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Bauwelt 11.07
Das Khandama-Projekt
Bauwelt 11.07
zur Zeitschrift: Bauwelt

Jabal Khandama, Makkah Al-Mukaramah

Zur Geschichte der Stadt Mekka und des städtebaulichen Wettbewerbs

9. März 2007 - Brigitte Schultz
Makkah Al-Mukaramah kennt man im Westen unter dem Namen Mekka. Aber was weiß man ansonsten über die Stadt? Sicher, dass sie für circa ein Fünftel der Erdbevölkerung einen heiligen Ort darstellt, in dessen Richtung die Gäubigen ihre Gebete orientieren und zu dem zumindest einmal im Leben zu pilgern ihnen ihre Religion gebietet. Man kennt das Foto des schwarzen Würfels der Kaaba im Hof der Moschee Al Haram al-Sharif, umkreist von Scharen weiß gekleideter Pilger. Dieses Bild allerdings scheint losgelöst von der Stadt im luftleeren Raum zu existieren. Sollten Vermutungen über das umgebende Stadtgebiet angestellt werden, so wird man wohl am ehesten einen „heiligen Bezirk“ oder eine verwinkelte Altstadt mit kleinen Gässchen, belebten Plätzen und Märkten erwarten.

Das Gegenteil ist der Fall. Seit der Gründung Mekkas, die der Überlieferung nach im 19. Jahrhundert v. Chr. durch den Propheten Abraham erfolgte, ist die Stadt zwischen Küsten-ebene und arabischem Hochland auf 1,4 Millionen ständige Einwohner angewachsen. In den zentralen Wochen der Pilgerschaft, des Hadsch, erhöht sich diese Zahl jedes Jahr um weitere zwei Millionen. Über ein Drittel der Bevölkerung konzentriert sich dabei innerhalb der in etwa sechs Quadratkilometer großen Innenstadt, in deren Zentrum die Moschee sowie die sie umgebenden Gebetsplattformen liegen. Die extrem hohe Dichte erklärt sich nur teilweise aus der topografischen Lage der Stadt im Talkessel, die jede weitere flächenmäßige Ausdehnung zu einer logistischen und finanziellen Herausforderung macht. Weit größere Auswirkungen hat die enorme religiöse Anziehungskraft der Moschee. Da selbst der Blick auf die Kaaba als Akt der Anbetung gilt, ist die gesamte Innenstadt, vergleichbar einem gigantischen urbanen Stadion, um diesen Fokus herum organisiert. Jedes Grundstück wird im Hinblick auf eine optimale Ausnutzung dieser Sichtbeziehung bebaut, wobei von den verschiedenen Projektentwicklern im Normalfall keine Rücksicht auf benachbarte Grundstücke genommen wird oder werden muss, da sie in dem monar­chi­schen System nicht an baurechtliche Vorschriften, sondern an individuelle Absprachen mit dem Herrscher gebunden sind.

Die Stadt lebt, auch wirtschaftlich gesehen, von der Pilgerschaft, die jährlich zunimmt. Deutlich sichtbare Zeichen hierfür sind die kontinuierliche Erweiterung der Gebetsplattformen, der die jeweils der Moschee am nächsten stehenden Gebäude weichen müssen, und die Häufung von Hotelhochhäusern, die das Bild auch der unmittelbaren Umgebung der Al Haram bestimmen.

Das größte Kapital der Stadt ist zugleich auch ihr größtes Problem. Die Verkehrsströme, die fünfmal täglich zum Gebet in Richtung Al Haram, aber auch zu den heiligen Stätten Mina und Arafat außerhalb Mekkas pendeln, stellen äußerst komplexe Anforderungen an die Infrastruktur, die in ihrer jetzigen Form – ohne ein umfassendes öffentliches Verkehrssystem – diese Erfordernisse kaum erfüllt. Gleichzeitig müssen bei der Versorgung der Pilger immer mehr Menschen auf im­mer geringerer Fläche untergebracht werden. Die Versuche der Stadtverwaltung, die auch durch den Ölboom beförderte rasante Entwicklung Mekkas in geordnete Bahnen zu lenken, führten bisher zu drei Masterplänen. Der erste Plan aus dem Jahr 1973 zielte vor allem auf eine Dezentralisierung der Stadt zur Entlastung der Innenstadt; der zweite von 1986 betonte erstmals auch die Relevanz der älteren Bezirke in der Innenstadt sowie der sie umgebenden, damals noch weitgehend unbebauten Hügelketten für die Identität der Stadt.

Der aktuelle Masterplan ist für die kommenden 50 Jahre ausgelegt und hat, wie seine zwei Vorgänger, eher den Charakter einer Empfehlung. Er schlägt u.a. die Festlegung zu entwickelnder Gebiete sowohl in der bereits bebauten Innenstadt als auch in der Peripherie vor. Eine Verbesserung der Verkehrssituation soll durch die Fertigstellung des fünfteiligen Ringstraßensystems, die Trennung von Fußgänger- und Fahrverkehr sowie die Einrichtung eines öffentlichen Nahverkehrs erreicht werden. Obwohl das Dokument in Bezug auf internationale Beispiele auch die Erhaltung der gewachsenen Struktur der Innenstadt nahelegt, scheint diese offizielle Absichtserklärung kaum Auswirkungen auf die tatsächliche Entwicklung zu haben. Vielmehr befindet sich momentan fast die gesamte Innenstadt in einem enormen Umbauprozess, dessen verschie­denste, voneinander unabhängige Bauarbeiten ganze Viertel zeitweilig in riesige Brachflächen verwandeln.

Ein Blick auf einige dieser Projekte verdeutlicht die Dimen­sionen dieser Umwälzungen. Das derzeit größte Projekt „Al Shamiyah“ umfasst eine Fläche von 100 Hektar direkt nördlich der Moschee, die über 200.000 Pilger und nochmals doppelt so viele Betende aufnehmen soll. Sechzehn Hektar der Fläche sind dabei für eine weitere Vergrößerung der Gebetsplattfor­men vorgesehen. Westlich von Al Shamiyah schließt der Berg „Al-Ka´bah“ an, auf dem ein kleineres Projekt mit neun 25-geschossigen Hotelhochhäusern geplant ist. Ebenfalls in der westlichen Innenstadt liegt „Jabal Omar“, das auf 23 Hektar eine Million Quadratmeter Bruttogeschossfläche in bis zu 50 Geschosse hohen Gebäuden sowie öffentliche Plätze für 45.000 Betende bereitstellen will.

Langfristige Planungen sehen zudem eine 40 Meter breite Verkehrsachse vor, die eine Schneise in den Westteil der vorhandenen Stadt schlagen würde. Der sogenannte Parallele Weg soll direkt auf die Moschee zuführen und wird von einem 320 Hektar großen Gebiet gesäumt, das neu bebaut werden soll. Auf halber Strecke der fünf Kilometer langen Straße steht ein 55.000 Quadratmeter großer Kuppelbau als Versammlungsstätte mit direkter Sichtverbindung zum Al Haram.

Bereits weit fortgeschritten sind die Arbeiten an den von der Saudi Bin Ladin Group (SBG) gebauten „Abraj Al-Bayt“-Türmen am südlichen Rand der Moschee. Dieser aus sieben Türmen zusammengesetzte Gebäudekomplex wird mit einer Höhe bis zu 485 Metern eines der höchsten Gebäude der Welt sein und soll über 40.000 Pilger aufnehmen. Direkt an die Königspaläste östlich der Moschee soll zukünftig eine weitere Großstruktur aus fünfzehn Gebäuden mit bis zu 28 Geschossen anschließen, die durch ein einheitliches Sockelgeschoss verbunden werden.

Einen weiteren Baustein dieser Entwicklung bildet die „Khandama“-Bergkette, die einen Großteil der östlichen Innenstadt umfasst. Trotz ihrer unmittelbaren Nähe zur Moschee wurde sie aufgrund ihrer bewegten Topografie bisher nicht im großen Stil entwickelt und ist darum nur in den Talbereichen bebaut. Für dieses 60 Hektar große Gebiet wurde von der „Fakieh Group“ Mitte letzten Jahres ein zweistufiger internationaler Wettbewerb ausgelobt, von dessen zehn einge­ladenen Teilnehmern (u.a. aus Spanien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Kanada) man sich neue Impulse für die Stadtentwicklung versprach. Besonderer Wert wurde dabei darauf gelegt, die neue Entwicklung in die bestehende und im Werden begriffene Stadtstruktur einzubinden, um dem Gebiet im Gegensatz zu anderen großen Entwicklungsgebieten der Stadt keinen Inselcharakter zu verleihen. Das Projekt hat mit geplanten 2,6 Millionen Quadratmetern Bruttogeschossfläche ähnliche Dichtevorgaben zu erfüllen wie andere Projekte der Innenstadt. Trotzdem wurde versucht, ihm einen für die Nutzer „fassbaren“ Maßstab zu geben: durch die Begrenzung der Gebäudehöhe auf im Normalfall 20 Geschosse, die Vorgabe von Abstandsflächen und die Forderung nach nutzbaren öffentlichen Räumen.

Welche Risiken allerdings dabei auftreten können, wenn ein Großteil der Teilnehmer den Ort des Wettbewerbs als Nicht-Muslime nicht persönlich betreten darf, zeigt sich in man­chen der Einreichungen mit nahezu stadtfeindlichen Entwürfen. Die Gründe hierfür sind schwer zu benennen. Lag es vielleicht an der mangelnden Identifikation mit dem Ort oder an der Lust, einen gewagten Entwurf zu präsentieren, dessen Realisierung man sich in der boomenden Metropole erhoffte? So finden sich zum Beispiel Vorschläge wie die Pressung des Stadtgrundrisses in ein islamisches Dekormuster oder die fast voll­ständige Überbauung des Geländes mit einer künstlichen Topografie aus Terrassen, über denen auf 100 Meter Höhe auf­gestelzte Wohnriegel schweben sollen. Man kann wohl von Glück reden, dass weder die Mehrzahl der Teilnehmer noch das Preisgericht mit so viel futuristischer Ignoranz gesegnet waren.

Lässt man die Grundskepsis gegenüber solch hohen Dichtemodellen und einem derartig bedenkenlosen Flächenabriss der gewachsenen Stadt einmal beiseite und konzentriert sich auf die Umsetzung des geforderten Programms, so stellt der siegreiche Entwurf von Yves Lion, Paris, und seinen zwei Partnerbüros aus Beirut eine intelligente Möglichkeit dar, mit den extremen Anforderungen dieser Stadt umzugehen. Das Konzept versucht, mit durchweg moderaten Gebäudehöhen von vier bis sechs Geschossen eine Art Altstadtstruktur und Straßenräume zu schaffen, in der vertraute Dimensionen erhalten bleiben, während die erforderlichen Wohntürme sich außerhalb des Blickfelds des Fußgängers in der Blockmitte befinden. Es behandelt die hohe Dichte als das, was sie ist: ein aufgesetztes, funktional erforderliches Element, dem aber nicht zu viel Beachtung gezollt werden soll. Ein fundierter formaler Ansatz, der sich nun in der Praxis wird beweisen müssen.

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