Zeitschrift

Hintergrund 39 Hintergrund
Schadensbilder
Hintergrund 39 Hintergrund
zur Zeitschrift: Hintergrund
Herausgeber:in: Architekturzentrum Wien

Denkmalprogramm Moderne[1]

Wüstenrot Stiftung

30. Juni 2008 - Berthold Burkhardt
Das Denkmal des 20. Jahrhunderts prägt sich als Gebäude oder als Siedlung erst langsam in das heutige Denkmalbewusstsein der Gesellschaft und Fachwelt ein. Nicht so sehr das relativ geringe Alter von Bauten der klassischen Moderne oder gar der Nachkriegszeit mag die Ursache sein, sondern eher, dass wir den Begriff „Moderne“ oder „modern“ für unsere heutige Bauten wie auch für unsere Gesellschaftsstruktur in Anspruch nehmen und benutzen. Darüber hinaus kamen aus der klassischen Moderne wesentliche Impulse, durch die im 20. Jahrhundert innovative Entwicklungen von der Industrialisierung bis hin zu Sozialstrukturen initiiert wurden, die – wenn auch mit Brüchen – bis heute fortbestehen. Die Bauten der klassischen Moderne werden auch heute noch, nicht nur formal, als modern verstanden.

Der Wüstenrot Stiftung[2] in Ludwigsburg kommt das besondere Verdienst zu, ein Denkmalprogramm aufgelegt zu haben, in dem während der letzten zehn Jahre die Instandsetzung von Bauten der Moderne einen besonderen Schwerpunkt bildeten.

Sie unterstützt die Instandsetzung des Denkmals nicht nur finanziell, sondern übernimmt für die Bauzeit operativ das Handling und die notwendigen Entscheidungen als Bauherrin. Dazu zählt die Auswahl und Beauftragung eines Teams, in dem, je nach den Anforderungen, Architekten und Fachingenieure, Restauratoren und Bauklimatiker zusammenwirken. Ein ebenfalls von der Stiftung bestellter wissenschaftlicher Beirat[3] begleitet alle Planungsschritte und Ausführungsmaßnahmen.

Eingehende Voruntersuchungen vor Baubeginn, die alle bautechnischen Aspekte bis hin zur Nutzungsgeschichte umfassen, begünstigen nicht nur eine durchdachte und begründete denkmalpflegerische Zielsetzung und Sanierungsplanung, sondern ermöglichen auch eine weitgehende Kostensicherheit für die Investition zur Instandsetzung.

Denkmalpflege von Bauten der Moderne – ob aus der Zeit der Weimarer Republik, der Nachkriegszeit oder der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – erfordert im Prinzip methodisch keine andere Vorgehensweise zur Erforschung, zur Instandsetzung und zur Erhaltung als von Bauten aus anderen Epochen. Methoden und Bewertungsverfahren im Umgang mit Denkmälern sind weitestgehend unabhängig vom Alter, dem Standort oder gar der formalen Gestalt eines Gebäudes. Der Kenntnis des jeweiligen Standes der Technik kommt jedoch eine entscheidende Rolle zu. Kaum eine Phase in der Baugeschichte hat in kürzester Zeit derart viele technische Innovationen aufgenommen wie die klassische Moderne, sie war geradezu idealer Partner der im 19. Jahrhundert beginnenden Industrialisierung im Bauwesen.

Kenntnisse der bauzeitlich angewandten Technik von der Baukonstruktion und ihren Materialien, über die bauphysikalischen Eigenschaften bis hin zur Haustechnik und der Bauklimatik sind Voraussetzungen, um entstandene Schäden und Schadensbilder insgesamt zu beurteilen – nicht zuletzt, um richtige bzw. verträgliche Instandsetzungen zu entwickeln und anzuwenden.

Schadensbilder weisen auf unterschiedliche Schadensursachen hin, die es im Einzelnen zu erklären und zu differenzieren gilt:

Endliche Lebensdauer von Bauten, Bauteilen und technischen Einrichtungen[4]
Materialermüdung und Verschleiß
Zerstörungen
Falsche Reparaturen
Experimente und Versuchsbauten
Planungs- und Ausführungsfehler
Mangelnde Pflege und Wartung

An den von der Wüstenrot Stiftung und ihren Fachleuten instand gesetzten Bauten lassen sich die genannten Schadensarten und ihr Umgang bei den Reparaturen praxisnah aufzeigen. Die ausführlichen Berichte der Beteiligten sind in einer Publikationsreihe der Wüstenrot Stiftung veröffentlicht und dienen beispielhaft bei ähnlichen Aufgaben.[5]

Tragwerk und Gebäudehülle

Monolithischer Stahlbeton, Eisen- und Stahlskelette waren die neuen Bausysteme und Materialien für die Tragwerke in Verbindung mit traditionellem Mauerwerk seit dem Ende des 19. Jahrhunderts.
Man geht davon aus, dass Erich Mendelsohn den 1921/22 erbauten Einsteinturm in Potsdam (Bild 1) in einer frei geformten monolithischen Stahlbetonbauweise errichten wollte. Offensichtlich ist dies nur teilweise gelungen, wir finden als Konstruktion von Tragwerk und Gebäudehülle einen Wechsel von Stahlbeton und Mauerwerk in unterschiedlichen Wandstärken. Der Außenputz war nicht in der Lage, die Risse aus den diskontinuierlichen thermischen Spannungen zu überbrücken. Diese Schäden sind auch nach der Sanierung im Jahre 1999 trotz genauer Schadensanalyse und dem Einsatz modifizierter Sanierungsverfahren nicht gänzlich behoben. Es gibt erhaltenswerte Bauten, die während ihrer gesamten Standzeit Patienten bleiben. Pflegepläne helfen den Nutzern nach der Instandsetzungsmaßnahme.

Otto Haesler, Walter Gropius, Mies van der Rohe, Hans Scharoun und andere Architekten der Moderne bevorzugten für die Tragwerke ihrer Bauten Eisenskelettkonstruktionen in Verbindung mit vorgefertigten Steineisendecken. Die Skelettbauten konnten auch mit gebogenen Trägern hergestellt und in kurzer Zeit mit einem Minimum an Gerüsten montiert werden.

Beim Arbeitsamt[6] von Walter Gropius in Dessau (Bild 2 und 3) und auch beim Haus Schminke in Löbau von Hans Scharoun wurde die Eisenkonstruktion ummauert, verputzt oder mit Sichtmauerwerk verkleidet. Dringt über längere Zeit durch Außenwände oder undichte Dächer Feuchtigkeit ein, werden die Eisenteile trotz bauzeitlichen Anstrichen mit Mennige zum Schadensfall. Totalsanierungen können Totalverlust bedeuten. Teilsanierung oder Sanierungen über eine längere Zeit bedürfen der Einvernehmlichkeit zwischen Bauherrn, Planern, Handwerkern und der Denkmalpflege.

Oberflächen und Farbe

Die klassische Moderne wird häufig auch als die „weiße Moderne“ bezeichnet. Einerseits prägte die zeitgenössische Schwarz-Weiß-Fotografie das Erkennungsbild, andererseits ist ein Verlust der Farbigkeit durch Nachnutzungen im Laufe der Zeit eingetreten. Wie intensive Befunduntersuchungen von Restauratoren inzwischen belegen, waren zwar die Außenhüllen überwiegend weiß verputzt, zeigte sich das Innere vieler Gebäude jedoch in einer überraschend intensiven Farbigkeit von Wänden, Türen und Einbaumöbeln. Liegen die Befunde der Restauratoren vor, lässt sich an eine Wiederherstellung denken. Eine Freilegung und Restaurierung der Farbschichten unter meist zahlreichen späteren Anstrichen oder Tapeten ist nicht zuletzt auch unter ökonomischen Aspekten kaum zu leisten. Der Schutz der bauzeitlichen Schichten durch eine reversible feine Makulatur kann zu guten Ergebnissen führen, zumal bei einigen Herstellern Farben und andere Materialien zur Restaurierung erhältlich sind.

Wie bei Denkmälern anderer Epochen ist hier zunächst eine denkmalpflegerische Entscheidung für eine bestimmte Zeitschicht zu treffen, die nicht zwangsläufig die Erstfassung sein muss. Eine Wiederherstellung der Farbigkeit eines Raumes sollte jedoch nur erfolgen, wenn Material und Farbigkeit – auch der Decken und Böden – bestimmt sind. Nur dann kann ein Raumeindruck vermittelt werden, der den Intentionen der Architekten oder früheren Nutzern entspricht. Mangels ausreichender Befundlage zeigt sich das instand gesetzte Haus Schminke (Bild 4) heute in einer durchgängig einheitlich hellen (neutralen) Fassung, in den Meisterhäusern Muche/Schlemmer von Gropius (Bild 5 und 6) in Dessau und dem Doppelhaus von Le Corbusier (Bild 7) in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung konnte einzelnen Räumen und sogar Raumfolgen ihre Farbigkeit wieder zurückgegeben werden.

Folgt man dem Grundsatz, möglichst viel originale Bausubstanz zu erhalten, trifft dies auch auf konstruktive Elemente, wie z.B. Traufbleche oder den Außenputz zu. Erneuerung ist bei Verschleiß unumgänglich, unverträgliche Altputze aus früheren Reparaturen müssen ersetzt werden, nicht jedoch die gesamte noch intakte Außenhaut.

Haustechnik und Bauklimatik

Es ist leider zu beklagen, dass technische Geräte wie Heizanlagen, Sanitär- und Elektroinstallationen auch bei jüngeren Denkmälern häufig vollständig verloren gehen. Einerseits wird dem Denkmalwert dieser technischen Zeitzeugen zu wenig Bedeutung zugemessen, anderseits sind die tatsächliche Lebensdauer und vor allem ihre sicherheitstechnische Zulassung längst überschritten. Schaden nimmt aber ein Gebäude besonders dann, wenn im Zuge einer Umnutzung auf modernste Medien-, Elektro- oder Klimatechnik umgerüstet wird. Ein besonders schwieriger Fall war das zum Straßenverkehrsamt umgenutzte ehemalige Arbeitsamt von Walter Gropius mit vielen neuen Leitungen bei Oberflächen im Inneren aus Terrazzo, Glas und Fliesen.
Das Verlegen der neuen Leitungen im Shedbereich und unter aufgedoppelten Fußböden schien eine geeignete Lösung auf Zeit.

Um ein Gebäude bezüglich der Haustechnik, vor allem der Heizung und Lüftung oder auch des energetischen Verhaltens zu beurteilen, greift eine bauphysikalische Untersuchung der baukonstruktiven Elemente in der Regel zu kurz. Eine ganzheitliche Erfassung des bauklimatischen Verhaltens des Gebäudes ist vonnöten. Lässt sich häufig die Wärmedämmung der Dächer verbessern, haben Wärmeschutzmaßnahmen der Außenwände vor allem bei den Fenstern mit Einfachverglasung entscheidenden Einfluss auf das physikalische Gesamtgefüge. Hinzu kommt die optische Veränderung bis Verunstaltung der baulichen Dimensionen bis ins Detail. Zwar lassen sich in Einzelfällen in die vorhandenen Fensterprofile sehr schmale Doppelverglasungen einsetzen, die Beseitigung der sogenannten „Schwachstelle“ Fenster mit Einfachverglasung verschiebt den Wärme- und Feuchtigkeitsdurchgang in das angrenzende Mauerwerk mit innenliegender Stahlkonstruktion. Irreparable Schäden können die Folge sein.

Durch die Wüstenrot-Projekte im Denkmalprogramm Moderne konnten viele Erfahrungen gesammelt werden, die nicht nur denkmalpflegerisch anerkannte, sondern auch technisch qualifizierte Instandsetzungen ermöglichten. Dieser Erfahrungsschatz lässt sich auf die Sanierung von Bauten der Nachkriegszeit erfolgreich übertragen. Die Instandsetzungen der Geschwister-Scholl-Schule in Lünen von Hans Scharoun (Baujahr 1951) und des Kanzlerbungalows von Sep Ruf in Bonn (Baujahr 1964) sind Projekte, die das Denkmalprogramm der Stiftung beispielhaft fortsetzen.

Anmerkungen
[1] Kurzfassung des Vortrags im Rahmen des Symposiums „Schadensbilder – Sanierung der Moderne“ des Az W am 12.04.2008
[2] Die Wüstenrot Stiftung mit Sitz in Ludwigsburg (Geschäftsführer Georg Adlbert) verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke in Wissenschaft und Forschung, Lehre, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur und Wiederherstellung von Denkmälern.
[3] Der wissenschaftliche Beirat besteht aus den Professoren August Gebeßler, Stuttgart, Norbert Huse, München und Berthold Burkhardt, Braunschweig.
[4] Dass die Bauten der Moderne auf Zeit geplant gewesen sein sollen, ist ein leider immer wieder geäußerter Irrtum. Niemand wäre in den 20er Jahren in einer Zeit der großen Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit auf den Gedanken gekommen, Häuser mit Verfallsdatum zu bauen. Schnell und kostengünstig zu bauen war im Wohnungsbau ebenso wichtig wie die funktionalen, gesellschaftlichen und architektonischen Leitlinien.
[5] Instandsetzung des Einsteinturms (Erich Mendelsohn) und der Villa Schminke (Hans Scharoun) durch die Architekten Werkstatt für Denkmalpflege Pitz Hoh, Berlin
Instandsetzung der Meisterhäuser Muche/Schlemmer durch das Architekturbüro Brenne, Berlin
Instandsetzung des Doppelhauses auf der Weissenhofsiedlung (Le Corbusier) durch das Büro Architektur 109, Stuttgart
Instandsetzung des ehem. Arbeitsamtes (Walter Gropius) und des Kanzlerbungalows in Bonn (Sep Ruf) durch das Architekturbüro Burkhardt Schumacher, Braunschweig
[6] Die Instandsetzung und Umnutzung des ehemaligen Arbeitsamtes von Walter Gropius war kein Projekt der Wüstenrot Stiftung. Bauherr war die Stadt Dessau. Das Vorhaben kann durchaus als Nachweis gelten, dass solche anspruchsvollen Sanierungen ohne private Stiftungsmittel und vor allem nach den Vorschriften der öffentlichen Hand gelingen können, wendet man die erprobte Vorgehensweise der Stiftung an.

Literatur zu den genannten Projekten
Instandsetzung der Moderne, Schriften der Wüstenrot Stiftung im Karl Krämer Verlag Stuttgart:

Norbert Huse: Erich Mendelsohn, der Einsteinturm, Stuttgart 1999
Berthold Burkhardt: Scharoun, Haus Schminke, Stuttgart 2002
August Gebeßler: Walter Gropius, das Meisterhaus Muche Schlemmer, Stuttgart 2003
Georg Adlbert: Le Corbusier, das Doppelhaus der Weissenhofsiedlung, Stuttgart 2006

[Berthold Burkhardt, Christine Weber: Das Arbeitsamt von Walter Gropius in Dessau
In: Stadt Dessau Stadtarchiv (hrsg.) Dessauer Kalender 2000, 44. Jahrg., Dessau 2000]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Hintergrund

Ansprechpartner:in für diese Seite: Martina Frühwirthfruehwirth[at]azw.at

Tools: