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Metamorphose 02/08
Schulen umbauen
Metamorphose 02/08, Foto: Holger Herschel
zur Zeitschrift: Metamorphose

Überraschend gut erhalten

Modernisierung der ehemaligen Bundesschule des ADGB, Bernau

Zu den wenigen Gebäuden, die unmittelbar vom Bauhaus errichtet worden sind, zählt die einstige Gewerkschaftsschule in Bernau bei Berlin. Bei der jüngst abgeschlossenen Instandsetzung und Modernisierung fand sich erstaunlich viel Originalsubstanz, die erhalten werden konnte.

14. März 2008 - Jan Gympel
Geschichte des Bauwerks: Nur gut zwei Jahre lang, vom Frühjahr 1928 bis zum Sommer 1930, war Hannes Meyer Direktor des Bauhauses. In genau jener Zeit schuf er, mit seinem Schweizer Landsmann Hans Wittwer und unter Mitwirkung zahlreicher damaliger Bauhaus-Schüler, die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) nördlich von Berlin. Vom Arbeitsprozess wie der Gestaltung her avancierte sie zum wichtigsten Beispiel für Meyers seinerzeit heftig befehdete Vorstellungen einer Architektur, die „wissenschaftlichten“, „objektiven“ Kriterien folgt.

Das Raumprogramm wurde auf einzelne Baukörper verteilt: Der Kopfbau diente vor allem Aula und Speisesaal sowie einem Wintergarten, der dort an einer Gebäudeecke saß. Die Internatsräume finden sich in fünf beinahe identischen Quadern, die leicht gegeneinander versetzt angeordnet sind und dem sanft abfallenden Gelände folgen. In jeder Etage waren ursprünglich je fünf Doppelzimmer untergebracht, so dass die Anmutung eines Hotels oder einer Kaserne vermieden und zugleich die Bildung kleiner (Lern-)Gruppen gefördert wurde. Die Verbindung zwischen den Wohngebäuden untereinander und mit den anderen Baukörpern schafft ein ebenerdiger, seitlich verglaster Gang. Den Abschluss bildet ein querstehender Trakt mit Turnhalle, Bibliothek und darüber befindlichen Seminarräumen. Beton, gelbbraune Ziegel, Glas, Stahl und Holz prägen die Gesamtanlage. In den Wohnquadern machten unterschiedliche Farben jedes Haus und jede Etage unverwechselbar.

Wechselnde Nutzer

1930 eingeweiht, wurde die Schule drei Jahre später von den Nationalsozialisten bezogen, die dort auch an der Vorbereitung des Überfalls auf Polen gearbeitet haben sollen. Bald nach Kriegsende übernahm der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund der DDR das Gebäude und nutzte es wieder als Bildungsstätte. Durch diverse Anbauten ging Originalsubstanz verloren, etwa der Wintergarten. Die Innengestaltung folgte jenem oft etwas bieder wirkenden Geschmack, der in der DDR dominierte oder sich einfach aus dem Mangel an Mitteln ergab: Holzverkleidungen, abgehängte Decken, Bodenbeläge aus Kunststoff, Mustertapeten. Soweit erhalten, wurde der Glasgang bis auf Brüstungshöhe mit Brettern geschlossen, die Internatswohnräume erhielten Holzfenster. Die nachhaltigste Veränderung erfuhr der Kopfbau: Jene drei Schornsteine, welche – die sozialistische Dreifaltigkeit aus Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Genossenschaften symbolisierend – die Front dominierten, wurden ebenso entfernt wie das Flugdach über dem Haupteingang, den man wiederum in einen seitlichen Anbau verlegte. Der eingeschossige Kopfbau erhielt ein zusätzliches Stockwerk und wurde komplett mit roten Ziegeln verblendet.

Nach 1990 stand das Gebäude einige Zeit leer, bis sich mit der Berliner Handwerkskammer eine neue Nutzerin – vor allem für die Wohnräume – fand. Die Turnhalle dient heute einer benachbarten Schule; einige weitere Räume stehen hingegen noch leer, und auch die Küche wird gerade erst ausgebaut. Den Zuschlag für die 2002 begonnene Instandsetzung und Modernisierung der Anlage, mit der auch die Rekonstruktion bestimmter Teile verbunden ist, hat das Berliner Büro Brenne Gesellschaft von Architekten mbH erhalten, das auf dem Gebiet der denkmalgerechten Sanierung bereits viel Erfahrung gesammelt hat.

Vom Dach bis zum Heizkörper
Gespräch mit dem Architekten Winfried Brenne


Wann sind Sie erstmals mit Hannes Meyers Schulanlage in Bernau in Berührung gekommen?

1992 rief mich der Verein „baudenkmal bundesschule bernau“ an, der zum Erhalt der ehemaligen Bundesschule des ADGB von Meyer und Wittwer gegründet worden war, und fragte, ob ich mir diese mal ansehen könnte. Unser Büro hatte sich damals schon viel mit Bauten der 1920er Jahre beschäftigt. Der Verein hat dann Fördergelder bekommen und wir wurden mit der Erarbeitung eines Konzeptes für die Wiederherstellung der Stahlfenster beauftragt.

Wem gehörte das Haus zu diesem Zeitpunkt?

Dem Land Brandenburg, das aber aufgrund eines fehlenden Nutzers nur wenig für seinen Erhalt tun konnte. Das Haus stand nach 1990 leer und verfiel immer mehr. Vom für Denkmalpflege zuständigen Ministerium wurde dann bei unserem Büro eine Bestandsaufnahme in Auftrag gegeben, um die dringlichsten Fragen zu klären: Welche Substanz ist vorhanden, was müsste baulich gemacht werden, welche Kosten könnten dabei entstehen? Schließlich wurde die Berliner Handwerkskammer, die bereits in unmittelbarer Nähe mit den Planungen für ein neues Internatsgebäude begonnen hatte, auf die Bundesschule aufmerksam. Vor allem der damalige Kammerpräsident Hans-Dieter Blaese setzte sich für die Bundesschule als neuen Standort ein.

Damit konnten Instandsetzung und Modernisierung starten?

Ja, und alles musste schnell gehen, insbesondere um die Fördermittel von verschiedensten Gebern zu erhalten. Unser Büro hatte in einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag bekommen.

In welchem Zustand fanden Sie die ehemalige Bundesschule vor?

Das Gebäude war an sich faszinierend, aber im ersten Moment haben sich seine Qualität und sein architektonisches Konzept gar nicht offenbart, weil es so stark überformt war. In der NS-Zeit war ein rustikaler Tarnanstrich aufgetragen worden. Der wurde nach dem Krieg durch Sandstrahlen entfernt, danach hatte die Ziegelfassade eine Oberfläche wie ein Schwamm. Als das Gebäude ab den 1950er Jahren als FDGB-Gewerkschaftsschule genutzt und ausgebaut wurde, entstanden zunächst Erweiterungsbauten nach Plänen von Georg Waterstradt, die sich in subtiler Weise dem Konzept der ADGB-Schule anpassten und diese unangetastet ließen.
Dann fiel Waterstradt als Modernist in Ungnade und der Meyer-Wittwer-Bau wurde schrittweise überformt, offenkundig auch aus ideologischen Gründen: Man entfernte alle typischen Merkmale des „Internationalen Stils“. Die Topographie, die Meyer ungeheuer intelligent einbezogen hatte, wurde verändert, das abfallende Gelände aufgefüllt. Die Internatswohnräume erhielten Holzfenster, sichtbare Ziegelwände wurden verputzt und tapeziert. Es kamen Holztäfelungen, abgehängte Decken, die DDR-üblichen Bodenbeläge hinzu. Und es gab diverse, im Laufe der Zeit immer banalere Anbauten.

Wie erarbeiteten Sie das Konzept für die Sanierung? War von Anfang an klar, welche der Eingriffe in die Originalsubstanz Sie rückgängig machen wollten?

Das in Absprache mit dem Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege entwickelte Konzept zur Wiederherstellung der Schule wurde sukzessive im laufenden Planungsprozess entwickelt, was bei dem Zeit- und Kostenrahmen auch gar nicht anders möglich war. Die Kernfragen lauteten: Was finden wir und wie gehen wir damit um? Bei genauerem Hinsehen zeigte sich, dass noch viel an originaler Substanz vorhanden war. Beim Dach hatten wir zunächst gedacht, es wäre in einem so katastrophalen Zustand, dass es vollkommen neu erstellt werden müsste. Aber beim Öffnen fanden wir dort originale Kupferbleche, gehalten von einer Unterkonstruktion aus Stahl, die eine ganz präzise Dachverwahrung leistet. Die Kupferbleche, die in das aufgehende Mauerwerk eingefügt und mit Blei eingestemmt worden waren, zeigten eine vorzügliche intakte Verarbeitung. Natürlich war eine Wärmedämmung aufzubringen. Die haben wir einfach aufgesattelt. So konnten wir auch die gesamte bauzeitliche Entwässerungsanlage erhalten. Schon anhand dieser Detaillösungen lässt sich – im Gegensatz zur gängigen Meinung – aufzeigen, dass ein Gebäude der Weimarer Zeit nicht per se ein bautechnisches Problemkind sein muss.

Gab es noch mehr solcher Überraschungen?

Ja, zum Beispiel bei den alten Stahlfenstern, die außer bei den Internatswohnräumen fast überall erhalten waren. Wir dachten zunächst, dass wir sie austauschen müssten, weil sie augenscheinlich verrostet waren. Dann hatten wir vor, sie sandzustrahlen; letztendlich haben wir sie aber nach dem Ausbau erstmal entlackt. Und siehe da: Unter dem Lack war ein perfekter Rostschutz. Es gab nur minimale Schäden. Solche Überraschungen bestärkten uns, wie bisher genau zu prüfen, ob mit der vorhandenen Substanz weitergearbeitet werden kann.

Die Sanierung dieses Hauses scheint ein schönes Beispiel dafür, welchen Gewinn es in jeder Hinsicht bedeutet, wenn man nicht einfach sagt: Ist alt, sieht alt aus, reißen wir weg.

Richtig. Und diese alten Gebäude leisten auch einen Beitrag zu der Frage, wie haltbar ein Material ist. Aber bei einem Vorgehen, das Rücksicht auf die ursprüngliche Substanz nimmt, muss eben auch der Bauherr mitmachen, und die Bauaufsicht, die hier ihren Spielraum genutzt hat.

Inwiefern?

Bei den Internatswohnhäusern war ein zweiter Rettungsweg notwendig. Der Mittelteil der Fenster sollte als Drehflügel ausgebildet werden, was die Optik der Profile verändert und beeinträchtigt hätte. Da haben wir gesagt: Ist es nicht denkbar, wie in einem Bus ein Hämmerchen neben das Fenster zu hängen, mit dem im Notfall die Scheibe eingeschlagen werden kann? Schließlich ist es so realisiert worden, mit einer mittleren, fest eingesetzten Scheibe aus Sekuritglas.

Einige Gebäudeteile, wie zum Beispiel den Eingangsbereich, mussten Sie ja völlig neu gestalten. Nach welchen Prinzipien gingen Sie hier vor?

Nach dem Krieg hatte Waterstradt das Ensemble ja mit einigen neuen Gebäudeteilen ergänzt. Der Eingang wurde dabei in einen eingeschossigen Verbindungstrakt verlegt. Wir wollten diese zweite Gestaltungsschicht aus den 1950er Jahren erhalten. Zugleich sollte aber jene Achse wiederhergestellt werden, welche praktisch das Rückgrat des gesamten Meyer-Wittwer-Baus gebildet hatte. Wir haben daher im Hauptgebäude an jener Stelle, an der sich der ursprüngliche Eingang befunden hatte, einen neuen geschaffen. Mit dieser Ergänzung wie auch mit der Neugestaltung des Windfangs und des Wandbereichs der Eingangshalle vor der Aula wurde dem Haus eine dritte Schicht hinzugefügt. Die durch frühere Umbauten zerstörte Wand erhielt dabei dunkle Eternitplatten – einerseits um den Eingriff lesbar zu machen, andererseits wegen der Materialsprache des Baustoffs, der sich gut ins Gesamtkonzept der Schule einbringt.

Bei der Aula haben Sie ja darauf verzichtet, das originale Interieur wiederherzustellen...

Wir wissen, wie es aussah, aber im Moment fehlen die finanziellen Mittel für eine am Original orientierte Wiederherstellung. Sowieso wird das Haus derzeit nur zum Wohnen genutzt. Der Verbindungstrakt zum Waterstradt-Bau wartet ebenso auf eine Verwendung wie beispielsweise die Seminarräume über der Turnhalle. Darüber hinaus müssten die benachbarten Lehrerhäuser, die für dieses Ensemble unverzichtbar sind, noch restauriert werden. Handlungsbedarf besteht auch für die Freiflächen, für deren Wiederherstellung gemäß dem ursprünglichen Konzept eine weitere Reduzierung der vorhandenen Vegetation notwendig wäre. Aber die bisher geleisteten Arbeiten zur Freilegung des zugewachsenen Gebäudes waren schon schwierig genug und wären ohne das Engagement des Landeskonservators Karg so nicht möglich gewesen. Das gilt übrigens auch für die aufwendige Nachproduktion der Glasbausteine für das Foyer und die Bäder in den Internatsgebäuden.

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege?

Bei dem gesamten Bauvorhaben gab es keine größeren Konflikte, weder mit der Bauherrin noch mit dem Brandenburgischen Landesdenkmalamt, und auch nicht mit der zuständigen Unteren Denkmalschutzbehörde und der Bauaufsicht des Kreises Barnim. Wichtig war natürlich immer die Frage der Kosten.

Im vorgegebenen Rahmen zu bleiben?

Ja, aber nicht nur. Wir haben bis heute Diskussionen mit Fördermittelgebern, besonders bei Elementen des technischen Ausbaus (Heizung, Sanitär und Elektro), die ein wichtiger Gestaltungsaspekt der Bundesschule sind. Der Erhalt originaler technischer Ausstattungsdetails, speziell bezogen auf ihre Gestaltungsqualität und Funktionsweise, ist mit Mehrkosten verbunden, die im Förderkatalog nicht vorgesehen sind.

Rausreißen und neu machen hätte der Förderpraxis mehr entsprochen?

Absolut! Aber wenn wir die Heizkörper oder die Dächer völlig erneuert hätten, würden die doch nicht länger halten als jene, die wir nach fast achtzig Jahren nur zu reparieren brauchten. Die bisherige Förderpraxis widerspricht auch dem denkmalpflegerischen Ansatz, Bedeutung und Wertigkeit eines Baudenkmals am Anteil der Originalsubstanz, die im Bestand noch vorhanden ist, zu messen. Die Bundesschule in Bernau zeichnet sich durch eine außerordentliche baukünstlerische und handwerkliche Qualität aus, die selbst bei einem vermeintlich unscheinbaren Ausstattungsdetail wie einem Heizkörper nicht vernachlässigt werden darf.

Das Interview führte Jan Gympel.

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Für den Beitrag verantwortlich: Metamorphose. Bauen im Bestand

Ansprechpartner:in für diese Seite: Doris Baechlerdoris.baechler[at]konradin.de

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