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anthos 2009/2
G|59 – und 50 Jahre danach
anthos 2009/2
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Festival Zürich

Die öffentlichen Räume unserer Städte, so auch die Parkanlagen rund um das untere Zürichseebecken, unterliegen mehr und mehr einer Festivalisierung, Kommerzialisierung und Privatisierung. Dauerhafte Werte sind gefährdet, die freie Nutzbarkeit durch die Bewohnerinnen und Bewohner wird – mindestens temporär – eingeschränkt.

3. Juni 2009 - Sabine Wolf, Bernd Schubert
Die ökonomischen und kulturellen Globalisierungsprozesse führen seit den 90er-Jahren zur Umstrukturierung unserer Innenstädte. Walter Siebel schrieb bereits 1992 über eine zunehmende «Festivalisierung der Stadtpolitik» und mit ihr jener des öffentlichen Raumes. Siebel verstand darunter eine Politik, die nur noch als Inszenierung von Bedeutungsvollem funktioniere. Ihr Instrument sei eine «Planung durch Projekte», durch punktuelle, inhaltlich, räumlich und zeitlich begrenzte Interventionen. Diese «Festivals» werden damit von der Politik für die Stadtentwicklung instrumentalisiert.

Diese Festivalisierung der Politik, also die Konzentration aller Ressourcen auf ein grosses Ereignis, sei jedoch weder neu noch nur ein Phänomen der Stadtpolitik, wie Siebel weiter festhält. Tatsächlich stellen Grossereignisse seit jeher kommunale Kristallisationspunkte dar, unter deren Deckmantel sich auch divergierende Interessen bündeln lassen. Sie werden als Preis betrachtet, den eine Kommune zahlt, um als Konstrukt sozialer Gemeinschaft zu funktionieren – als eine Stadt, die sich von anderen Städten unterscheidet, wenn auch nur kurzfristig. Die Festivalisierung der Politik erlaubt die Demonstration von Handlungskompetenz und die Mobilisierung von politischem Konsens in einer Situation, in der es immer schwerer wird, handlungsfähige Mehrheiten auf Dauer zusammenzubinden.
Diese Entwicklung wollte Siebel kritisch verstanden wissen. Zunehmend scheint es jedoch, als verstünden viele Städte, auch die Stadt Zürich mit ihrem bisherigen Stadtpräsidenten Elmar Ledergerber, Siebels Worte als Imperativ: Festivalisiert eure öffentlichen Räume!

Festivalisierung, Kommerzialisierung, Privatisierung

Aus der in die Tat umgesetzten Aufforderung resultiert vielfach die Trias aus Festivalisierung, Kommerzialisierung und Privatisierung, die immer untrennbarer voneinander das Kapital eventbezogen an einen Ort lotsen. Im Zuge der Eventorganisation werden unsere öffentlichen Räume formatgerecht umgestaltet, im Sinne privatwirtschaftlicher Interessen geregelt, teil- und zeitweise der allgemeinen Nutzbarkeit entzogen. Dazu gehört, sie kontrollierbar zu machen. Denn nichts ist unerwünschter als negative Schlagzeilen. So installierte Zürich für die Ausrichtung der EURO 08 neun neue Kameras, sieben in der Fanmeile zwischen Limmat- und Utoquai, zwei am Bahnhof Stadelhofen – alle sind noch dort, teilweise in Betrieb, die übrigen bei Grossanlässen wieder aktivierbar. Zur Überwachung aus der Luft setzte die Stadt erstmals «Drohnen» als fliegende Kameras ein. Der intensive Ausbau der Raumüberwachung im Zusammenhang mit Grossereignissen ist vielerorts Usus. So wandelt der öffentliche Raum seinen Charakter.

Die Städte haben dafür zu sorgen, dass die Exklusivsponsoren zu ihrem Recht kommen, indem nur deren Werbung zu sehen ist und nur deren Getränke ausgeschenkt werden. Darüber hinaus bestimmen einige Sponsoren – noch räumlich begrenzt – die Kleiderordnung der Besucherinnen und Besucher. Schon heute verfügen die Veranstalter damit – noch zeitlich beschränkt – über ein Stück Stadt. Die Nutzungsrechte am öffentlichen Raum werden an den Meistbietenden verkauft, die Bewohner werden zu Statisten der Aufführung.

Von Event zu Event

Längst reicht es nicht mehr, nur gelegentlich eine Grossveranstaltung auszurichten. Um die mobile Eventgemeinde immer wieder anzulocken, stehen die Städte in einem harten Konkurrenzkampf. Das schafft weitere Probleme: Die Events verteilen sich zeitlich über das ganze Jahr, nicht aber räumlich. Sie finden dort statt, wo es der Sponsor wünscht – in den Topplagen. So drängten sich alleine 2008 zahlreiche Veranstaltungen rund um das Zürcher Seebecken: die Street Parade, die EURO 08, das Triathlon-Ereignis Ironman Switzerland, Scater Events, die Feierlichkeiten zum 1. August, der Frauentriathlon, der Gigathlon, die EuroPride, der Swiss Inline Cup, die Zürcher Radmeisterschaft, Freestyle.ch, das Theater Spektakel und das Massenbesäufnis Botéllon. Über 800 000 kamen 2008 zur Street Parade, an die Seepromenade kommen 40 000 Besucher an schönen Wochenenden.

Auch in den kommenden Jahren wird es nicht ruhiger um das Seebecken werden. Am 10. September 2008 tagten Fachleute an der 4. City Tourism Challenge zum Thema der Bedeutung von Events. «Wenn die Stadt mit der Konkurrenz mithalten wolle, müsse sie zulegen», sagte Tourismusdirektor Frank Bumann. Ausserdem müsse die Stadt eine klare Eventstrategie entwickeln und sich überlegen, welche Anlässe zu ihrer Persönlichkeitsstruktur passen. Dies klingt mehr nach ökonomischem Kalkül denn nach zukunftsfähiger Stadtentwicklung, die die Potenziale einer Stadt fördert, ohne sie um jeden Preis zu verkaufen. Auch Noch-Stadtpräsident Ledergerber sagte, «wir müssen das Label Zürich besser bewirtschaften», Zürich müsse eine führende Eventstadt Europas sein.

Der Stadtrat hat einen Kriterienkatalog aufgestellt, anhand dessen er entscheidet, welche Events gefördert werden sollen. Kriterien sind etwa internationale Bedeutung, Besucherzahl oder Medieninteresse. Für die von der Stadt bevorzugten Veranstaltungen sollen Defizitgarantien übernommen werden. Eine geeignete und langfristig stadtverträgliche Strategie, um dem Ausverkauf der Stadt Grenzen zu setzen, scheint jedoch zu fehlen. Rund um das Zürichseebecken ist die Belastungsgrenze längst erreicht. Grün Stadt Zürich verzeichnet einen immer grösser werdenden Aufwand für das Grünflächenmanagement am See (siehe Artikel Bosshard/Sigel, Seite 50).

Urbaner öffentlicher Raum als Kulisse

Im internationalen Wettbewerb um kaufkräftige Kundschaft und Touristen werden die urbanen Räume zu Visitenkarten umgestaltet, zu Werbeflächen für Veranstaltungen und Sponsoren. Der urbane Raum ist weniger Ort der Begegnung, sozialer Aktivitäten, des Verweilens und des Austauschs heterogener Gruppen denn Kulisse zur Inszenierung von Ereignissen. Die Stadt präsentiert sich primär als Bild, worin wiederum solche Aktionen passen, die selber reproduzierbare Bilder erzeugen, wie zum Beispiel der Teddy-Sommer 2005 in Zürich. Dieser hatte seinen direkten Vorgänger in Berlin, wo es ebenfalls aufgestellte Teddybären waren. In Hamburg war es der Wasserträger Hans Hummel, in Kaiserslautern waren es Fische, in Mannheim Pferde, und Zürich blickt bereits auf eine Herde von 850 Kühen 1998 und 1000 Sitzbänke 2001 zurück. Im Sommer 2009, dem Sommer der «Gartencity» in Zürich, sollen Pflanzen in grossen, bunten Töpfen die Innenstadt zieren.

Laufend wechselnde, durch Sponsoren gesteuerte, Ansprüche stehen damit dauerhaften kulturellen Werten gegenüber, wie sie die für die Stadtbevölkerung frei zugänglichen und vielseitig nutzbaren Parkanlagen rund um das untere Zürichseebecken in hervorragender Weise darstellen.

Man mag diese Entwicklung bedauern oder als Fortschritt sehen. Tatsache bleibt, dass man ihr Grenzen setzen, sie klaren, langfristig ausgerichteten Regeln unterwerfen muss. Es ist gefährlich, den öffentlichen Raum, den Ort unserer urbanen Identitätsbildung, zum austauschbaren Stereotyp werden zu lassen. Wenn er nichts mehr über eine Stadt und deren Besonderheiten aussagt, werden dann nicht auch die Bewohnerinnen und Bewohner zur austauschbaren Masse, die keine Verantwortung mehr für ihre Stadt übernimmt? Das Grundproblem der imperativen Deutung der Festivalisierung ist, dass sie zerstört, was sie zu inszenieren versucht. Was eine Stadt liebenswert macht, sind neben ihrer Lage und Aufenthaltsqualität, die wesentlich durch einen anspruchsvoll gestalteten öffentlichen Raum bestimmt wird, auch ihre versteckten Schätze. Und die entstehen durch Geschichte, Leben und Benutzung, nicht durch Inszenierung.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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