Zeitschrift

Bauwelt 12.07
StadtBauwelt 173: Ware Wohnung
Bauwelt 12.07
zur Zeitschrift: Bauwelt

Zeit des Labyrinths

Beobachten, nach­denken, festhalten 1956–2006

23. März 2007 - Wolfgang Kil
Er hat Lieblingsdichter – Heine, Novalis, Brecht –, aus deren Versen er gern zitiert. Goethe schätzt er eher als Denker. Und es gibt literarische Vorkommnisse, die geistern immer wieder als beweistaugliche Erzählchen durch seine Texte – jenes Gespräch Ecker­manns mit Coudray am Weimarer Dichtertisch etwa, in dem der fürstliche Baurat einen überraschend volksnahen Begriff von funktionaler Weltgestaltung zu erkennen gibt; oder jene kleine Unterzeile, mit der Bruno Taut seine berühmte Schrift „Die Erde eine gute Wohnung“ „Allen Kindern, Schneeflocken, Blumen und Sternen“ widmete. Wem solch poetischer Zitatenschatz leichthändig zur Verfügung steht, wer überhaupt anstelle polemischen Krampfes die Sou­veränität des bilderreichen Erzählens besitzt, den darf man zu den Großen der Zunft zählen. Dem hört man einfach gerne zu.

Bei Ulrich Conrads kam Architekturkritik schon früh als ausgefeilte literarische Reflexion daher. Wenn denn die hier vorliegende Auswahl an Texten das Œuvre angemessen spiegeln soll, dann waren gerade seine Vorträge und Reden immer wieder groß­artige Exkurse in weite Denkräume und Gefilde von stupender Belesenheit. Dass es dabei stets ums Bauen, um Häuser und Städte ging, konnte mitunter in den Hintergrund geraten, weil dieser Kenner der Materie den Spieß oft genug umdrehte und nach dem forschte, was die Bauprodukte oder Planungsresultate denn nun zu leisten vermochten. Unentwegt fragt Conrads nach dem Leben in und zwischen den Gehäusen, und in diesem Insistieren zeigt er sich auf verlässlicher Position: als ein humanistischer Funk­tionalist, der sich einen „kommenden Stil“ nie anders als einen „sozialen Stil“ vorstellen mochte. Um dieser Hoffnung willen focht er gegen das Verschwinden der Architektur im „Darstellungskult“, litt er unter der Postmoderne wegen ihrer „Flucht in die Äußerlichkeit“, und in dem wohl Wichtigsten der hier ausgewählten Aufsätze – „Über Ordnung und Unordnung“ (1983) – entwirft er mit einem furiosen Bogen von Ludwig XIV. über Baron Haussmann bis zu Le Corbusier eine fundamentale Kritik der Macht­atti­tüde jedes Masterplans. Dieser urdemokratische Reflex eines aufgeklärten Citoyens ist so konsequent wie unhintergehbar, dass er gleich noch nachfolgende Meinungsführer wie Rossi oder Ungers trifft. Heißa, wie muss es wohl in jenen Jahren in der Bauwelt-Redaktion zugegangen sein!

Leider gibt die von Eduard Führ, Kristiana Hartmann und Anna Teut freundschaftlich beratene Auswahl über das eigentliche Geschäft des Zeitungs­machers wenig Auskunft, allenfalls indirekt: Der Verschleiß beim Vielschreiben ist ein teuflischer Preis selbst für die Großen im Metier, und so sind auch einige Texte aus der eher alltäglichen Produk­-tion hineingeraten, wie der ausufernde Reisebericht „Impressionen deutscher Städte“ (1957), in dem man sich allzu lange bis zur mäßig originellen Schluss­pointe durcharbeiten muss. Zum Glück bekommt aber auch der politische Zeitgenosse seinen Auftritt: Überaus ehrenvoll in seinem Offenen Brief an Erich Honecker (1987), in dem er die Inhaftierung zweier junger DDR-Architekten wegen Teilnahme am Wettbewerb zum Prinz-Albrecht-Gelände anprangert.

Sym­pathisch selbstkritisch mit seinem trotzigen Kom­mentar zum Mauerbau 1961, in dem er unter Verken­nung aller weltpolitischen Konditionen ein lupenrei- nes Exempel Westberliner Sturheit liefert und da­bei seinen ureigenen Gegenstand, die Stadt als Alltagskosmos und Kultur, vor lauter (politischen) Idealismen aus den Augen verliert. Natürlich hat er es später bemerkt und macht jetzt den Irrtum selber kenntlich. Er ist eben einer von den wirklich Großen.

[ Zeit des Labyrinths | Beobachten, nachdenken, festhalten 1956–2006 | Von Ulrich Conrads | 236 Seiten mit Abbildungen, BauweltFundamente Bd. 136 | 24,90 Euro | Birkhäuser, Basel Berlin Boston 2007 | ▸ ISBN 978-3-7643-7821-9 ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Bauwelt

Ansprechpartner:in für diese Seite: Redaktionmail[at]bauwelt.de

Tools: