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anthos 2010/1
Variationen über Gärten
anthos 2010/1
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Pflanzenwände, oder: Die Hybridisierung der Genres

Was macht die Pflanzenwände von Patrick Blanc, dem stark mediatisierten französischen Botanisten, so erfolgreich? Gedanken zur Hybridisierung der Architektur mit der Pflanzenwelt.

25. Februar 2010 - Stéphane Collet
Die von Patrick Blanc realisierten Pflanzenwände haben seit 15 Jahren einen wachsenden Erfolg; immer zahlreicher werden die Projekte, an denen er beteiligt ist. Die kürzlich erfolgte Eröffnung des von Jean Nouvel gebauten Musée du quai Branly in Paris bot Patrick Blanc eine neue Gelegenheit, seine Kunstfertigkeit bei der Erstellung bepflanzter Wände unter Beweis zu stellen. Vor allem wird hier deutlich, dass in der Architektur ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat: Sie hybridisiert sich zunehmend und absichtlich mit lebenden Elementen.

Am Quai Branly weckt die lange wie mit grünem Fell bekleidete Mauer beim Passanten zuerst einmal Neugier. Diese Fassade ist vollständig von dem üppigen, buschigen Blattwerk bedeckt, welches nur wenige Stellen von Vegetation frei lässt. Im Gegensatz zu von Wildem Wein oder Efeu berankten Fassaden, bei denen die Mauer nur als tragendes Element für die Vegetation dient, ist das Pflanzsubstrat hier integraler Bestandteil der gebauten Wand.

Mehr als «grüne Wände»

Die Idee, Fassaden zu begrünen, ist nicht neu. Was bei den Pflanzenwänden allerdings neu ist, ist die Inszenierung einer grossen Anzahl seltener und wachstumsstarker Arten zur Besiedelung bisher nackter städtischer Fassaden. Der an den Wänden zur Verfügung stehende Platz kann als Alternative zum am Gebäudefuss angelegten Vorgarten betrachtet werden, der im städtischen Raum immer seltener wird. Eine weitere wichtige Neuerung bei den Pflanzenwänden ist der Status der Vegetation als ein den Innen- oder Aussenfassaden hinzugefügter Belag: Die Pflanze wird zum Objekt, die sie tragende Wand jedoch zum lebenden Organismus. Im Grunde genommen wohnen wir hier dem Verschwinden des Begriffs des traditionellen Gebäudes bei, welches als mineralischer Block verstanden wird, der sich von seiner pflanzlichen Umgebung abhebt. Die ursprünglich deutliche Grenze zwischen Artefakt und Natur wird verwischt.[1}

Patrick Blanc berichtet[2], dass er als Kind gerne Biotope in Aquarien beobachtete, die eine starke Faszination auf ihn ausübten. Die Assoziation von wie in Symbiose mit der Wand lebenden Pflanzen als Rekonstitution des unzugänglichen Edens der Aquarien macht gute botanische Kenntnisse notwendig. Da die von Patrick Blanc und seinen Auftraggebern zu diesem Thema durchgeführten Studien auch Pioniercharakter haben, hat seine Arbeit heute viele Nacheiferer gefunden. Die zahlreichen pflanzlichen «Testmischungen », die in den letzten Jahren an Gebäuden gepflanzt wurden, scheinen wie zufällig die Nachfolge des Dekonstruktivismus anzutreten, welcher mit der hierarchischen Organisation der Typologien, Formen und Bauten der Moderne zu brechen versuchte. So stellt die gefaltete Fassade der Metrostation Flon auf der Linie M2 in Lausanne[3] ein Beispiel für eine solche Wand dar, die sich der klassischen baulichen Definition – nach den statischen Kriterien von Horizontalität und Vertikalität – entzieht. Hier geht es nur noch um eine mit einem pflanzlichen Mantel hybridisierte Hülle, die sich schwungvoll um das Gebäude legt. Das Gebäude von Prada in Tokio von Herzog und De Meuron und die Gärten des Amandolier in Genf (Agence Ter) hybridisieren ebenfalls absichtlich die baulichen und pflanzlichen Elemente.

Spannungsreiche Grenzziehungen

Die Annäherung von lebenden Objekten und leblosen Dingen wird die mit dem Raum[4] befassten Professionen noch beschäftigen. Wenn es, wie im Falle des Musée du quai Branly, bei der pflanzenbedeckten Nordfassade um ein ganz bestimmtes Architekturprojekt geht, so beteiligt sich Patrick Blanc mit seinem Spezialwissen, bei anderen Projekten wendete er «einfach» seine «botanische Technik» an. Dabei kann leicht einmal eine virtuose Ausführung mit der Intensität eines Kunstwerkes verwechselt werden.

Die Pflanzenwand ist ein technisches Mittel, kein Projekt. Ein Projekt beruht auf dem örtlichen Zusammenhang, auf der Geschichte, dem gegebenen Klima, es gibt Antwort auf eine konkrete Frage – die Pflanzenwand aber, vor allem wenn sie auf ihre Funktion als Ikone reduziert wird (d.h. als schematisch angewendete Lösung) –, stellt eher eine Ideologie dar, welche die Abschaffung der Grenzen im Allgemeinen postuliert und a priori eine Hybridisierung der Genre verlangt. Bevor Bauten «begrünt» werden, sollten sie auf jeden Fall verortet und definiert sein. Hatte nicht vielleicht das Gebäude mit seiner grünen Hülle, welche man als Tarngebärde oder aber auch dekorativ gemeinte Ziernarben interpretieren könnte, ursprünglich schon ein «Hautproblem»?[5] Damit würde diese «haarige» Fassade zum undefinierten Ort «Moipeau » (Ich-Haut), an dem sich heute viele Fragen der Souveränität konzentrieren und wo natürlich auch Inneres und Äusseres aufeinandertreffen. Indem die Unterscheidung zwischen Innen und Aussen abgeschafft wird, gerät die Frage des Wechsels zwischen beiden aus dem Blick, was von uns als problematisch empfunden wird. Jedoch ist die eigentliche Frage, die sich mit der häufiger werdenden Verwirklichung von Pflanzenwänden stellt, nicht die der pertinenten Definition der Grenze zwischen Innen und Aussen, sondern die nach den Grenzen unserer Umwelt, welche sinnvollerweise mit der Natur verschmolzen werden können. Vor allem müssen wir neue Grenzen erdenken, um ein Universum, in dem wir weiterleben können, zu schaffen.


Anmerkungen:
[01] «J’ai toujours refusé d’admettre les limites entre intérieur et extérieur imposées par nos modes de vie d’être humains ayant migré de nos contrées tropicales originelles aux contrées froides voire glaciales», p. 93 dans P. Blanc «Le mur végétal, de la nature de la ville» Michel Lafon 2008.
[02] ibid
[03] Gare du métro, Lausanne-Flon par les architectes Tschumi, Merlini et Ventura, et par J-J. Borgeaud, arch.-paysagiste.
[04] Daniela Cerqui «Humains, machines, cyborgs, le paradigme informationnel dans l’imaginaire technicien» Thèse de doctorat, Université de Lausanne 2005.
[05] Didier Anzieu «Le Moipeau», Dunod 1985.
[06] La doxa du monde contemporain occidental n’est-elle pas d’abolir toute forme de limites considérées comme obstacle à l’avènement de «l’individu auto-fondé». C’est la capacité structurante des limites qui est attaquée et stigmatisée. (Pierre Legendre «Le crime du caporal Lortie»).

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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