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Metamorphose 04/08
Arbeiten -> Wohnen
Metamorphose 04/08
zur Zeitschrift: Metamorphose
Fokus Arbeiten Wohnen

„Die Baugeschichte ist voll von [...] Metamorphosen von Bauwerk und Stadt. Übrig blieb immer das, was sich gegenüber Veränderungen der Benutzung als elastisch erwies, was sich im städtebaulichen Kontext behauptete und eine vom engen Zweck losgelöste baukünstlerische Qualität besaß.“ (Max Bächer, 1981[1])


Wohnungen in der Innenstadt sind begehrt wie selten zuvor. Auch letzte Flächen-Ressourcen werden genutzt, um den Menschen die Rückkehr in die Stadt zu ermöglichen. Ein großes Potenzial bieten leerstehende Arbeitsstätten: Statt die Gebäude abzureißen, kann dort durch Umnutzung neuer Wohnraum entstehen.

Urbanes Wohnen erlebt eine Renaissance. Die wohlhabende Mittelschicht kehrt dem Umland den Rücken und drängt zurück in die Innenstadt. Die Kommunen ihrerseits fördern den Zuzug zahlungskräftiger Steuerzahler und bemühen sich, den Wohnanteil im Zentrum zu erhöhen. Brachflächen füllen sich mit „Townhouses“ „großzügigen Apartmenthäusern“ und „extravaganten Stadtwohnungen“. Wo die Baulücken knapp werden, erkennen Investoren aber auch immer öfter das Potenzial leerstehender Gebäude, vor allem ehemaliger Arbeitsstätten in zentrumsnahen Gebieten.

Die letzten Ressourcen sollen genutzt und den Wohnungssuchenden zugänglich gemacht werden. Letzte Ressourcen? Während Industrie- und Gewerbebauten des 19. Jahrhunderts auf dem Markt sehr gefragt sind, warten viele Bürobauten der Nachkriegszeit trotz jahrelangen Leerstands vergeblich auf eine neue Verwendung. Warum werden ausgerechnet sie links liegen gelassen, obwohl die Nachfrage nach Wohnraum groß ist?

Schon vor über 25 Jahren beschrieb Max Bächer die Faktoren, die ein Gebäude für eine Umnutzung prädestinieren – oder sie eben behindern. Die Bauten der Moderne blockieren Nutzungsänderungen häufig durch ihre mangelnde Flexibilität. Im Zeichen des Funktionalismus gezielt auf einen einzigen Zweck ausgerichtet, sperren sie sich gegen beinahe jede andere Verwendung und lassen eine Transformation zu Wohnzwecken in ein extrem aufwendiges Unterfangen ausarten. Entfällt die ursprüngliche Funktion, bleibt nur der Abriss – Zweckoptimierung fördert Zerstörung, Neutralität fördert Nachhaltigkeit.

Auch städtebauliche Aspekte sind für die Umnutzung maßgeblich. Gebäude, die sich in ihrem Kontext behaupten können, erleichtern eine Verwandlung in Wohnraum: Als Statussymbol für die Wohnungssuchenden der gehobenen Mittelschicht eignet sich das Besondere, das Herausragende einfach besser als das Durchschnittliche. Wohnungen in einem hoch aufragenden Heizkraftwerk, wie sie etwa in München geplant sind, wirken anziehender als solche in einem gewöhnlichen Bürogebäude, das auch nach Entkernung und Neugestaltung kaum zum Merkzeichen werden wird.

Nicht zuletzt hängt die Zukunft leerstehender Gebäude vom gestalterischen Anspruch ab, mit dem sie einmal errichtet wurden. Was über die reine Zweckerfüllung hinaus baukünstlerische Qualitäten aufweisen kann, hat dauerhaft Bestand. Im Gegensatz zu den Industriebauten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts fehlt vielen Verwaltungsbauten der Nachkriegszeit eine individuelle Gestaltung des Äußeren und des Inneren – den Geschmack der Wohnungssuchenden treffen das scheinbar zeitlose, oft industriell gefertigte Gerüst und seine schmucklose Verkleidung nur selten.
Eine markttaugliche Transformation erfordert daher oft die komplette Überformung.

Eine Alternative zu Leerstand oder radikaler Verwandlung wäre, nicht nur die Nachfrage im Sektor des hochpreisigen Wohnens zu berücksichtigen: Wer die augenblickliche Umbauwelle betrachtet, dem drängt sich ohnehin die Vermutung auf, dass die Innenstädte bald komplett gentrifiziert werden. Während sich die Besserverdiener im Zentrum breit machen, rutschen die Geringverdiener immer weiter an den Stadtrand – eine Trennung, wie sie der Stadt als Ganzem nicht gut tun kann. Investoren möchten zentral gelegene Immobilien nach einer Umnutzung natürlich nicht unter Wert verkaufen oder vermieten, auf einen Gesinnungswandel bei ihnen ist also nicht zu hoffen. Gezielte öffentliche Förderungen zur Umwandlung innerstädtischer Bauten in preiswerten Wohnraum wären daher dringend gefragt.

Claudia Hildner

[1] Bächer, Max (1981): Zerstören und aufrichten. In: Deutsches Architektenblatt 2/1981, S. 179-181

Bestandsaufnahme
06-15 | Projekte, Bücher, Termine

18-19 | Arbeiten -> Wohnen
20-23 | Leerstand als Chance: Wann lohnt es sich für Investoren, Arbeits- zu Wohnraum umzunutzen?
24-29 | 01 Wohnexperiment im Laborbau: Umbau einer Forschungseinrichtung zum Wohnhaus „Quant“, Stuttgart
30-35 | 02 Rhythmus statt Raster: Zürcher Bürobau beherbergt Lofts
36-39 | 03 Schwarzer Hut mit Falten: Umnutzung eines ehemaligen Lagerhauses, Bradford (GB)
40-45 | 04 Zuhause im Regal: Wie sich eine Fabrik in Ulm allmählich zum Wohnhaus wandelt
46-51 | 05 Kleine Kathedralen: Luxuriöse Lofts in einer Spinnerei, Ziegelbrücke (CH)
52-57 | 06 Ruinenromantik: Wohnen in einem ruinösen Bayerwald-Bauernhaus,Viechtach (Oberpfalz)

Technik
58-63 | Der Kompetenz-Stempel: CE-Kennzeichnung für Fenster und Außentüren

Produkte
64-65 | Balkone und Wintergärten
66-67 | Sanitär
68-69 | Neuheiten

Fortbildung
70-71 | Neuer Masterstudiengang in Dresden und Zittau

Rubriken
74 | Vorschau, Impressum, Bildnachweis

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