detailaspekten, wie zum Beispiel einer art- und standortgerechten Bepflanzung, kann Rechnung getragen werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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