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Folgsame Architekten

St. Petersburg und das Gazprom-Hochhaus

St. Petersburg ist eine Stadt der Horizontalen. Das an zentraler Stelle geplante Gazprom-Hochhaus würde die historische Silhouette auf obszöne Weise dominieren. Die Bevölkerung protestiert, die UNESCO spricht sich gegen den Bau aus. Welche Rolle spielen die Architekten? Die internationale Riege geladener Stars hat sich brav an zweifelhafte Vorgaben gehalten, anstatt selbst nachzudenken.

29. März 2007 - Bart Goldhoorn
St. Petersburg sieht sich gerne als die progressivste Stadt im postsowjetischen Russland, zumindest was den Import westlicher Architektur angeht. Der kürzlich entschiedene Wettbewerb für den Hauptsitz von Gazprom war ein weiterer Schritt beim Aufbau dieses Images, zuvor machte die Stadt mit dem Marinski-Theater und der Konversion der Stadtinsel „Neu Holland“ von sich reden, mit demWohnkomplex „Baltic Pearl“ und dem Kirow-Stadion. Aus russischer Sicht könnte man das Progressive an Wettbewerbsverfahren so zusammenfassen:
1. Ein Wettbewerb garantiert, dass das beste Projekt ausgewählt wird.
2. Ein Wettbewerb bedeutet, dass die Auswahl des Projekts oder der Architekten nicht aufgrund von geheimen Absprachen erfolgt.
3. Da ausschließlich internationale „Starchitects“ teilnehmen dürfen, steht die Qualität der Projekte außer Zweifel.
Kurz: Transparenz, Offenheit und Demokratie, das sind die Werte, für die St. Petersburg als „Fenster nach Europa“ stehen möchte, ganz im Kontrast zu dem byzantinischen Geklüngel, das in Moskau und in anderen russischen Städten herrscht.

Dennoch scheint es, als würde auch der Import eines westlichen Modells der Stadt nicht helfen, eines ihrer größten Probleme zu lösen: den Umgang mit Neubauten in der Altstadt. Die öffentlichen Proteste, sowohl gegen Perraults Oper als auch gegen den Gazprom-Turm, sind nicht zu überhören. Um diese Bauprojekte überhaupt fortführen zu können, müssen die Verantwortlichen nun genau jene undemokratischen Methoden anwenden, die sie durch die Organisation von Wettbewerben eigentlich vermeiden wollten. Sie müssen die Entscheidungen durchdrücken, egal, was die Öffentlichkeit davon hält.

Seit dem Gazprom-Wettbewerb steht vor allem eine Frage im Raum: Warum hat eigentlich keiner der internationalen Teilnehmer eine Alternative zu dem bei den Einwohnern so verhassten 300-Meter-Turm vorgeschlagen? Die Petersburger Gouverneurin Valentina Matwijenko, die auch Mitglied der Jury war, hob hervor, dass die Architekten diese Möglichkeit sehr wohl gehabt hätten – da sie davon aber keinen Gebrauch gemacht haben, sei die Jury umso mehr davon überzeugt, dass ihre Vorgaben richtig waren. Tatsächlich aber wurde in der Auslobung eine Höhe von 300 Metern verlangt, und so kann ich aus der Aussage der Gouverneurin nur schließen, dass die Architekten die Vorgaben wörtlicher genommen haben, als es den Auslobern lieb war.

Mag sein, dass sich im Umgang mit Regeln unterschiedliche Mentalitäten zeigen (nach russischer Auffassung kann jede Re­gel gebrochen werden, wenn man es denn wirklich will). Hinzu kommt aber die passive Haltung westlicher Architekten gegenüber städtebaulichen Problemen, eine Haltung, die sich vor allem nach 1970 entwickelt hat. Nachdem die Öffentlichkeit den Architekten vorgeworfen hatte, Technokraten zu sein, die die Stadt unbewohnbar machen, haben sie sich aus städtebaulichen Fragen zunehmend herausgehalten und die Entscheidungen den Politikern überlassen: Ihr sagt uns, was ihr wollt ­– wir machen es. Architekten haben aufgehört, konstruktive Vor­schläge zu erarbeiten oder Programme umzuformulieren. Stattdessen haben sie gelernt, auf Städteplaner zu hören und sich innerhalb des von diesen auferlegten Regelwerkes zu bewegen. Der spielerische Umgang mit dem Katalog an bürokratischen Regeln ist heute geradezu eine Kunstform geworden: Eigentlich geht es nur noch darum, innerhalb dieser engen Grenzen überhaupt irgendetwas Interessantes zu machen.

Es wäre daher falsch, die Entwürfe für den Gazprom-Turm als einen Ausdruck des Willens der Architekten zu sehen, mit einem gigantischen Objekt den Stadtkern von St. Petersburg zwergenhaft klein erscheinen zu lassen. Die Architekten ha­ben schlichtweg das Programm befolgt, weil sie es für politi­sche Realität hielten. Hätten die Auslober eine Höhe von 50 Metern gefordert, die Architekten hätten auch diese Regel eingehalten, davon bin ich überzeugt. Und die Projektbeschreibungen hätten ebenso unkritisch die Vorzüge dieser Variante herausgestellt, wie sie es jetzt mit dem Turm getan haben. Wie dem auch sei – nach den Worten der Gouverneurin verstehen wir, dass die Architekten nicht nur bereitwillig einer vermeintlichen Realität gefolgt sind, sondern mit ihren Entwürfen geholfen haben, diese überhaupt erst zu etablieren: die Errichtung eines Symbols des bürokratischen Kapitalismus gegen den Willen der Bevölkerung.

Ob man das hören mag oder nicht: Ein Turm wie dieser an diesem Ort ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. (Ich finde übrigens den Turm noch besser als einen von diesen pseudo-historischen Brocken mittlerer Höhe – wenn schon ein Kontrast, dann ein entschiedener.) Was die Architektur betrifft, hätte ich mir wie so viele gewünscht, die Wahl wäre auf ein anderes Projekt gefallen. Aber letztlich spielt das keine Rolle, oder wie ein österreichischer Architekt einst bemerkte: Wenn ein Gebäude nur hoch genug ist, kann es gar nicht mehr hässlich sein. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob dieses Projekt das Ergebnis einer durchdachten städtebaulichen Strategie ist oder eine geistige Verwirrung der Mächtigen. Weder in St. Petersburg noch in anderen russischen Städten kennt man Verfah­rensweisen, die zwischen dem abstrakten Städtebau des Masterplans und dem Willen der Investoren vermitteln. Es wäre längst angebracht, die Bewohner mitreden zu lassen und die Zustimmung der lokalen Verwaltung einzuholen.

Das Fehlen einer sinnvollen Planung hätte den Gazprom-Wettbewerb eigentlich extrem interessant machen können – wären die Vorgaben anders formuliert und die Architekten weniger passiv gewesen. Hätte man es den Architekten überlassen, eine Gebäudehöhe vorzuschlagen, so wären sie gezwungen gewesen, gute Argumente für ihren Entwurf zu liefern – welche wiederum der Öffentlichkeit eine Hilfestellung bei der Bewertung unterschiedlicher Modelle hätten sein können. Der Wettbewerb hätte eine Diskussion auslösen können, wie sie etwa in Berlin in den neunziger Jahren geführt wurde. Diese Chance hat keiner genutzt, weder die Auslober noch die Architekten. Das ist wirklich schade.

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