nextroom.at

Echt falsch. Ein Widerspruch, der keiner ist, auch wenn gerade Holz unendlich oft imitiert wurde und wird bzw. Holz dazu diente und dient, andere Materialien vorzutäuschen. Denn die Kernfrage lautet: Was ist echt? Das organische, authentische Holz oder die Nachahmung? Wer hat recht? Der, der den Plastikstuhl aus Plastik macht, oder der, der ihn aus Sperrholz nachbaut? Ist das eine richtig und das andere falsch oder geht es immer um die Absicht, die hinter der Imitation steht? Ist die kunsthandwerklich perfekte Illusion »besser« als die gewollte Irreführung?

Die Sache wird nicht einfacher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Holz auch mit Holz gefälscht wird – man denke an einen Möbelkorpus aus Fichtenholz, der durch das Furnieren mit einer kostbareren Holzart »nobilitiert« wird – oder dass, wie z. B. im Palais Epstein in Wien, bei dessen Errichtung Geld wohl kaum eine Rolle spielte, Stuckdecken vorgeben, aus Holz zu sein. Trotzdem haben wir uns entschlossen, der »Wahrheit« nachzuspüren, in die Widersprüche hineinzugehen, sie, wenn vielleicht auch nicht aufzulösen, dann doch zu ordnen, zu strukturieren und damit die Vielfalt darzustellen, die dem Holz innewohnt, auch wenn es gar nicht Holz ist. Denn jenseits einer ethischen Beurteilung geht es gerade in der Architektur vor allem um Wirkung und Wahrnehmung. Arno Ritter schreibt in seinem Beitrag über Hermann Czech, der listig mit den Konventionen des Augenscheinlichen spielt: »Eigentlich interessiert er sich nicht für die Materialien an sich, da er sie ,nur‘ – je nachdem – für ,etwas‘ verwendet, sie der Sprache und der Idee des Entwurfs unterordnet. (...) Diese Haltung kennt kein echt oder falsch, folgt nicht vordergründig Überlegungen zur Materialgerechtigkeit und lügt teilweise, was das Zeug hält, weil sie letztendlich an einem bestimmten und stimmigen Ergebnis interessiert ist.« Dieser Zugang verweigert und entzieht sich einer Verurteilung des »Falschen« und befreit damit von der Notwendigkeit einer moralischen Bewertung. Hier geht es tatsächlich nur mehr um die Wirkung von Codes und darum, wie sie eingesetzt werden.

Zurück zum Holz: Seit Jahrhunderten wird es imitiert, seit Jahrhunderten dient es als Trägersubstanz für die verschiedensten Oberflächen. Die Methoden der »Fälschung« haben sich im Lauf der Zeit verfeinert und im Malerhandwerk des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt erlebt, der inzwischen durch industrielle Techniken noch übertroffen wird, sodass die Unterscheidung zwischen »echt« und »falsch« auch für Fachleute immer schwieriger wird und das Echte oft unechter wirkt als das Falsche.

In der Architektur wird das »Ehrliche« als Erbe der Moderne häufig noch immer als ethische Größe betrachtet. Ein Standpunkt, der in diesem Zuschnitt nicht widerlegt, aber hinterfragt und erweitert werden soll. Verwandlung, Sublimierung, Fiktion und das Thema der Defizite, die aus »Verbotenem« erwachsen, sind nur einige der Begriffe, die ebenso wichtig sind wie jener der Materialgerechtigkeit, und nicht zuletzt bewirkt die Ironie, die einhergeht mit der Lust an der gekonnten »Fälschung«, eine Befreiung des Geistes aus dem Diktat des »einzig Wahren«.
Eva Guttmann

• Editorial
Text: Eva Guttmann

• Was ist Wesen, was ist Schein? – Nachdenkhilfen zur »Natürlichkeit«
Text: Otto Kapfinger

• Virtuosität des Scheinbaren im Palais Epstein von Theophil Hansen
Text: Gabriele Kaiser

• Methoden der Fälschung
Text: Eva Guttmann

• Holz mit Holz fälschen – Vom Furnier und seinen Verwandten
Text: Franziska Leeb

• Botschaft Holz – »House of Sweden« in Washington
Text: Eva Guttmann

• Natur geschichtet – Eingangspavillon Schloss Lackenbach
Text: Anne Isopp

• The Mistake by the Lake oder: Jedem das Seine
Fotoserie von Chris Mottalini

• Paradox – Ein Plastikstuhl aus Holz
Text: Anne Isopp

• Holz in der Beiz – Eine kulinarische Reise
Text: Christoph Luchsinger

• Sprache als Hintergrund – Hermann Czech und seine Architektur jenseits des Materials
Text: Arno Ritter

• Wir sind dem Holz egal
Text: Wolfgang Pauser

• Massives Leichtgewicht
Text: Eva Guttmann

• Seitenware
Text: Eva Guttmann

• Feuerprobe
• Brettlsause
• Tischlein duck dich
• Klotz am Ohr
Text: Michael Hausenblas

Holz(an)stoß
• Beauty is only skin-deep
Text: Stefan Tasch

Artikel

16. Dezember 2008 Otto Kapfinger
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Was ist Wesen, was ist Schein?

Nachdenkhilfen zur »Natürlichkeit«

Je mehr Anteile am Neubauvolumen der Werkstoff Holz erobert, je mehr sich auch die Holztechnologie einer industriellen Künstlichkeit annähert, umso mehr wird über Aspekte der Nachhaltigkeit diskutiert, über praktische und ästhetische Grundfragen. Die Positionen pendeln, grob gesagt, zwischen mehreren Standpunkten. Es gibt die konventionelle Haltung, welche Holzoberflächen generell pflegeleicht mit deckenden Lackierungen veredelt oder mit Imprägnierungen aller Art konserviert haben will; es gibt die puristische Haltung, welche chemische Schutzschichten und Bekleidungen ablehnt und Holz innen wie außen möglichst »natur« anwendet; und es gibt eine libertäre Haltung, die den »Trend zur Natur« kommerziell und emotional am liebsten mit preiswerten Laminaten, mit Imitationen aus künstlichen Werkstoffen bedienen möchte.

Im Spektrum aller Haltungen steckt neben unterschiedlichen pragmatischen Motiven ein hohes Maß an Ideologien, und diese beruhen auf einer stattlichen Geschichte einschlägiger Debatten. Im Zentrum solcher Auseinandersetzungen stand und steht die philosophische, kulturelle Orientierung. Es geht um soziale Werthaltungen, es geht um die Trennschärfe kultureller Übereinkünfte, um die Positionierung innerhalb fundamentaler Begriffsraster: Was ist Wahrheit, was ist Lüge – und kann vielleicht eine so genannte Lüge wahrer sein als eine so genannte Wahrheit (siehe u.a. das Epimenides-Paradoxon)? Was ist Echtheit, Authentizität – und was ist Imitat, Täuschung? Was ist substanzielles Wesen, was äußerliche Erscheinung – und wie ist die Beziehung, die Hierarchie zwischen beiden (siehe u.a. Platons Höhlengleichnis)? Was ist Natürlichkeit, was ist Künstlichkeit – und in welchem Werteverhältnis stehen sie zueinander? Was ist wirklicher Stil, was flüchtige Mode – und welche Rollen spielen die beiden Sphären im Selbstverständnis einer Zeit, einer Gesellschaft? Wie ist das Verhältnis zwischen dem bloßen Körper und seinen Applikationen mit Schmuck, mit Ornament, mit Hülle und Bekleidung? Wie halten wir es mit der Vergänglichkeit, mit dem Altern, mit dem Tod und mit dem Begehren nach ewiger Dauer, nach »ewiger Jugend«...?

Die heutigen Standpunkte spiegeln vielfach immer noch den Streit um die Moderne vor gut hundert Jahren wider. »Nuda veritas!«, hieß der Schlachtruf der künstlerischen, kulturellen Secessionen in Europa um 1900. Die Schmuck-, Bemalungs-, Verkleidungs- und Dekorationswut des Historismus wurde als »Lüge«, als nicht authentische Maske verdammt – und die Nacktheit der Körperlichkeit, der natürlichen Materialien, der praktisch-rational minimierten Gestaltungen wurde als Stil der neuen Zeit propagiert. Aber schon damals spalteten sich die Proponenten des »wahren Zeitstils«, der neuen »Natürlichkeit« in gegensätzliche Lager. Die einen trauten sich sehr wohl zu, neue Bekleidungen, neue Schmuckformen, neue Tapeten, neue Ornamente und Farben für Bauten, Möbel und Alltagsgegenstände zu schaffen – das ganze Lager von Jugendstil, Art Nouveau und später Art Deco. Die anderen lehnten genau das als reaktionären Modernismus ab und proklamierten einen radikalen Purismus: Marmor sei die billigste Tapete, Ornament sei mit Pathologie und Primitivität gleichzusetzen, weiße Wände sollten es werden, keusch und rein... So und ähnlich lauteten die Zitate von Loos, Le Corbusier und anderen – und deren Ansätze haben sich mit dem Internationalen Stil in der akademischen Lehre und im vergröberten baulichen Alltag dann bis zur so genannten Postmoderne weitgehend durchgesetzt.

Das Paradigma der klassischen Moderne resultiert aus einem epochalen Bruch mit jeder Tradition, was Friedrich Nietzsche mit dem (paradoxen) Satz »Gott ist tot« ausgesprochen hatte. Jede Form von humaner Kultur davor hatte sich aus der Bewusstwerdung des leiblichen Todes und aus der Frage nach einem darüber hinausgehenden Sinn, nach einer Instanz jenseits des Todes, jenseits von Zeit und Raum, nach Transzendenz und dergleichen entwickelt. Und alle baulichen, künstlerischen, alltagsbezogenen Stile, Ausdrucksformen waren in die immateriellen Bedeutungsfelder der Religionen und der auf sie weiter begründeten sozialen Hierarchien eingebettet. Das Materielle – vergänglich – war selbst in kleinsten Aspekten in die fiktionalen, geistigen, emotionalen Konstrukte des Immateriellen verstrickt. Jede Maske hatte konkrete Bedeutung und »Natur« wurde erst in künstlichen, jahreszeitlichen Ritualen verstanden, bewältigt, begriffen.

Mit der Säkularisierung der europäischen, naturwissenschaftlich-industriell begründeten Gesellschaft, mit der Zerschlagung feudaler Hierarchien sind sämtliche alten Referenzebenen der Alltagsgestaltung entwertet und bleiben tatsächlich (scheinbar!) nur nackter Materialismus und Utilitarismus.

Denn das humane Lustprinzip ist lebendiger, aufgeregter, zielloser, hungriger denn je. Wirtschaft und Politik geben sich rational, gründen aber auf extremen Fiktionen – nicht mehr im Glauben an Kirche und Kaiser und Moral und dergleichen, sondern im Glauben an die Macht des Wachstums, des endlosen Begehrens, an die Gerechtigkeit des freien Marktes und die Dynamik des Kapitals. Wie irrational ihrerseits diese säkularen Glaubenssysteme sind, zeigt sich gegenwärtig an der weltweiten »Finanzkrise«.

In den bildenden Künsten, die mit der Baukunst engstens verknüpft waren, führte dieser Bruch zur Trennung und zur Freisetzung der künstlerischen Mittel vom direkten Verweis auf Natur, auf Übernatur und ewige Dauer. Die bildenden Künste wurden autonom, selbstreferenziell, abstrakt. Die Kunst seither denkt nicht mehr im Referenzrahmen transzendenter Wahrheiten, sie denkt über sich selbst nach und über die Systeme dieses Nachdenkens, über die Projektions- und Behauptungsweisen von Wirklichkeit, über die Spielregeln von Logik, von Wahrheit...


Der Traditionsbruch in Kunst und Baukunst war untergründig von einer gar nicht neutralen, gar nicht so rationalen Ideologie gespeist. Die Emphase für »weiße Wände«, für pures industrielles Material, für den Verzicht auf Ornament und Schmuck war durchaus auch männlich-mechanistisch-machistisch unterfüttert; alles Ornamentale, Kleidhafte, Schmuckhafte, Modische, Emotionale wurde als feminin, primitiv triebhaft, unhygienisch und bedrohlich (im Zeitalter der venerischen Krankheiten und der aufkommenden Emanzipation der Frauen!) kodiert und qualifiziert (siehe u.a. Otto Weiningers Bestseller »Geschlecht und Charakter« von 1903 und die Folgen). Joseph Maria Olbrich wollte sein Haus der Wiener Secession in naturfarbenem Putz haben, »rein und keusch«, dann wurde der Bau doch geweißelt, weil der Naturputz zu fleckig war, und seither wurde dieses weiße Kleid ein Dutzend Mal erneuert. Die auf Otto Wagners Ziegelbauten aufgenagelten Marmorplattenkleider und Steinplattenrüstungen, seiner Obsession für leichte Abwaschbarkeit und ewige Dauer entsprungen, haben sich praktisch etwas besser gehalten, ästhetisch sind auch sie schon Geschichte...

Zurück zum Holz, das unter den Baustoffen der lebhafteste, der organischste und dem Humanen am nächsten ist: Gerade dieses Naturell, diese Organik, dieses Leben und Atmen des Materials setzt es nach wie vor in die unausweichliche Spannung zwischen diametralen Werthaltungen: Wie halten wir es mit den Prozessen der Natur, mit der Vergänglichkeit, mit der Endlichkeit (von allem), wie mit der Begierde nach ewiger Dauer, ewiger Jugend, mit dem Verhältnis zwischen Schein und Sein? Wie echt ist heute noch »das Echte«, das in den militanten Ideologien des 20.Jahrhunderts tausendfach desavouiert, missbraucht, verfälscht worden ist? Oder bleibt als Motto eher übrig, was Lucius Burckhardt am Dilemma zwischen »echtem und falschem Schmuck« meisterhaft beschrieben hat, dass nämlich »nur der Schein nicht trügt, nicht täuscht, weil das Echte nichts mehr bedeutet, und der Schein, der Glamour hingegen immerhin der kulturellen und subkulturellen Unterscheidung dient«?

All das kann beim Nachdenken über die Natur des Holzes helfen – nicht zur Legitimierung von weiteren Tonnen Sondermüll an Chemie, an Ersatz und an »echt« Kunststoff, sondern zum Nachdenken über das Problem, warum es so schwierig ist, in einer Gesellschaft des scheinbaren Überflusses und der endlosen Begehrlichkeit eine aus den Verhältnissen des Mangels geborene Ästhetik des Rauen, des Rohen, Ungekochten, Ungeschönten, des »Natürlichen« zu etablieren.

16. Dezember 2008 Gabriele Kaiser
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Virtuosität des Scheinbaren

im Palais Epstein von Theophil Hansen

Nuss, Eiche, Palisander ? Bei Führungen durch das Palais Epstein – 1868 bis 1871 nach Plänen von Theophil Hansen auf einem der prominentesten Bauplätze an der Wiener Ringstraße errichtet – lenkt Georg Töpfer, der gemeinsam mit Alexander van der Donk 2004/05 die Restaurierungs- und Umbauarbeiten leitete, den Blick der Besucher gern nach oben zu den prächtigen Kassettendecken in Empfangsraum, Speisesaal und Spielzimmer und lässt sie die Anzahl der verwendeten Holzarten raten. Sind es drei, vier, gar fünf? Suchend wandert der Blick über die Deckenpracht. Gar kein Holz – die Antwort musste ja kommen. Was täuschend echt wie aufwändige Schnitzarbeit aussieht, ist lasierter Gipsstuck, kunstvoll auf Holzdecke getrimmt. Das gemalte Holz wirkt so echt, dass es von wirklichem Holz nicht zu unterscheiden ist und auch im unmittelbaren Zusammenspiel mit Furnieren und Massivhölzern im selben Raum überzeugt.

Die handwerkliche Präzision der Nachahmung stellte die Restauratoren, die sich mit der Qualität der Lasurtechnik aus nächster Nähe auseinandersetzten, vor handwerkliche Herausforderungen. »Die Perfektion der Imitation ging so weit, dass sogar die Gehrungsschnitte im Stuck nachgebildet sind«, berichtet Georg Töpfer. Mit den Scheinholzdecken, die aus vorgefertigten dünnen Gipsguss-Stuckteilen aufgebaut sind, ist das Stoffwechselprogramm des Palais Epstein jedoch längst nicht erschöpft. Eine spezialisierte Handwerkskultur ermöglichte es, dass sich nahezu alle Materialien in alle verwandeln konnten: Holz in Marmor, Gips in Holz, Metall in Marmor und Holz in Metall. Hansen legte seinem Entwurf ein differenziertes Farb- und Formenkonzept zugrunde, sodass die farbig gefassten Holzteile der Türrahmen und -verkleidungen vielfach die gleichen Marmorierungen wie die Stuckdecken oder die in Stuccolustro oder Stuckmarmor gearbeitete Wandausstattung zeigen. Stuckmarmor ist gestaltbarer als echter Marmor, gemaltes Holz gestaltbarer als echtes. Stuccolustro und Stuckmarmor (der das teurere Verfahren der Steinimitation darstellte) treffen im Palais Epstein als gleichwertige Fertigungstechniken aufeinander. »Sicher ging es dabei auch um das Ethos des Handwerks«, mutmaßt Töpfer, »man wollte einfach zeigen, was man kann und dass man es kann«.

So viel Aufwand für den Schein? Eine prunkvolle Bühne für die Virtuosen der Täuschung? Der Moralbegriff der Moderne und das Dogma der Materialehrlichkeit, das auch die Architekturauffassung der mit dem Umbau beauftragten Architekten prägte, wiegen sichtlich noch schwer. Georg Töpfer hatte bei Hans Puchhammer an der TU Wien studiert und im Zuge der großen Loos-Ausstellung in der Albertina 1989 Bauaufnahmen von Loos-Gebäuden gemacht. Bei der Arbeit im Palais Epstein musste er deshalb erst über seinen Loos-Schatten springen, als er sich in dem polychromen Gesamtkunstwerk mit einer heute nicht mehr fasslichen Oberflächenopulenz konfrontiert sah. Die Gestaltungsfreiheit im Sinne einer orchestrierten räumlichen Gesamtwirkung war wohl auch zentrales Motiv für die Imitation von Materialien, die – weil nicht Produkte der Natur, sondern des hoch spezialisierten Kunsthandwerks – ein viel höheres Maß an chromatischer Perfektion ermöglichten. Obwohl die Bauindustrie des 19. Jhs. in vielen Musterbüchern ornamentale Katalogware bereithielt (die Hansen eher bespielte, als dass er sich ihrer bedient hätte), ist angesichts der Finanzkraft des Bauherrn Gustav Epstein der Spargedanke allenfalls hinsichtlich der relativ kurzen Bauzeit ein Argument.

Für Hansen war die Stimmigkeit der Raumoberflächen entscheidend, zudem galt es, konkrete historische Referenzen in die Gesamtkomposition zu integrieren. Für den Plafond des Speisezimmers hatte z. B. die römische Basilika San Lorenzo fuori le Mura als Vorlage gedient, und die farbig gefasste Decke des Spielzimmers ist ein wörtliches Zitat der Decke der venezianischen Renaissancekirche Santa Maria dei Miracoli. Von dieser Decke hatte Hansen auf einer Italienreise detailgetreue Bauaufnahmen angefertigt und in der »Allgemeinen Bauzeitung« veröffentlicht. 1 Die Integration historischer Vorlagen ins Gesamtkonzept des Neuen erscheint im Palais Epstein ebenso »natürlich« wie das Ineinandergreifen von Nachahmung und Erfindung in dessen Umsetzung. So als ob sich gerade in der möglichst getreuen Nachahmung eines Materials (einer realen Gesteins- oder Holzart, man wollte ja keine Werkstoffe »fantasieren«) und in der Anverwandlung von kanonisierter Architektur vergangener Epochen die spielerische Lust an der Imitation erfindungsreich entfalten konnte. In dieser hohen Kunst des »Als-ob« verlieren die heute gängigen Kategorien des Echten und Falschen rasch ihren Sinn.

15. Dezember 2008 Eva Guttmann
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Methoden der Fälschung

Seit wann wird was von wem, wie und warum imitiert? Die Antworten auf diese einfachen Fragen sind alles andere als einfach. Faktum ist, dass die Imitation schon in der Natur Vorbilder hat. Mimikry, eine angeborene Form der Tarnung im Tier- und Pflanzenreich, bei der Gestalt, Färbung oder Zeichnung anderer Lebewesen zum Zweck des Selbstschutzes, des Anlockens von Beute oder der Vermehrung angenommen werden, gehört zu den bekanntesten.

Doch auch Holz wird seit Langem imitiert bzw. herangezogen, um andere Materialien zu imitieren. Eine Sonderform ist die Imitation von Holz durch Holz – also die visuelle Aufwertung einer Holzart durch bestimmte Techniken wie bemalen oder furnieren.

Wolfgang Baatz, Leiter des Instituts für Konservierung und Restaurierung an der Akademie der bildenden Künste Wien erzählt, dass bereits in der Antike mit Malereien bestimmte räumliche Wirkungen und verschiedene Materialien nachgeahmt wurden. Meist handelte es sich um konstruktive Elemente, wie etwa beim Grab der Valerier im 2. Jh. n. Chr. in Rom, in dem eine »Holzkassettendecke« aus Stuck erhalten ist. Warum das so ist, kann heute allerdings nicht mehr entschlüsselt werden.

Im Lauf der Zeit entwickelte das Malerhandwerk Methoden und Techniken des »Täuschens«, die zur Zeit des Historismus im 19. Jh. einen Höhepunkt erreichten. Damals gab es ähnliche Gründe wie heute, Holz nachzuahmen oder als Trägermaterial zu verwenden. So war es naheliegend, billiges, leicht verfügbares Holz zu bemalen, um eine edlere bzw. seltene Holzart vorzutäuschen. Ebenso verfiel man auf die Idee, Kassettendecken zu »basteln«, indem man einfache Leisten als »Feldbegrenzungen« auf eine simple Holzbalkendecke mit Bretteruntersicht nagelte. Elaborierter war da schon die Methode, echte Wurzelholzmöbel durch korrigierende Bemalung noch kostbarer zu machen und »Fehler« der Natur zu retuschieren.

Ein anderer Grund für die Imitation im 19. Jh. waren vor- bzw. frühindustrielle Methoden der Massenproduktion von Stuckleisten und -formen. Diese konnten viel schneller produziert und montiert werden als echtes Holz, und der Ehrgeiz der Maler bezog sich nicht nur auf eine perfekte Illusion, sondern auch auf die Geschwindigkeit, mit der diese erzeugt wurde. Dieser handwerkliche Aspekt existiert heute nicht mehr und kaum ein Maler und Anstreicher ist noch in der Lage, unterschiedliche Holzarten zu »malen«.

Ein besonders bizarres Beispiel für eine Holzimitation befindet sich auf Kreta: Anfang des 20. Jhs. leitete Sir Arthur Evans die Ausgrabungen in Knossos, wobei viele verschiedene Zeitschichten freigelegt und für die Besucher gestalterisch dargestellt wurden. In diesem Zusammenhang wurde ein ursprünglich in Holz befundetes Tor aus Beton nachgebaut und dieser mit einem Holzimitationsanstrich versehen. Inzwischen ist die Farbe weitgehend abgewittert, und so steht nun ein ehemals braun gestrichenes Betontor inmitten antiker Ausgrabungen.

Heute wird mehr Holz gefälscht denn je. Die Motive haben sich kaum verändert, wohl aber die Techniken. Nicht mehr handwerkliche Virtuosität steht im Vordergrund, sondern industrielle Produktion, und manche aufmerksame Leserin erinnert sich vielleicht an die schöne Internetseite It's (K)not Wood aus Zuschnitt 27, auf der ausschließlich »Fakes« zu sehen sind.

Die »Fälschungen« gingen jedoch in beide Richtungen. Ein besonders anschauliches Beispiel ist das Palais Epstein an der Wiener Ringstraße. Hier gibt es nicht nur Stuckdecken, die Holzdecken täuschend ähnlich sehen (s. Seite 8), sondern auch Türen mit Holzfüllungen, die aus Malachit zu sein scheinen. Dabei beruhen die Techniken des Maserierens und des Marmorierens auf demselben Prinzip: Auf eine hellere Grundierung wird eine Lasur in gewünschter Farbe und Struktur aufgetragen und zuletzt die Oberfläche mit einem schützenden Lack überzogen.

16. Dezember 2008 Franziska Leeb
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Holz mit Holz fälschen

Vom Furnier und seinen Verwandten

Laut einem Bericht der Wochenzeitung »Die Zeit« am 6. Oktober 1967 hatte die deutsche Arbeitsgemeinschaft Holz damals einen großen deutschen Möbelhersteller auf Unterlassung der Bezeichnung »Kunststoff-Furnier« für die vom Unternehmen eingesetzten Laminate verklagt, da der Ausdruck Furnier, so die Begründung, auf Holz hindeute. Das Verfahren ging bis zum Bundesgerichtshof. Der Duden bot keine klare Hilfe, die Synonyme, die er für das Wort »Furnier« anbot, lauteten: Blattholz, Belag, Deckblatt. Dass es Holz sein müsse, war daraus also nicht abzuleiten.

Der Begriff »Furnier« kommt vom italienischen fornire – ausstatten oder dem französischen fournir – aufbringen. (Aber Vorsicht: Das französische Wort für »Furnier« lautet »feuille de placage«.) Inzwischen definiert der Duden den Begriff eindeutig: dünnes Deckblatt aus wertvollem [gut gemasertem] Holz, das auf Holz von geringerer Qualität aufgeleimt wird.

Dennoch bleibt die Terminologie auf dem Gebiet der unterschiedlichen Varianten, weniger wertvolles Holz oder Holzwerkstoffe mit dünnen Schichten optisch wertvollen oder wertvoll scheinenden Materials zu belegen, höchst unübersichtlich. Und selbst dem geschulten Auge bereitet es Probleme, die verschiedenen Qualitäten und Materialien einwandfrei auseinanderzuhalten.

Schon 3000 v. Chr. kannte man im mit Wäldern wenig gesegneten Ägypten ein Verfahren, weniger ansehnliche Untergrundmaterialien mit dünnen Brettern aus raren, edlen Hölzern zu belegen. Ihre Blütezeit erlebte die Furniertechnik in Renaissance, Barock und Rokoko. Das deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm nennt einen Georg Renner aus Augsburg, der im 16. Jahrhundert eine Furniermühle »zum Schneiden von Furnierplatten« erfunden hat.

Das erste Patent auf die maschinelle Herstellung von Furnieren hatte der englische Ingenieur Marc Isambard Brunel inne, der Anfang des 19. Jahrhunderts eine dampfbetriebene Furnierschneidemaschine entwickelte und so Arbeitszeit und Verschnitt verringerte. Mit der Industrialisierung blieben Furniere nicht mehr den wirtschaftlichen Eliten vorbehalten, sondern wurden für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich und dominierten vor allem mit dem zunehmenden Einsatz von Spanplatten nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre die Oberflächen in Möbelbau und Innenausbau. Eine ernste Konkurrenz bekamen sie von Oberflächenbeschichtungen in Form von Laminaten, bestehend aus bedruckten Papierbahnen und Melaminharzen oder von Dekorfolien aus PVC.

»Anything goes« scheint heute im Überfluss der Möglichkeiten die Devise zu lauten. Dabei ist nicht alles aus Holz, was danach aussieht, und nicht alles pure Synthetik, was keine eindeutige Holzoptik aufweist. So genannte Fineline-Furniere werden aus Schälfurnieren von hellen Hölzern wie Pappel oder Abachi hergestellt. Von Verwachsungen und Ästen befreit, werden sie gebleicht und gefärbt, um danach in einer per Computer errechneten Reihenfolge gemäß der gewünschten »Holzart« oder Struktur zu Blöcken gepresst zu werden, aus denen schließlich die fertigen Furniere gemessert werden. So entstehen – in großen Mengen in konstanter optischer Qualität verfügbar – Nachbildungen aller denkbaren Holzarten oder jede andere gewünschte Ornamentik: Vom dezenten Streifenmuster über Fischgrätenmuster, Karos oder malerisch wolkige Dekors und Blumenmuster ist alles möglich. Es handelt sich um Furnier aus echtem Holz, sieht aber oft nicht danach aus.

Kai Stania ist beim Büromöbelhersteller Bene seit zwölf Jahren maßgeblich für Design und Entwicklung der meisten Serienprodukte des Unternehmens mitverantwortlich. Zu seinen Aufgaben zählt auch vorherzusehen, welche Farben und Furniersorten in einigen Jahren gefragt sein werden. Wie geht der »Dottore Colore«, so der Spitzname des erfolgreichen Produktdesigners, mit dieser unendlichen Vielfalt an verfügbaren Oberflächen um? Alle zwei Jahre ändert sich die Mode, und meistens ist es ein Wechsel zwischen hellen und dunklen Hölzern. Während seiner Anfänge bei Bene war Ahorn in, dann kamen bald die dunklen Töne. In der Bürowelt passiert der Trendwechsel allerdings langsamer als in der Wohnwelt, für die Stania auch tätig ist. Große Unternehmen legen schließlich Wert darauf, dass ein Produkt auch nach zehn Jahren noch lieferbar ist. Daher ist es wichtig, sowohl Hölzer und Farben im Programm zu haben, die kurzfristige Moden überdauern, als auch mit ausgewählten Produkten Akzente zu setzen und aktuelle Trends aufzunehmen.

Modehölzer wie Zebrano oder Makassar – dessen Beliebtheit übrigens schon wieder im Abflauen begriffen ist – seien weniger dazu geeignet, einen ganzen Raum zu tapezieren. Wichtig sei die Farbwirkung als Ganzes, egal ob es sich um echtes Holz oder bloß um ein Imitat handelt. Oft käme übrigens beides zugleich in gleicher Optik zum Einsatz. Das Echtholz-Furnier bleibt dabei meistens den Mitgliedern der Führungsetage vorbehalten, denen so das Bewusstsein vermittelt wird, auf echtem Holz zu sitzen.

Im Back-Office gibt es dann oft die gleiche Produktlinie in gleicher Optik, allerdings in der Laminat-Ausführung. Alles machen zu können, was man will, sei nicht das Thema. Wesentlich sei vielmehr, zu wissen, was man erreichen will. Berührungsängste hat Stania sehr wohl: zum Beispiel mit Absurditäten wie Laminaten, die eine Holzoptik vortäuschen und dann zum Beispiel eine Birnenmaserung mit der Farbe einer Eiche kombinieren. Farben haben viel mit Kommunikation zu tun, sie transportieren Unternehmenskultur und deshalb, so Stania, »versuche ich, den ehrlichen Weg zu gehen«.

15. Dezember 2008 Eva Guttmann
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Botschaft Holz

»House of Sweden« in Washington

Botschaften zu bauen ist nicht leicht. So gibt etwa die schwedische Regierung Richtlinien für die Gestaltung und den Auftritt ihrer Auslandsvertretungen heraus, um die Stärken und Vorzüge des Landes sichtbar zu machen und es damit zu »bewerben«.

Als naheliegendes Baumaterial für das »House of Sweden« in Washington bot sich Holz an. Kein anderer Werkstoff ist geeigneter, Tradition, Gegenwart und Zukunft eines skandinavischen Staates zu transportieren. Dennoch sahen die Architekten schon bald nach Beginn des Wettbewerbs davon ab, Holz als wichtigstes konstruktives Material einzusetzen, da sich das Grundstück auf einer Halbinsel, die von zwei Flüssen begrenzt wird, befindet. Neben dem in Washington ohnehin heißen und feuchten Wetter sprachen die regelmäßigen Überschwemmungen der Halbinsel gegen den Einsatz von Holz in größerem Maßstab.

Trotzdem spielt Holz eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des 2006 eröffneten Bauwerks der Architekten Gert Wingårdh und Tomas Hansen. Um Holz jedoch nicht nur im Inneren einzusetzen, sondern auch von außen sichtbar zu machen, war es ursprünglich die Absicht der Architekten, die Glasbrüstungen der beiden auskragenden »Balkongürtel« mit Holzfurnieren zu beschichten. Sie entschieden sich aus zwei Gründen für die »Fälschung«: erstens, da der hohe Feuchtigkeitsgehalt die Dauerhaftigkeit der Beschichtung gefährdet hätte, und zweitens, weil aus der Distanz betrachtet die »echten« Furniere eher den Eindruck von Malerei als von »natürlichem« Holz erweckt hätten.

Wenn das Ziel also war, Holz auszudrücken, dann musste es sublimiert werden. Der Stellvertreter würde näher an der Idee sein als das Material selbst, und so begann man damit, Muster zu entwerfen, die das Holz nicht imitieren, sondern illustrieren würden. Die Methode der »Fälschung« hat in Schweden lange Tradition. In den Zeiten, als das Land zu den ärmsten in Europa gehörte, wurden kostbare Materialien vor allem in Kirchen und repräsentativen Gebäuden systematisch »dargestellt«, wobei man bald den naturalistischen Anspruch aufgab und stattdessen einen künstlerischen Ausdruck anstrebte, der mit dem Original nur mehr wenig zu tun hatte. Im Fall der schwedischen Botschaft wurden also sechs verschiedene computergenerierte Bilder von überlebensgroßen Holzmaserungen im Siebdruckverfahren auf die Glasplatten gedruckt. Diese sind hinterleuchtet, um am Abend und in der Nacht das »nordische Licht in die dunkle, südliche Nacht« zu tragen. Das Gebäude leuchtet nun wie eine Laterne und spiegelt sich im Wasser, während das Innere hell und transparent die Werte der schwedischen Gesellschaft nach außen trägt.

15. Dezember 2008 Anne Isopp
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Natur geschichtet

Schloss Lackenbach im Burgenland ist seit dem 17. Jh. im Besitz der Familie Esterházy. Heute beherbergt das Renaissanceschloss einen Konzert- und Veranstaltungssaal und ein kleines Naturmuseum. Ganz keck hat sich nun ein moderner Eingangspavillon mit Kassa, Café, Toiletten und Lagerräumen vor das altehrwürdige Ensemble geschoben. Schon auf dem Weg vom Parkplatz zum Schloss fällt der Blick auf den eingeschossigen, rundum verglasten Bau. Meist ist von diesem nicht viel zu erkennen, denn durch die spiegelnde Fassade ist er eins mit dem ihn umgebenden Park. Ein andermal vermischt sich die Spiegelung mit dem, was hinter der Glasscheibe zu sehen ist, und nur in seltenen Fällen tritt sie so weit zurück, dass man eine Holzstruktur wahrnehmen kann.

Es scheint ein ständiger Dialog zu sein, den der Bau mit seiner Umgebung führt, und erst von Nahem erkennt man, dass die Glasfassade nicht durchgehend transparent ist und die Scheiben mit einem dunklen Holzfurnier hinterlegt sind. Genau ein Jahr blieb für Planung und Ausführung des Gebäudes in Holzskelettbauweise, das sich dadurch auch in seiner Konstruktion deutlich vom Bestand absetzt. Für den Werkstoff Holz sprach nicht nur, dass die Esterhazys zu den größten Waldbesitzern Österreichs zählen, sondern auch die kurze Bauzeit. Im Grundriss ist der Pavillon ein Rechteck, in das kleine Höfe eingeschnitten sind, um den lang gestreckten Bau kleinteiliger wirken zu lassen. Im Inneren ist er mit dunkel gebeizten Eichendielen ausgekleidet und auch nach außen hin wollten die Architekten das Holz sichtbar machen. Zuerst wurde an eine durchgehende Glasfassade mit dahinterliegenden Holzboxen gedacht, was sich jedoch als problematisch erwies. Nun ist das Holz in die Glaselemente integriert – eine für diese Situation ideale Konstruktion, wie die Architekten finden. Die Glaselemente sind wie Isolierglasscheiben aufgebaut, nur dass zwischen den Scheiben kein Hohlraum, sondern eine mit Furnier bezogene Platte ist. Gerne hätten die Architekten auch dafür Eiche genommen. Doch die Firma wollte die Farbbeständigkeit des Eichenfurniers nicht garantieren, sodass die Wahl schlussendlich auf Wenge fiel. Durch die Spiegelungen ist die Holzoberfläche aber ohnehin kaum isoliert wahrzunehmen.

16. Dezember 2008 Christoph Luchsinger
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Holz in der Beiz

Eine kulinarische Reise

Als ich ein kleiner Junge war, standen zwei Gerichte ganz oben auf meinem Wunschspeisezettel. Riz Casimir bei Mövenpick und Backhendl bei Wienerwald waren Frühformen einer Küche, die sich erstens nicht mehr an die einheimischen Speisen und Ressourcen hielt und zweitens Essen auftischte, das jedes Mal genau gleich gut schmeckte wie beim vorigen Mal. Und mindestens ebenso faszinierend wie das Essen waren die täuschend echt aussehenden lebensgrossen Möwen, die im Mövenpick am Paradeplatz vor einem Panoramafoto der Zürcher Quaianlagen schwebten. Alles passte perfekt ins Bild einer weltoffenen City der 1960er Jahre mit ihren aufblühenden Banken, Versicherungen und noblen Geschäften. Die rote Weichselkirsche zuoberst auf dem mit exotischen Früchten vermischten Hühnergeschnetzelten im Reisring war ein Wink aus fernen Welten, in die wir am liebsten sofort geflogen wären.

Was damals sozusagen unbedarft begann, entpuppte sich schon bald als weitreichende Verwandlung der gastronomischen Topografie. Mit der Öffnung zu Küchen anderer Länder hielten auch andere Interieurs Einzug, und zwar im schönen Gleichschritt mit den Urlaubsreisen, die wir zunächst an die Riviera, dann an die Costa Brava und in die Ägäis unternahmen. Beim »Italiener« oder beim »Griechen« (gemäss dem Sprachgebrauch in Deutschland) zu essen, brachte so etwas wie ein Stück Fröhlichkeit in den Alltag des sozialen Wohlfahrtsstaats, mit Fischernetzen und Muscheln an den Wänden, Freskos der Rialtobrücke oder der Akropolis. Frascati und Chianti, Retsina und Rioja benetzten Pizza und Mussaka, Cozze und Paella. All das war unsere Welt und wurde keinesfalls als etwas vordergründig Konstruiertes, als Vorgespieltes wahrgenommen.

Während wir uns in den Trattorias und Tavernen bei allem aufgefahrenen Kitsch also sehr wohl zu Hause fühlten, verschwand allmählich Stück für Stück und leise der althergebrachte Typus der meist hölzern ausgekleideten Gaststube und mit ihm auch seine Speisekarte, auf der wir neben Rahmschnitzel mit Nudeln, Kalbszunge an Kapernsauce mit Bohnen oder zweierlei Braten an dreierlei Saucen auch Schleie, Hecht und Brachsmen aus unseren Gewässern fanden. Die Erosion der Speisekarte fand ihre Entsprechung in der Erosion der Interieurs. Ich wage zu behaupten, dass in unseren Landen die historisch letzten authentischen Modernisierungen traditioneller Gaststuben so um 1970 herum stattgefunden haben, etwa gleichzeitig mit der Verdrängung der Bachforelle durch die Regenbogenforelle und der massenhaften Einführung von Papierservietten. Was nachher folgte, waren hilflose Versuche, den Kunden medial zu übertölpeln mit allerlei Szenerien, die zunächst und am umfassendsten in »Sechuans« oder »Wong Tongs« als undurchsichtige Höhlen daherkamen und in »Asian Dreams« als Thaigärten inklusive Felsenquellen, künstlichem See und Brücke darüber auf die Spitze getrieben wurden, übertroffen nur noch von den Lokalen, die hinter einem kümmerlichen Rest von Gaststube noch einen kleinen Saal mit beispielsweise karibischem Outfit eingerichtet hatten, wo dann ausgerechnet Bami oder Nasi Goreng serviert wurde.

Natürlich gab es einige Renitente, die den Wandel nicht mitzumachen gedachten und in ihren alten Gewändern ausharrten. Sie sind heute heroische Exoten in einem Meer von kopierten Gegenwelten, die da völlig ortlos, beliebig im Kontext verteilt und jederzeit austauschbar die gastroarchitektonische Landkarte ausmachen. Ob Restaurant, Beiz, Gasthof, Pizzeria, Gasthaus, Gaststube, Taverne, Trattoria, Bistro, Brasserie, Lokal, Inn, Pub, Foodstation, Wirtshaus oder was auch immer – die überwiegende Mehrzahl unserer Verpflegungsstätten hat ihr Gesicht verloren und damit ihren Charakter, ihre Persönlichkeit, ihre Echtheit. Und was einmal verloren ging, lässt sich nicht mehr wiederherstellen, nur heraufbeschwören, im besten Fall zu einem neuen echten Mythos. Das heisst konkret, dass die kopierten Gegenwelten durch echte Welten nicht mehr zu ersetzen sind. Was bleibt, sind Endlossimulationen, die sich so lange selbst übersetzen, bis die letzte Transkription den Originaltext ersetzt.

Das »Sensei« in Innsbruck ist auf diesem Weg schon ganz schön weit gelangt. Wie schreibt man Sushi und Sashimi einer bürgerlichen Innenstadtumgebung im Tirol, gegenüber von Barock und Kopfsteinpflaster, ein? Indem man beispielsweise – so wie das Rainer Köberl tat – ein Zimmer zur Schatulle macht. Köberls Kunstgriff besteht darin, das »Sensei« wie ein Kleinod auszubilden, das den ganzen Raum ausfüllt, ein Massstabssprung, der sozusagen automatisch und ganz selbstverständlich die Simulation in Gang setzt. Es braucht dann keinerlei Rechtfertigung, warum das Innere aus Holz gefertigt ist, warum das Holz mit allerlei Methoden veredelt und verfremdet wurde, warum zur Strasse hin das Ganze wie ein Schrein sich öffnet. Die Lage des »Sensei« im ersten Obergeschoss unterstreicht die Exklusivität des Raums zusätzlich und erinnert etwa an die alten Ritterstuben, in denen die Trophäen aus fremden Ländern prangten. Einmal eingetreten in den Mikrokosmos, geniesst man die Raffinesse der Details, der Oberflächen und der Lichtreflexe in der Dunkelheit, streichelt die Furniere mit dem Tigermuster auf den Tischen und fragt sich, wie es möglich war, aus Lärche ein goldbesticktes Ebenholzparkett hervorzuzaubern. »Sensei« belegt eindrücklich, dass künstlich nicht ein Widerspruch zu echt darstellen muss, was unter anderem deshalb gelingt, weil die Übersetzung mit dem Original vollkommen frei umgeht.

Was hingegen daraus resultieren mag, wenn ein Text Wort für Wort von einer Sprache in die andere und dann in die nächste und so weiter und zum Schluss zurück in die Ausgangssprache übertragen wird, lässt sich auf kleinstem Raum bei »Kim kocht« in Wien anschauen. Es sind zwar noch Worte da – zum Beispiel poliertes Brett, Glas, furniert, rohe Schwarte, Birke, Kupfer, Kirschholz, weisses Tischtuch, Hütte –, aber keine Sätze, geschweige denn ein Text. Hier hat sich die Erosion des Gastrointerieurs selbst thematisiert, was schon beinahe wieder originale Qualität hätte, wenn das Ganze nicht so humorlos aufgetragen würde. Und all dem steht entgegen, dass das eigentliche Essen – das von Kim gekocht wird – einmalig präzise und authentisch schmeckt. Wie um Himmels willen ist es möglich, dass die Kochkunst mittlerweile die Architektur formal überholt? Vielleicht weil Form fatalerweise als etwas fertig Zubereitetes verstanden wurde und nicht als das Ergebnis einer Zubereitung?

Kaum einer hat die Metamorphose des gastroarchitektonischen Ambientes und die damit verbundene Entfremdung von Geschichte so früh und so genau begriffen wie Hermann Czech. Sein »Kleines Café« verschliff derart hemmungslos Bestand und Eingriff, dass seitdem alle Debatten über Alt und Neu, künstlich und »natürlich« eigentlich vom Tisch sind. Das Gasthaus »Immervoll« dupliziert die Untergrabung dieser Kluft genussvoll und gelassen, ohne aufgesetzte Rhetorik, also selbstverständlich. Czech hält die Zeit an, indem er sie von hinten unmerklich einholt. Niemand weiss, ob allenfalls der Besitzer die alte Täfelung eigenhändig weiss gestrichen hat, die schräg oberhalb der Tische aufgehängten Spiegel mit allen ihren Sichtbezügen aus der Kammer seiner Grossmutter oder aus der Filiale von Ikea besorgte, die Sitzbänke eigenhändig renovierte oder ob da ein Architekt mitmischte. Nichts scheint kalkuliert, aber alles funktioniert. Es würde auch funktionieren, wenn im »Immervoll« etwas ganz Exotisches zu Tische käme anstelle knusprig frischer Wiener Schnitzel. »Immervoll« entkoppelt Ambiente von Produkt, Design von Inhalt, Gaststube von Heimat und lässt den Gast trotzdem nicht allein, wenn er nach vertrauter Umgebung sucht. Ganz im Gegenteil wird der Gast gewahr, dass die fernen Welten im Inneren zu finden sind, ganz zu Hause. Und da ist immer noch das Holz als Stoff, an das wir uns erinnern, ob Täfelung, Boden, Decke oder Tisch ...

15. Dezember 2008 Arno Ritter
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Sprache als Hintergrund

Hermann Czech und seine Architektur jenseits des Materials

»Die ›Funktion‹ ist dem Entwurf nicht vorgegeben, sondern immer erst im Entwurf vermittelt. Vorher ist sie nicht da; wie Raum und Konstruktion wird sie erst durch die Architektur geschaffen. Ja, das eigentliche künstlerische Material der Architektur ist nicht der Baustoff, die Konstruktion, die skulpturale Form, nicht einmal der Raum oder das Licht – es ist das Verhalten von Menschen.« Hermann Czech (2003)

Hermann Czech ist Architekt, er plant seine Bauten mit den Mitteln der Architektur, aber eigentlich entwickelt er sie auch aus der Welt der Sprache und der Grammatik des Alltagslebens. Ein wesentliches Merkmal seiner Projekte besteht darin, dass er die Begriffe und die Rhetorik des einfachen Lebens als wichtiges »Material« und Ausgangspunkt ansieht. Er entwickelt Konzepte auf Basis einer langen Auseinandersetzung mit der Sprache der/über Architektur, entlang der Begriffe und ihrer Bedeutungen. Diese innerarchitektonische »Welt« überprüft er durch die so genannten Konventionen, die er zuerst beobachtet und analysiert, um sie adaptieren und leicht verändern zu können. Doch Czech »zitiert« nicht, sondern übersetzt diese Erkenntnisse in »neue«, zeitgenössische Architektur. »Der Gegenstand der Architektur ist nicht das architektonische Objekt. Das Thema der Architektur ist zunächst der genutzte Raum, die definierte und strukturierte Leere im und am Objekt; und diese Leere ist weiters vermittelt durch eine persönliche, soziale und historische Sicht – durch eine Individualität. Das Thema der Architektur ist also immateriell. Gegenstand der Architektur ist der architektonische Gedanke.« (Czech)

Hermann Czech ist kein Revolutionär, er erhebt nicht den Anspruch innovativ oder avantgardistisch zu sein, will nicht die Grenzen der Architektur ausreizen. »Ich bin nicht jemand, der Formen erfindet oder Konzepte im Kopf zusammenverdichtet, sondern jemand, der von den vielen Vorbedingungen lebt.« (Czech)

In diesem Sinne arbeitet er kontinuierlich an architektonischen Gedanken, da er komplexe, präzise und vor allem mehrschichtig »funktionale« Lösungen entwirft. Er entwickelt seine Projekte nicht aus der materiellen Welt, sondern über den Umweg der Sprache und des darin gespeicherten »Wissens« über die symbolischen Bedeutungen der Baustoffe und ihrer »Funktionalität«. Eigentlich interessiert er sich nicht für die Materialien an sich, da er sie »nur« – je nachdem – für »etwas« verwendet, sie der Sprache und der Idee des Entwurfs unterordnet. Er spielt mit den Materialien und ihren Bedeutungen, »erlaubt« sich Verfremdungen, Täuschungen und Irritationen, um letztendlich jene atmosphärische »Selbstverständlichkeit« und konzeptionelle Stringenz zu erreichen, die einen als Nutzer zuerst beeindruckt und dann in Ruhe lässt. Diese Haltung kennt kein echt oder falsch, folgt nicht vordergründig Überlegungen zur Materialgerechtigkeit und lügt teilweise, was das Zeug hält, weil sie letztendlich an einem bestimmten und stimmigen Ergebnis interessiert ist. »Ich kenne bis heute nicht viel mehr als fünf Holzarten und die reichen mir. Im Palais Schwarzenberg habe ich bei der Bar das Holz nur nach den Kriterien von hell und dunkel ausgesucht. Mich interessiert die Holzart nicht, sondern nur gewisse Eigenschaften, nämlich die Farbe und ob sie hart oder weich ist.«

Czech nimmt die Architektur wörtlich, hin und wieder wortwörtlich. Dabei folgt er einem Ansatz von Theodor W. Adorno, der 1963 Folgendes formulierte: »Der Funktionalismus ist eine unverlierbare historische Stufe der Architektur. Andererseits erleben wir jetzt seine Austrocknung, Sterilität. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus, ohne hinter den Funktionalismus zurückzugehen? Der Begriff der Phantasie, die sozusagen obendrein dazukommt, ist unzureichend. Man kann nur über die Sachlichkeit hinaus, indem man noch sachlicher ist.«

Dieses »Noch-sachlicher-Werden« interpretiert Czech als Bewegung zur Sache selbst, zur Funktion von Architektur, zu ihrer verborgenen Sprache, der Architekturgeschichte als Material sowie zu den Bedürfnissen der Nutzer an sich: eben zu ihrer Grammatik. In diesem Sinne scheut er nicht davor zurück, in die Debatte über Architektur Argumente für die Trivialisierung ihrer Ästhetik einzubringen, also auch banale und »un-schöne« Lösungen gelten zu lassen.

Aus diesen Überlegungen heraus wird auch der Widerspruch – die ästhetische wie materielle Inkommensurabilität – akzeptiert und in den Entwurfsprozess integriert. Ohne Anspruch auf eine durchgängig »schöne« Gestaltung öffnet sich damit die Architektur zu einem regellosen und ideologiefreien System, das »Strukturen von Argumenten« (Czech) zu folgen sucht. Diese Grundhaltung führt auch zur Einsicht, »dass trotz Einhaltung aller Regeln ein totes Werk entstehen und ein lebendiges Werk allen Regeln widersprechen kann«. (Dieses Zitat bezieht sich eigentlich auf die »Regeln« von Christopher Alexander.) Denn das Einhalten von Regeln erzeugt noch keine Stimmigkeit, bestenfalls Richtigkeit, und der Regelbruch zieht unter Umständen ein spannendes Ergebnis nach sich. In diesem Sinne fungieren Regeln für Czech als Grenzen, die zu dehnen ihm Freude bereitet, ohne jedoch in ein »naives« Verhalten zu verfallen. Wichtig erscheint Czech vor allem, dass man die Sprache der Gestaltung den Bedingungen und nicht einem Stil anpasst. Im Begriff des Manierismus – der den Stilbruch pflegt, ohne stillos zu sein – versucht er diesen Ansatz zu verdeutlichen.

»Der Manierismus ist eine Haltung der Intellektualität, der Bewusstheit; und außerdem ein Sinn für das Irreguläre, Absurde, das die jeweils aufgestellten Regeln durchbricht. Der Manierismus ist der begriffliche Ansatz, die Wirklichkeit auf der jeweils erforderlichen Ebene zu akzeptieren. Er erlaubt jene Offenheit und Imagination, auch unerwartete Fremdprozesse in Gang zu setzen und zu ertragen. Eine Architektur der Partizipation ist nur auf der Basis eines Manierismus möglich.« (Czech)

Diese Trivialisierung von Theorie und Materialeinsatz auf höchstem Niveau widerspricht jedoch den gängigen Vorstellungen der architektonischen Disziplin. In gewissem Sinne lebt Czech darin die Janusköpfigkeit der Moderne aus, da er sowohl die Kritik an der Moderne formuliert als auch gegen ihre Formalisierung anschreibt und -baut, um ihre Idee zu retten. Mit seiner Position spaltet er die ästhetische wie ideologische Gegenwart, indem er eine »eindeutig« moderne Haltung bezieht, sich formal scheinbar »hässlich« gibt, um mit ironischer Geste anzudeuten, weder noch zu sein.

16. Dezember 2002 Wolfgang Pauser
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Wir sind dem Holz egal

»Den Wald«, so schrieb der Philosoph Günter Anders, »kümmert unser Philosophieren nicht. Wenn er von uns erführe, würde er uns verlachen.« So traurig das sein mag, dem Holz sind wir Menschen egal. Doch wie verhält es sich umgekehrt? Als Holzenthusiasten träumen wir gerne von einer holzbegeisterten Menschheit, aber ich behaupte: Nicht nur wir sind dem Holz egal, auch das Holz ist uns ganz egal. Diese These mag aufs Erste verwundern. Doch die Egalität des Holzes ist die Bedingung dafür, dass wir Menschen ein besonderes Interesse an Holz entwickeln können. Holz kann man für alles gebrauchen, daher bedeutet Holz selbst gar nichts. Zwei Einwände könnten sich nun erheben. Der erste lautet: Das ist selbstverständlich. Es gibt nichts, was seine Bedeutung in sich hätte, alle Dinge erhalten ihre Bedeutungen erst im Rahmen ihrer kulturellen Kontexte. Ja, das ist so, dennoch halte ich es für notwendig, es noch einmal zu betonen. Und zwar deshalb, weil Einwand Nummer zwei die Beliebigkeit der Holzbedeutung bestreitet. Er lautet: Die moderne Welt ist voller Beliebigkeiten, das Holz hingegen ist die Ausnahme in dieser denaturierten und entfremdeten Welt. Jedes Kind weiß heute, dass Holz das Echte ist. Holz ist daher ein gleichsam natürliches Bollwerk gegen die Verfremdungen der technischen Moderne. Wer sich mit Holz umgibt, der ist nahe am Echten, nahe am Ursprünglichen, der ist gleichsam beheimatet in der warmen Hütte des Seins. Das Besondere an diesem Mythos ist, dass er heute in allen Köpfen wohnt. Und wenn man einmal eine Chiffre des Echten und Urwüchsigen in Händen zu halten glaubt, will man sich davon gar nicht gerne wieder trennen.

Aber betrachten wir als Beispiel das Auto: Für den Karosseriebau spielte Holz nur bei einigen wenigen Autos der ehemaligen Ostblockstaaten eine Rolle und gilt da als Zeichen der Ärmlichkeit, während es im Wageninneren zur Markierung der oberen Preisklasse verwendet wird. Diese bis heute bestehende Tradition fügt beim ansonsten um Modernität bemühten Auto ein kontrastreich traditionelles Element ein. Die Tradition nahm ihren Ausgang in den Anfangstagen der Automobilgeschichte, als Kutschenbauer beauftragt wurden, zu einem Motor einen individuellen Raum zu gestalten. Die Idee der Handarbeit hat sich bei Rolls Royce am längsten gehalten, wurde von Jaguar industrialisiert und strahlt auf andere Marken aus. So sehr wurde Holz im Cockpit zu einer allgemeinen und abstrakten Chiffre für Luxus, dass eine bedeutende Fälschungsindustrie entstehen konnte, und so definieren sich soziale Unterschiede heute in einer feinen Abstufung zwischen dem echten Holz, den billigeren und den ganz billigen Imitaten. Neben dem Holz und dem Holzfurnier entstand das Holzdekor: der so genannte Edelholzlook, Kunststoffholz und gemaserte Klebefolie. Die unterste Stufe der Selbsterhöhung ist das Holz-Effekt-Set, bestehend aus Lacken und Pinseln zum Betupfen des Armaturenbretts mit brauner Farbe.

Die mannigfaltigen Produkte, die Holz ins Auto bringen, verschieben die Anmutung des gesamten Designs von der sportlichen hin zur wohnlichen Atmosphäre. Vielleicht entspringt diese Verschiebung der Zunahme von Staus: Wenn man mehr steht als fährt, muss auch die Innenraumgestaltung wohnlicher werden. Der Architekturtheoretiker Dietmar Steiner nannte das Auto einmal ein »Zimmer mit Motor, die eigentliche Form der Eigentumswohnung, ein offenes luftiges Zimmer, das stehend die Stadträume füllt«. Als die Autos noch den Kutschen näher waren, war der Innenraum intimer gestaltet, heute lässt man sich ins Auto gern hereinschauen. Wie sehr das Cockpit als Zuhause empfunden wird, erkennt man daran, dass Nasenbohren an der Kreuzung den wenigsten peinlich ist. Um solche Intimität vor aller Augen herzustellen, sind große Mengen Holz vonnöten.

Im Bereich der Lenkräder hat der Einsatz von Holz eher eine sportliche Note, bezogen aus der Welt der Rennsportnostalgie. Die Gefahr des Splitterns bei einem Unfall wird gern in Kauf genommen, damit man das Leistungsprinzip des Sports aus der Gegenwart in die Vergangenheit zurückverschiebt. Vergangene Sportlichkeit ist weniger anstrengend als die Leistungsimperative von heute. Das nostalgische Holzlenkrad signalisiert daher den paradoxen Wunsch nach langsamen Rennfahrten und einer gemächlichen Sorte von Sportlichkeit.

Daneben gibt es freilich auch Wünsche nach dem Abenteuerlichen, und auch für diesen Wunsch braucht man Holz als Medium. So hat etwa das Product-Placement eines neuen Mercedes-Geländewagens im Dinosaurier-Film das Auto mit der Idee des Urwalds aufgeladen. Vergleichsweise billig dagegen ist es, wenn ein Geländewagenfahrer, der keine Zeit hat, mit seinem Auto in den Wald zu fahren, sich mit der Camouflage-Matte jene Spuren, die Stollenreifen im Waldboden hinterlassen würden, unter die Füße legt. Das ist ganz sicher auch der sauberste Weg, Auto und Wald miteinander in eine imaginäre Berührung treten zu lassen.

Am Beispiel des Autos sieht man also, dass Holz in vielen verschiedenen Weisen von Medialität darin vorkommt. Der Wunderbaum besteht aus zu Pappe verarbeitetem Holz und verweist auch als Zeichen auf den Wald und dessen natürlichen Duft. Der Auto-Weihnachtsbaum ist nicht aus Holz, er will uns auch nichts über die Themen Wald und Holz erzählen. Die Dekorationsplättchen fürs Cockpit sind manchmal aus Holz, manchmal nicht, das ist an sich egal, denn auch das echte Holz ist hier nur Medium für zwei Aussagen: Wohnlichkeit und Prestige. Mit echtem Holz gelingt dies besser, mit aufgemaltem Holz gerät man in Gefahr, dass der Schwindel auffliegt, mit einer täuschend echten Imitation wird man wohl am besten fahren. Holz meint mitunter sich selbst, oftmals meint es etwas anderes, und manchmal wird es von etwas anderem gemeint. Für die Holzindustrie schließe ich daraus, dass sie dann eine Zukunft hat, wenn sie sich von der Festlegung des Holzes auf ein Medium der Rückwärtsgewandtheit lösen kann. Dem Holz selbst stehen alle Möglichkeiten offen, weil es egalitär offen ist für jeden beliebigen mythologischen Sinn.

Bauwerk