Zeitschrift

Steeldoc 04/09
Verkehr und Transit
Steeldoc 04/09
zur Zeitschrift: Steeldoc
Herausgeber:in: Stahlbau Zentrum Schweiz

Geflügelte Schwere

Perrondächer Glattalbahn, Flughafen Zürich

In einer grosszügigen Geste spannen sich drei weit auskragende Dachflügel über die Haltestelle der Glattalbahn am Zürcher Flughafen. In einer facettenreichen Verschränkung von Form und Licht begleiten sie den Reisenden auf seinem Weg bis zum Flughafeneingang. Dem Ort verleihen die körperhaften Kragarme ein spannungsvolles, urbanes Gesicht.

11. Januar 2010 - Jürg Conzett
Steigt man am Flughafen Zürich aus dem Tram, erscheint das neue Perrondach angenehm unaufdringlich. Als schmaler Streifen erstreckt es sich zwischen Strassenstützmauer und Bahnsteigkante relativ niedrig über den Reisenden und schützt sie dadurch vor Regen und Schnee. Seitliche Stützen fehlen und der Blick wendet sich ungehindert nach links auf den weiträumigen Platz und zu dem in einer einladenden Geste schräg hochgeklappten und im Grundriss kreissegmentförmig geschwungenen älteren Dach über den Bushaltestellen. Grosszügig ist diese Anlage und sie weist ungewohnte Dimensionen auf, die zu einem internationalen Flughafen passen. Ein weiterer schmaler Dachstreifen führt quer über die Schienen unter das bestehende Dach zum Eingang in den Flughafen. Erst jetzt, wenn man sich umdreht, erkennt man die wahre Grösse der neuen Konstruktionen: Die scheinbare Leichtigkeit der durchsichtigen Dachflächen wird möglich dank mächtiger stählerner Kastenträger, die bei den Perrons jeweils seitlich über den Dachkanten liegen und daher von unten wenig auffallen. Vom Flughafengebäude aus gesehen verbindet sich die Anlage mit der langen Strassenstützmauer und rahmt ihre zentrale, nach Kloten hin führende Öffnung ein.

Zum einen ist die Konstruktion äusserst pragmatisch, ihre Grundfläche ist minimiert und reicht gerade aus, um Menschen im Trockenen vom Bahnsteig in den Flughafen zu führen. Diese vordergründige Bescheidenheit steht in einer Spannung zu den gewaltigen Auskragungen der Dachträger von über dreissig Metern. Was aus der Fernsicht den Massstab der umliegenden Bauwerke aufnimmt, sorgt aus der Nähe paradoxerweise dafür, dass die weitgespannten Dächer weit weniger präsent sind, als wenn sie durch sich wiederholende Stützenfolgen ständige Aufmerksamkeit einfordern würden.

Auskragende Kastenträger aus Stahl

Das Tragwerk besteht aus Stahl. Ein grosser Vorteil dieser Bauweise ist die Vorfertigung im Werk und die kurze Montagezeit auf dem durch den ständigen Bus- und Fussgängerverkehr stark belebten Areal. Das Gewicht des Stahlbaus ist vergleichsweise gering, daher genügen einfache Fundationen im teilweise unterbauten Gebiet; auch passen die Stahlträger gut zum bestehenden Bushofdach. Die beiden Perrondächer tragen an den zur Mitte hin liegenden Enden ihrer Auskragungen den dritten, zu ihnen quer verlaufenden Träger. Die Lager dieses Trägers sind jeweils in eine Richtung beweglich, um gegenseitige Zwängungen aus Temperaturdehnungen zu vermeiden. Der dritte Träger wirkt statisch als einseitig eingespannter Balken mit einfachem Auflager.

Bemerkenswert ist die technisch wie architektonisch sorgfältige Detaillierung der Konstruktion. Die Blechstärke der geschweissten Hohlkastenträger wurde aus gestalterischen Gründen so gewählt, dass die beim Schweissen unvermeidliche Beulung der Stehbleche gering bleibt. Weil die Aussteifungsrippen im Innern der Kasten im Abstand der Querträger angeordnet sind, gibt das Bild der Beulungen die Ordnung der Sekundärstruktur wieder. Die vom Hauptträger «figurativ » abgesetzten Querträger dienen neben ihrer Tragfunktion auch als Wasserrinnen, überdies versteifen sie als Elemente eines liegenden Vierendeelträgers die schlanken Hauptträger gegen horizontale Windeinwirkungen. Die nicht direkt sichtbare Dachhaut besteht aus kostengünstigen transluzentenWellplatten; die Untersicht und eigentlich wahrnehmbare Dachfläche wird aus ebenfalls lichtdurchlässigen, von den Querträgern abgehängten, tuchartigen Streckmetalltafeln gebildet.

Anerkennung Prix Acier 2009

Die Überdachung ergänzt das Gesamterscheinungsbild des Flughafeneingangs mit dem Bushof (Prix Acier 2005) durch eine erkennbare Eigenständigkeit. Der skulpturale Charakter und eine gewisse schlichte Schwere kontrastieren mit den extremen Auskragungen der Flügel und verdeutlichen damit, dass hier Stahl trägt. Dem Bushofdach ordnet sich diese Dachstruktur zwar unter, bildet jedoch als Bindeglied zur gegenüberliegenden massiven Stützmauer der Strasse eine angemessene repräsentative Identität. Die Jury des Prix Acier 2009 würdigte die einprägsame formale Umsetzung dieser grosszügigen, körperhaften Konstruktion, welche die Statik spüren lässt und für eine hohe Aufenthaltsqualität für Wartende sorgt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

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