Zeitschrift

Metamorphose 01/08
Energie sparen
Metamorphose 01/08, Foto: Markus Bachmann
Metamorphose 01/08, Foto: Olaf Bartels
zur Zeitschrift: Metamorphose

Denken statt Dämmen

Zerstört das Energiesparfieber unseren Baubestand?

Dass die Modernisierung bestehender Bauten entscheidend dazu beiträgt, die ehrgeizigen deutschen Energiesparziele zu erreichen, steht außer Frage. Doch ganze Stadtbilder drohen derzeit einem unreflektierten Dämmwahn zum Opfer zu fallen.

7. Januar 2008 - Christian Schönwetter
Sparen, bis es quietscht. So muss man die Dämmwelle bezeichnen, die seit einiger Zeit unsere Städte überzieht. Ganze Siedlungen verschwinden hinter dicken Styroporpaketen, die den Energieverbrauch der Gebäude senken sollen. Nichts gegen das Energiesparen, aber ist es wirklich nötig, jeden freien Quadratmeter Fassadenfläche zu dämmen? Beim verputzten Teil des Gebäudebestands spricht in der Regel nicht viel dagegen, gerade bei Backsteinbauten jedoch geht die Patina, die lebendige Struktur, die handwerkliche Individualität der Fassade verloren. Entweder verschwindet sie hinter Wärmedämmverbundsystemen oder hinter neuen, industriell gefertigten und damit gleichförmigen Vormauerungen. Im günstigsten Fall versucht man sie nach dem Foto des Originals als dünne Oberflächenschicht nachzubilden – eine hohle Geste.
Mag dies bei Einzelgebäuden noch verschmerzbar sein, so wächst sich die Dämmwelle im urbanen Maßstab zum ernsthaften Problem aus. Die Backsteinstädte Norddeutschlands drohen in Thermohaut zu ersticken, das typische Stadtbild, das sich dort wesentlich über die Materialität der Fassaden definiert,bleibt auf der Strecke: ein breiter Identitätsverlust. Die Spitzenorganisationen des Denkmalschutzes wehren sich deshalb gegen den Energiepass für Baudenkmäler. Sie schlagen stattdessen eine Energieberatung vor, die auf den jeweiligen Einzelfall individuell eingehen kann. Denn auch sie befürchten, dass sonst „das Erscheinungsbild und/oder die Substanz von Baudenkmälern durch ungeeignete und unsachgemäße Wärmedämmmaßnahmen gefährdet werden“.(1) Doch Denkmäler stellen nur einen Anteil von ungefähr fünf Prozent des gesamten Gebäudebestandes. Die wirkliche Gefahr für das Stadtbild geht von der Modernisierung der übrigen 95 Prozent aus. Während Energiesparen im Bestand sowohl gesetzlich geregelt ist als auch durch staatliche Finanzspritzen gezielt gefördert wird, gilt für Gestaltanforderungen weder das eine noch das andere. Es bleibt dem Wohlwollen des Bauherrn überlassen, ob er stadtbildverträglich modernisiert oder nicht.

Genau hinschauen

Es zeichnet sich also ein Konflikt zwischen den Wächtern über das Klima und den Wächtern über die Baukultur ab. Die Klimafraktion betont dabei gerne, dass eine Reduktion des Treibhauseffekts nun einmal wichtiger sei als sentimentales Festhalten an der Originalanmutung alter Gebäude. Allerdings greift dieses Argument zu kurz. Denn schwer nachvollziehbar wird die Dämmwut an den Fassaden, wirft man einen genaueren Blick auf deren tatsächliches Energiesparpotenzial. Bei Modellvorhaben wurde der Verbrauch städtischer Mehrfamilienhäuser detailliert untersucht. Die Wohnungen im Erdgeschoss verbrauchten etwa doppelt, diejenigen im obersten Geschoss rund dreimal soviel Energie wie die in den mittleren Etagen (siehe auch Seite 52, 53). Die Verluste über die Außenwände machen also nur einen Bruchteil dessen aus, was über Kellerdecke und Dach verloren geht. Werden letztere ausreichend gedämmt, so kann man bei größeren Bestandsbauten mit anspruchsvoll gestalteter Fassade getrost auf eine außenliegende Dämmschicht verzichten und – falls überhaupt nötig – eine Innendämmung einbauen. Die erreicht zwar nicht die gleiche, aber eine immer noch ausreichende Wirkung.
Warum packt man so oft die Styroporkeule aus, ohne erst einmal darüber nachzudenken, wo sie sinnnvoll eingesetzt werden kann und wo nicht? Der Wohnungsbau der Gründerzeit etwa kann mit überraschend günstigen Verbrauchswerten aufwarten. Denn durch seine kompakten Gebäudeformen weist er ein hervorragendes A/V-Verhältnis auf. Bei einer geschlossenen Blockrandbebauung haben die Wohnungen der mittleren Geschosse kaum Wärmeverlustflächen. Boden, Decke und Seitenwände weisen zu benachbarten, beheizten Wohnungen, lediglich Straßen- und Hofseite verlieren Wärme an die Außenluft, aber eben deutlich weniger als gemeinhin angenommen. Gerade gründerzeitliche Fassaden dämmen nicht schlecht – dank ihrer üppigen Wandstärken. Allein mit neuen Fenstern und einer modernen Heizungsanlage lässt sich der Primärenergiebedarf einer solchen Mittelwohnung auf etwa 130 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr reduzieren. Das ist nur noch halb so viel, wie eine durchschnittliche Bestandswohnung verbraucht (ungefähr 250 Kilowattstunden) und entspricht immerhin dem Standard der Wärmeschutzverordnung von 1995, die wohlgemerkt für Neubauten formuliert wurde. Der reiche Fassadenschmuck solcher gründerzeitlicher Bauten sollte es verbieten, dort ein Wärmedämmverbundsystem einzusetzen, solange Dachboden und Kellerdecke, meist weniger ambitioniert gestaltet, geradezu nach einem dicken Dämmpaket schreien.

Verhältnisse verschoben

Während wir an der Fassade mit großem Aufwand um jede eingesparte Kilowattstunde ringen, verschließen wir die Augen vor anderen Energiefressern, derer man viel leichter Herr werden könnte: Seit Jahren ist bekannt, dass sich in Deutschland bei konsequentem Verzicht auf Stand-by-Schaltungen zwei Atomkraftwerke abschalten ließen. Ersatzlos. Elf Prozent des bundesweiten Stromverbrauchs gehen laut Bundesumweltamt auf das Konto von Leerlaufverlusten, 20 Milliarden Kilowattstunden im Jahr ließen sich sparen. Die ganze Absurdität des Dämmwahns wird deutlich, wenn man diese Zahlen einmal in Relation zum Energieverbrauch der oben beschriebenen Gründerzeitwohnung auf einer mittleren Etage setzt. Bei einer typischen Größe von 75 Quadratmetern verbraucht diese Wohnung gerade einmal 9.750 Kilowattstunden im Jahr. Mit der Energie, die wir bundesweit im Stand-by-Betrieb verpulvern, ließen sich über zwei Millionen solcher Wohnungen heizen. Zwei Millionen! Angesichts dieser Größenordnungen muss die Frage erlaubt sein, warum es nicht längst ein Gesetz gibt, dass den Stand-by-Betrieb bei neuen Geräten verbietet. Damit ließen sich mit geringstem Aufwand größte Einsparungen erzielen. Ohne schädliche Nebenwirkungen für Stadtbild und Baukultur.

(1) Architektenblatt 12/07, Seite 38

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Für den Beitrag verantwortlich: Metamorphose. Bauen im Bestand

Ansprechpartner:in für diese Seite: Doris Baechlerdoris.baechler[at]konradin.de

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