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Herausgeber:in: Architekturzentrum Wien

Wozu brauchen wir ein Wiener Architekten-Lexikon?

26. März 2008 - Inge Scheidl
Das städtebauliche und architektonische Erscheinungsbild Wiens wurde durch keine andere architekturhistorische Epoche so nachhaltig geprägt wie durch die prosperierende Phase zwischen 1850 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Während die Architektur dieser Zeit mit zum Teil markanten, zum Teil faszinierenden, vielfach jedoch auf den ersten Blick unscheinbaren und nur allzu vertrauten Objekten nach wie vor greifbar ist, sind die Architekten dieser Zeit zum überwiegenden Teil in Vergessenheit geraten bzw. vollständig hinter ihrem Werk verschwunden.

Viele Architekten der Donaumonarchie haben in dieser Zeit ihre Ausbildung in Wien erfahren und hier auch ihre ersten selbstständigen Arbeiten vorgelegt, ehe sie in anderen Regionen ihr häufig beeindruckendes Œuvre schufen. Auch diese Architekten sind ein wesentlicher Teil der Wiener Architekturgeschichte, zumal ihre Werke oftmals nachhaltig der vielgestaltigen Aufbruchstimmung verhaftet blieben, die aus der Überlagerung von Moderne und Späthistorismus resultierte, und die ihre Inspirationen immer wieder aus den Erfahrungen dieser frühen Wiener Jahre speisten.

Einen der „exotischsten Wege“ in dieser Hinsicht ist wohl Rolf Geyling gegangen, der an der Akademie der bildenden Künste bei Otto Wagner studierte. Nach einigen respektablen Aufträgen der Wiener Verkehrsbetriebe (z.B. Errichtung der Bediensteten-Wohnhäuser und des Betriebsbahnhofs Hernals) wurde er zum Dienst im Ersten Weltkrieg verpflichtet. Er geriet in russische Kriegsgefangenschaft, konnte jedoch einige Jahre später fliehen und schlug sich bis nach China durch, wo er erfolgreich Fuß fassen konnte. Dort plante Geyling nicht nur die Gesamtanlage sowie die erforderlichen Neubauten für den Ausbau des Badeortes Peitaiho, heute Beidehe, sondern projektierte auch in der nahe gelegenen Hafenstadt Tientsin, heute Tianjin, zahlreiche öffentliche Gebäude. Darüber hinaus schuf er Villen und Wohnhäuser und arbeitete verschiedene Großprojekte in ganz China aus.

Zu den vollständig „Vergessenen“ wiederum zählt etwa Richard Bauer, der an der Akademie der bildenden Künste bei Franz Kraus studiert hatte und nicht nur in der Werkbundsiedlung Wien 13 ein Doppelhaus realisierte, sondern mit der Planung der sogenannten „Erwerbslosensiedlung“ in Wien 21 ein bedeutendes Beispiel für Sozialbauprojekte schuf.

So manch anderem hingegen, den die (architektur)-historische Erinnerung gnädiger behandelt hat, wurde durch die Kunstgeschichtsschreibung übel mitgespielt. Gustav Korompay beispielsweise ist laut „Wiener Stadt- und Landesarchiv“ am 4.1.1833 geboren, während H. Kosel im „Deutsch-österreichischen Künstler- und Schriftsteller-Lexikon“ weiß, dass der 4.1.1838 der konkrete Geburtstag ist. Wer nun durch Nachschlagen etwa im „Allgemeinen Künstlerlexikon“ Klarheit in dieser Frage zu gewinnen sucht, wird nicht mit Gewissheit, sondern mit einem dritten Geburtdatum Korompays belohnt, nämlich dem 28.2.1833. Und auch Thieme-Becker sowie H. Fuchs („Die österreichischen Maler des 19. Jahrhunderts“) geben dem Datum 28.2.1833 als Geburtsdatum den Vorzug, während L. Eisenberg: („Das geistige Wien“) sich wiederum mit dem 4.1.1838 in den Reigen der Geburtstag-Spekulationen einreiht.

Allein diese wenigen Beispiele – Geylings unbekannter Weg nach China, das vergessene Œuvre Richard Bauers und die Konfusion um Gustav Korompays Geburtstag – zeigen, wie unvollständig und fehlerbehaftet die Forschungslage auf dem Gebiet der Architekturbiographien bisher war. Das seit dem Jahr 2005 erscheinende „Wiener Architektenlexikon 1880-1945“ (www.architektenlexikon.at), verfolgt deshalb den Anspruch, diesen Defiziten Abhilfe zu schaffen und bislang bestehende Lücken in der architekturhistorischen Aufarbeitung dieser Zeit zu schließen.

1. Wiener Architektenbiographien: eine Geschichte der Desiderate, Verwechslungen und unfreiwillig-komischen Irrtümer
Bislang wurde jegliche Forschung im Bereich der Architektur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts tatsächlich wesentlich erschwert durch die äußerst mangelhafte wissenschaftliche Aufarbeitung der Zeit zwischen 1880 und 1945. Nur wenige herausragende Persönlichkeiten – etwa die bekanntesten Ringstraßenarchitekten, vor allem aber die namhaftesten Vertreter der Schule Otto Wagners – sind in eigenen Monographien aufgearbeitet worden. Zahlreiche Baukünstler hingegen, die das späte 19. Jahrhundert hervorgebracht hat und deren Werke die Bundeshauptstadt bis heute prägen, aber auch wichtige Vertreter der Gemeindebau-Architektur sowie viele jener Architekten, die vor dem Nationalsozialismus fliehen mussten, blieben im Großen und Ganzen unberücksichtigt.

Dem stand eine erheblich gründlichere Dokumentation und Aufarbeitung der Bauwerke gegenüber, was nicht zuletzt Verdienst des von Friedrich Achleitner herausgegebenen Führers Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert ist. Ebenso verdeutlichen die Überarbeitung und Neuauflage der Dehio-Handbücher Die Kunstdenkmäler Österreichs, dass die Objektanalyse in Summe sehr viel weiter fortgeschritten ist als die Erhebung und synthetisierende Darstellung des biografischen Materials. Der Mangel an komplementären Nachschlagewerken zu den einzelnen Architektenpersönlichkeiten wurde aber um so deutlicher, als etwa schaffenstypischen Querbezügen innerhalb der Objektanalyse kaum in effizienter Art und Weise nachgegangen werden konnte und ein Überblick über das gesamte Tätigkeitsspektrum des jeweiligen Architekten vollends nicht leistbar war.

Häufig waren nicht einmal die Lebensdaten der Architekten bekannt –wie zum Beispiel von Adolf Ambor, der eine Reihe an repräsentativen Wohn- und Geschäftsbauten in Wien errichtete und der – was erschwerend dazukam – seinen Vornamen um 1904 auf Abraham geändert hatte. Häufig fehlten auch Aufschlüsse über die Ausbildung der Architekten, wie etwa im Falle von Josef Jaroslav Bayer, einem der zahlreichen Gemeindebau-Architekten, der ein Schüler Friedrich Ohmanns war. Auch eine Vielzahl unausgeführt gebliebener Objekte war auf Grund der mangelnden biographischen Forschung letztlich unbekannt, wie etwa der mit einem 2. Preis bedachte Entwurf für die Kaiser Franz-Josef Jubiläumskirche (Wien 2, Mexikoplatz, 1899) von Max Ferstel.
Wesentliche Informationen zu städtebaulichen Überlegungen blieben auf Grund der Dominanz der Objektanalyse ungenutzt, und zwar sowohl Informationen in Zusammenhang mit der Stadterweiterung Wiens als auch im Zusammenhang mit Stadterweiterungen bzw. Stadtregulierungsplänen in diversen Städten der ehemalige Kronländer, die von Architekten wie etwa von K.H. Brunner, A. Lotz, J. Hudetz, S. Sitte, E. Fassbender sowie von E. Egli angestellt wurden, der auch in der Türkei etliche Stadtregulierungspläne entwickelte. Auch zahlreiche architekturtheoretische Publikationen über Wohnungsbau, über Denkmalpflege, über das Arbeiter-Wohnungswesen, über das Siedlungswesen, über Wasserkraftwerke und Industriebauten etc., waren, da sie als Artikel in den damals in großer Zahl erscheinenden Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, nur schwer auffindbar. Auch zur Dauer und Wirkung von Lehrtätigkeiten weniger bekannter Architekten gab es kaum Angaben, wie etwa zu E. Ilz, der Professor für Städtebau an der Technischen Hochschule Wien war, oder zu Norbert Schlesinger, der an der Hochschule für angewandte Kunst die Meisterklasse für Architektur leitete.

Für zahlreiche Fragestellungen war daher nach wie vor das Künstlerlexikon unverzichtbar, das ab dem Jahr 1907 in 37 Bänden von Thieme-Becker herausgegeben worden war (Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zu Gegenwart). So verdienstvoll dieses Unterfangen bleibt, ist dieses Lexikon auf Grund des damaligen Wissensstandes zum Teil doch lückenhaft geblieben, zum Teil müssen seine Einträge aber auch schlichtweg als fehlerhaft bezeichnet werden. Trotzdem finden sich die aus diesem Werk gewonnenen Daten noch heute in vielfältigen Zusammenhängen verarbeitet, das heißt die darin unterlaufenen Fehler und Ungenauigkeiten werden bis heute reproduziert.

Das gleiche gilt für die Daten bezüglich der Architekten der Frühen Moderne: Zwar hat Marco Pozzetto eine hilfreiche und dankenswerte Zusammenstellung der Wagner-Schüler unternommen, doch auch ihm unterliefen Fehler oder Ungenauigkeiten, die nunmehr in einschlägigen wissenschaftlichen Arbeiten fortgeschrieben werden.

Das Österreichische Biographische Lexikon (Wien ab 1957) ist bis heute nicht abgeschlossen, und darüber hinaus finden sich in den bisher erschienenen Bänden nur wenige Architekten aufgenommen. Das Österreichische Künstlerlexikon (Wien 1979) wiederum wurde nach Erreichen des Buchstabens D überhaupt eingestellt.

Aber auch jüngere Werke – wie etwa das im Jahr 2005 von H. Weihsmann herausgegebene Lexikon der Wiener Architekten des 20. Jahrhunderts „In Wien erbaut“ – konnten hier keine Abhilfe schaffen. Im Gegenteil hat Weihsmanns Werk sogar so manche falsch tradierte Faktenlage um zusätzliche irrige Angaben bereichert und mit einer Vielzahl an ungenau recherchierten oder frei erfundenen Daten sowie einer Unmenge an Verwechslungen zur zusätzlichen Verwirrung der Forschungslage beigetragen. So wird etwa – um nur einige wenige Beispiele zu nennen – der Architekt Alois Augenfeld zu Anton, der Kriegsgefangene Rudolf Perco zum Spion und der Ort Kladno wird von Tschechien nach Polen transferiert. Adolf Stöger wird zum Vater seines Bruders Karl ernannt, und die Werke von Gustav und Franz Neumann werden ebenso verwechselt wie etwa bei Albert Pecha das 50-jährige Regierungsjubiläum des Kaisers mit der Jubiläumsausstellung in Wien.
Paradoxerweise unterstreicht daher gerade diese jüngste Publikation die Notwendigkeit eines seriös erarbeiteten Wiener Architektenlexikons.

2. Werdegang und Leistungen des „Wiener Architektenlexikon 1880-1945“
Für ein neu zu erstellendes Architektenlexikon galt es daher, einerseits Informationen zu bislang gar nicht oder nur mangelhaft aufgearbeiteten Architektenpersönlichkeiten zugänglich zu machen, andererseits waren aber auch Lücken innerhalb der Biografien und Werkgeschichten von an sich bereits erfassten Persönlichkeiten zu schließen. Nicht zuletzt galt es, fehlerhafte Feststellungen sorgfältig zu korrigieren bzw. überholte Forschungsergebnisse zu revidieren.

Da solch ein Projekt nur mit Hilfe einer renommierten Institution leistbar ist, wurde zunächst bei einer universitären Stelle um Unterstützung angefragt. Dort hat man zwar versichert, dass solch ein Lexikon ein Desideratum darstelle, dass aber trotzdem kein Interesse bestehe, dieses Projekt zu unterstützen. Es ist deshalb das große Verdienst von Dietmar Steiner, Leiter des Architekturzentrum Wien, dass er nicht nur die Bedeutung dieses Projekts erkannt, sondern vor allem auch seine Unterstützung spontan zugesagt hat. Unter seiner Federführung wurde das Projekt beim FWF (Fonds für wissenschaftliche Forschung) eingereicht, wo das Projekt in weiterer Folge mit einer beachtlichen Dotierung für die Projektdauer von insgesamt vier Jahren bewilligt wurde. Dietmar Steiner veranlasste weiters die Einrichtung einer Datenbank, womit das Architektenlexikon seit dem Jahr 2005 auf der Homepage des Az W sukzessiv und kostenlos zur Verfügung gestellt werden konnte. Mittlerweile haben 13 Personen wissenschaftlich am Projekt mitgearbeitet, wobei die einzelnen Beiträge im Lexikon jeweils namentlich gekennzeichnet sind. Dem derzeitigen wissenschaftlichen Team gehören Ursula Prokop, Jutta Brandstetter, Dagmar Herzner-Kaiser, Petra Schumann sowie Inge Scheidl als Projektkoordinatorin an.

Es stellte sich heraus, dass in der Zeit zwischen 1880 und 1945 nachweislich mehr als 1200 Architekten tätig waren. Viele von ihnen erbauten lediglich ein Wohnhaus oder eine Villa und traten sonst im Baugeschehen Wiens nicht mehr fassbar in Erscheinung. Es wurden daher nur jene Architekten erfasst, die in Wien erwiesenermaßen mehrere Projekte oder zumindest ein öffentliches Monumentalgebäude realisieren konnten, aber auch solche Architekten, die vorwiegend in anderer Hinsicht, etwa als Lehrer oder Theoretiker, wirksam waren. Auf Grund dieser Auswahl sind neben den in historistischer Manier bauenden Architekten auch die Architekten der Frühen Moderne sowie der Zwischenkriegszeit repräsentativ vertreten.

Die Lexikoneintragungen umfassen neben den Geburts- und Sterbedaten, dem familiären Umfeld, der Ausbildung, Mitgliedschaften, der Auflistung der Werke, Literaturangaben etc. eine ausführliche Darstellung des Lebenslaufes („Vita“) sowie eine Analyse der Arbeitsweise des Architekten („Stellenwert“). Als besondere Serviceleistung erfolgt für alle Werke, die in der Literatur nur mit Abbildungen aufscheinen (meist Fachzeitschriften), eine genaue Quellenangabe mit exaktem Titel, Band, Jahrgang und Seitenangaben sowie die Angabe des entsprechenden Bauwerks. Darüber hinaus wird der Benutzer auf Fehler und Ungenauigkeiten in anderen Quellen hingewiesen.

Erstmals sind nun Architekten, die in zeitgenössischen Lexika bzw. Nachschlagwerken, aber auch in neueren Lexika mit äußerst mangelhaften Informationen dokumentiert sind, mit vollständigen Daten erfasst. So findet sich beispielsweise Arthur Baron (15.5.1874- 30.8.1944) im „Allgemeinen Künstlerlexikon“ nur mit der Angabe „tätig um 1903-1913“ verzeichnet, oder bei Adolf Ambor (28.3.1891-15.5.1912) wird – wiederum im „Allgemeinen Künstlerlexikon“– statt der Geburts- und Sterbedaten nur der allgemeine Hinweis „tätig A. 20. Jhd. in Wien“ angeführt.

Weiters konnten falsche bzw. in den diversen Quellen unterschiedlich angegebene Daten berichtigt werden, wie z.B. des bereits erwähnten Gustav Korompay (4.1.1833-17.2.1907) oder im Fall von Oskar Laske sen. (1842-16.11.1911), der mit inkorrekten Daten im „Biographischen Lexikon der böhmischen Länder“, im Thieme-Becker, in der „Wiener Bauhütte“ und bei Weihsmann aufscheint.

Wesentliche Missverständnisse und Unklarheiten waren vielfach – sowohl in älteren als auch in neueren Quellen – auf Grund von Namensgleichheiten entstanden. Im „Wiener Architektenlexikon 1880-1945“ ist es auf Grund der sorgfältigen Quellenforschung nun erstmals gelungen, etliche Zuschreibungen klärend zu ordnen. So wird etwa in der „Wiener Bauindustrie-Zeitung“ der Neubau der Universität in Graz von Karl Koechlin fälschlich Heinrich Koechlin zugeschrieben. Der von Heinrich und Karl Köchlin errichtete Bau der Staatsdruckerei wiederum wird von Wagner-Rieger (Wiens Architektur im 19. Jahrhundert) und im Dehio-Handbuch fälschlich nur Karl Koechlin zugeschrieben, während bei Thieme-Becker und Achleitner (Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert) fälschlich nur Heinrich Koechlin genannt wird.
Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Der Familienname „Ludwig“ taucht bei drei Architekten auf, von denen allerdings nur zwei miteinander verwandt sind. Dies führte zu etlichen Fehlschlüssen. M. Pozzetto gibt fälschlich Alois Ludwig als Bruder Josef Ludwigs an. Darüber hinaus wird ein weiterer „Ludwig“ eingeführt. In der Österreichischen Kunsttopographie, bei Achleitner und im Dehio-Handbuch wird Alois Ludwig mit Emil Ludwig (*26.7.1878 i. Wersdorf i. Mähren) verwechselt.
Auch die Frage, ob Franz Berger tatsächlich ein so großes Arbeitspensum zu leisten im Stande war, wie es sich in den Zuschreibungen diverser Quellen darstellt, konnte geklärt werden, da die Unterscheidung in Stadtbaudirektor Franz Berger, geb. 1841, und Landesbaudirektor Franz Berger, geb. 1853, getroffen werden konnte, während in der gesamten Sekundärliteratur die beiden als nur eine Person angegeben werden.

Schließlich konnte auch bei rund 900 Objekten, insbesondere Wohn- und Geschäftbauten sowie Villen, erstmals überhaupt die architektonische Urheberschaft geklärt werden. Zu diesem Zweck wurden u.a. erstmalig Nachlässe in Familienbesitz sowie Privatarchive erschlossen, wie z.B. der Nachlass Bruno Buchwieser sen. sowie der Nachlass von Anton und Josef Drexler. Auch Dr. Erich Schlöss und Msgr. Dr. Norbert Rodt stellten freundlicherweise ihre Privatarchive zur Verfügung.

3. Methodische Rahmenbedingungen und wissenschaftlicher Mehrwert
Als Voraussetzung für qualitativ einheitliche Lexikoneintragungen wurde ein standardisierter Kriterienkatalog erstellt, mittels dessen die Recherche in Archiven, Nachlässen, in der Sekundärliteratur, den Fachzeitschriften u.ä. erfolgte. Zudem wurde eine lexikalische Matrix erarbeitet, in der die Rechercheergebnisse in schematisierten Abschnitten erfasst sind, sodass eine größtmögliche Übersichtlichkeit und Standardisierung hinsichtlich der wissenschaftlichen Auswertung der Quellen erzielt wurde.

Der historische Untersuchungszeitraum dieses Lexikons wurde ganz bewusst auf einen überschaubaren Radius eingegrenzt, da innerhalb von Lexika, die den Anspruch auf einen umfassenden zeitlichen oder internationalen Rahmen erheben, eine notgedrungen restriktive Auswahl wiederum zur Darstellung nur der bedeutendsten und meist ohnedies dokumentierten Künstler führt. Der gewählte zeitliche Bezugsrahmen von 1880 bis 1945 hat sich deshalb empfohlen, weil die Stadterweiterung in Wien im 19. Jahrhundert eine ungemein umfangreiche Bautätigkeit zur Folge hatte. Die frühe Moderne wiederum reicht nicht nur in ihren Ausprägungen und architektursoziologischen Konsequenzen bis in die Vierzigerjahre hinein, sondern auch personell werden die Entwicklungen vorwiegend von jenen Architekten getragen, die kurz nach der Jahrhundertwende mit ersten Studien und Arbeiten an die Öffentlichkeit traten.

Die räumliche Eingrenzung auf Wien erschien deswegen als sinnvoll, weil die ehemalige Donaumetropole und jetzige Bundeshauptstadt nicht nur auf Grund des Bauvolumens und der vielfältigen Aufgabenstellungen Architekten aus allen Regionen und Ländern der ehemaligen Monarchie anzog, sondern weil Wien als wichtige Universitätsstadt und Ort der Architektenausbildung auch Brennpunkt theoretischer Diskussionen und Auseinandersetzungen war und somit einen repräsentativen Querschnitt der architekturhistorischen Entwicklungen jener Zeit verkörpert. Mittelbar wird mit dem Architektenlexikon also auch die architekturhistorisch enge Beziehung Österreichs zu den Nachbarstaaten aufgehellt bzw. wird in weiten Bereichen eine Aufarbeitung dieser Verflechtungen damit überhaupt erst ermöglicht.

Auf Grund der neuartigen Qualität des Architektenlexikons ist nunmehr auch eine sukzessive Intensivierung des internationalen wissenschaftlichen Austausches und der wissenschaftlichen Kooperation (z.B. Kontakt zu Wissenschaftern in den USA, Frankreich, Deutschland, Schweiz) in diesem Forschungsfeld festzustellen. Insbesondere zu Wissenschaftern der ehemaligen „Kronländer“, d.h. den Ländern Osteuropas, entstanden enge Kontakte, und teilweise wurde auch eine Mitarbeit am Lexikon erzielt. So konnten etwa Jindrich Vybiral, Professor an der Kunstgewerbeschule Prag (zu Leopold Bauer), Marian Zgorniak und Tomasz Scybisty, beide von der Jagiellonen Universität in Krakau (zu Ignaz Sowinsky, Edgar Kovats und Karl Borkowski) als Gastautoren gewonnen werden. Darüber hinaus bestehen auch mit Institutionen im Inland, wie etwa dem Bundesdenkmalamt, fruchtbringende Wechselbeziehungen bei der Aufarbeitung spezifischer Fragen.

Zahlreiche Reaktionen aus dem In- und Ausland zeigen, dass das Lexikon mittlerweile auch international über einen hohen Bekanntheitsgrad verfügt und äußerst positiv aufgenommen wird. Diese positive Aufnahme half wiederum, neue, bislang unbekannte bzw. schwer zugängliche Quellen zu erschließen und die Wechselwirkung zwischen biographischer Forschung und Praxis damit qualitativ zu vertiefen. So verdankt das wissenschaftliche Team etwa Architekt Jan Schubert aus Krakau ergänzende Informationen zur Tätigkeit Hugo Mayrs in Westgalizien. Auch langten auf Grund der wachsenden Publizität des „Architektenlexikons“ neue und hilfreiche Informationen von noch lebenden – zum Teil jedoch weltweit verstreuten – Verwandten ein. Dem in Austin, USA, lebenden Physiker Franz Geyling sind nicht nur zahlreiche Informationen über seinen Vater Rolf Geyling zu verdanken. Er schenkte auch Originalpläne und sonstige Materialien seines Vaters dem Archiv des Architekturzentrum Wien. Aber auch Personen, die etwa über ein spezielles Werk eines Architekten forschten oder an einem Architekten in fachlich anderen Zusammenhängen interessiert waren, stellten mehrmals wertvolle ergänzende Hinweise zur Verfügung. Zum Beispiel forschte Maros Semancik speziell über ein Mausoleum von Emil Bressler in Horne Obdokovce, Slowakei, und es ergab sich in Folge ein interessanter Informationsaustausch.

Nicht zuletzt konnte mit dem Erscheinen und der kontinuierlichen Erweiterung des Architektenlexikons wohl auch das Kompetenzprofil des Architekturzentrum Wien als nationale sowie internationale Anlaufstelle für architekturgeschichtliche und architekturtheoretische Fragestellungen wesentlich gestärkt und erweitert werden. Dies zeigt sich in der stark zunehmenden Zahl an Anfragen, die das Az W auf Grund des Architektenlexikons als kompetente Auskunftsquelle erachten.

„Work in progess“
Seit Mai 2005 stehen die endredigierten Lexikoneintragungen auf der Homepage des Architekturzentrum Wien (www.azw.at oder www.architektenlexikon.at) kostenlos zur Verfügung. Als zusätzliches Service finden sich auf der Homepage neben der Auflistung sämtlicher Architekten, die in das Lexikon aufgenommen wurden, die Liste der Archive, Literaturlisten (Sekundärliteratur, Bildanthologien, Lexika, Nachschlagwerke, Fachzeitschriften) sowie die Geschichte der Wiener Ausbildungsstätten (z.B. Technische Hochschule, Staatsgewerbeschule).
Da das „Wiener Architektenlexikon 1880-1945“ als „work in progress“ konzipiert ist, werden die einzelnen Lexikoneintragungen durch ergänzende Forschungsergebnisse oder Falsifizierungen, die sich durch neue Informationen ergeben, fortlaufend auf den neuesten Wissensstand gebracht.

„Architektur“, so formuliert der Philosoph Jacques Derrida „ist die letzte Bastion der Metaphysik“. Mit dem „Wiener Architektenlexikon 1880 und 1945“ haben die Konstrukteure und Erbauer dieser „Bastionen“ zumindest eine Plattform erhalten, die sich ihren Biographien wissenschaftlich seriös und historisch exakt anzunähern sucht.

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Für den Beitrag verantwortlich: Hintergrund

Ansprechpartner:in für diese Seite: Martina Frühwirthfruehwirth[at]azw.at

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