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anthos 2010/2
Westschweiz
anthos 2010/2
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Die Renaturierung der Aire in Genf

«Veränderungen haben nur den einen Sinn, einen unveränderlichen Zustand aufrechtzuerhalten.» Ludwig Hohl

Das Renaturierungsprojekt des Aire-Kanals ist das Grundgerüst einer Gebiets- und Landschaftsneustrukturierung der Aire-Ebene. Landwirtschaftliche Produktion, urbane Entwicklung und ausreichende Naherholungsräume einerseits, sowie die Notwendigkeit der Anlage und des Erhalts natürlicher Freiräume andererseits standen sich im Abwägungsprozess des Projektes gegenüber. Tatsächlich handelt es sich hier um mehr als eine pure Renaturierung, es geht vielmehr um eine echte «Restaurierung» des Gebietes, denn Gräben, Hecken, Gehölze und Feuchtgebiete sollen rekonstruiert werden. Diese auf alten Karten und historischen Dokumenten noch deutlich erkennbaren Landschaftselemente sind heute fast vollständig aus der Landschaft verschwunden. Mit der vorgeschlagenen Landschaftsstruktur sollen sowohl der Wasserabfluss als auch der Fortbestand von Flora und Fauna sichergestellt werden. Gemeinsam bieten sie für Mensch und Landschaft Schutz vor Überschwemmungen und ermöglichen so die menschlichen Aktivitäten im Einklang mit den Prinzipien der Nachhaltigkeit auszuführen. Von den geplanten Massnahmen profitieren auch die flussabwärts gelegenen Gewässerabschnitte, deren Hochwasserschutzmassnahmen bereits in der Vergangenheit erfolgt sind.

Heute, am Ende der zweiten Bauphase, setzen sich der Kanal, die Uferbepflanzungen und die Uferwege wieder zu einem bemerkenswerten Gesamtbild zusammen. Weite Aussichten auf die Landschaft wechseln mit dem Blick auf Auwälder ab, die die Position der alten Flussschleifen der Aire kennzeichnen. Die Ruhe, die Schönheit und die angenehme Atmosphäre des Ortes ziehen viele Spaziergänger an. Die klare Gestaltung der Landschaft dient hier zugleich dem praktischen Naturschutz, indem sie die Spaziergänger einlädt, die Wege nicht zu verlassen, und so die Belastung der Natur auf ein Minimum beschränkt bleibt.

Der Aire-Kanal, Zeuge der Bemühungen der Menschen, das Gebiet landwirtschaftlich zu nutzen, ist das Rückgrat, anhand dessen die vorgeschlagenen Änderungen sichtbar werden. Die Windungen des neuen Flusses stehen im Dialog mit dem historischen, geradlinigen Kanalverlauf, der entweder in Form von stehendem Wasser erhalten bleiben soll oder zur Verbreiterung der Uferpromenade genutzt werden wird.

In dem für die naturnahen Flächen vorgesehenen Gebiet – einem etwa 80 Meter langen Streifen entlang des Kanals – sollen die offenen und bisher intensiv bewirtschafteten Felder und Wiesen durch abwechslungsreiche Landschaftselemente ersetzt werden. So entsteht ein echter ökologischer Korridor, der die Biotopvernetzung und Ansiedelung einer Kleinfauna ermöglicht. Die Revitalisierung der Aire wird als Prozess verstanden, im Rahmen dessen die verschiedenen Massnahmen etappenweise durchgeführt werden können, ohne das klar definierte Gesamtkonzept aus den Augen zu verlieren.

Die Bauabschnitte

Das Pilotprojekt des ersten Abschnitts zwischen den beiden Brücken Pont des Marais und Pont du Centenaire wurde im Jahre 2002 begonnen und 2007 abgeschlossen. Die Planer sammelten hier wichtige Erfahrungen bei der Definition der Problemstellung, der Erarbeitung von Projektwerkzeugen und der konstruktiven Elemente, die für die weitere Durchführung des Gesamtprojektes von Bedeutung sind.

Die zweite und zentrale Bauphase umfasst die Verbreiterung des Flussbetts zwischen Perly-Certoux und der Brücke Pont de Lully, das Meteorwasser-Abflusskonzept sowie den Bau einer neuen Brücke. Diese Phase, die im Frühjahr 2010 abgeschlossen wird, soll das Dorf Lully gegen Hochwasser schützen.

Zwischen der Grenze und Certoux bleibt der älteste Kanalabschnitt unverändert, die noch vorhandenen Schwellen werden fischgängig gestaltet. Vor Lully werden ein Rückhaltedamm und Abflussgräben angelegt, die das Oberflächenwasser sammeln und in den Fluss leiten. Dort, wo die Aire und der Graben zusammentreffen, entsteht ein weiträumiges Feuchtgebiet mit einem vielfältigen Biotopmosaik.

Direkt angrenzend an den Tennisclub von Certoux werden nach alten Plänen des historischen Kanals neue Steinschwellen mit Fischtreppen gebaut. Die Schwellen sind den hydraulischen Konsequenzen geschuldet, die mit dem Absinken des Flussbetts und der Einleitung des Wassers aus dem Graben in den Fluss verbunden sind.

Zwischen Certoux und Lully verlässt die Aire den Kanal, um in Richtung Westen in ihr neues Bett zu fliessen. Am linken Flussufer soll ein Teil des Kanals als stehendes Gewässer erhalten bleiben und die Entwicklung von Pioniervegetation auf Grobkies begünstigen, die bei Hochwasser auch überflutet werden kann. Die Uferböschungen werden mit Massnahmen des Lebendverbaus stabilisiert. Die rechte Uferböschung wurde bereits abgesenkt, hier entsteht ein grossflächiges, mit Erlen und Pappeln aufgeforstetes Feuchtgebiet. Das übrige Hochwasservorland wird von einer für Feuchtgebiete typischen Krautvegetation besiedelt. Oberhalb dieser Zone sind als lose eingestreute Inseln Gehölze und Wiesen vorgesehen. Die unterschiedlichen Abflusskanäle lassen eine hohe Substratvielfalt für die Gewässerfauna entstehen.

Die Uferpromenaden werden abwechselnd auf der linken und der rechten Flussseite angelegt, wobei das jeweils gegenüberliegende Ufer als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist.

An diesen Fusswegeverbindungen sind Picknickplätze mit Tischen und Bänken geplant, auch Sitzstufen laden zum Verweilen mit Blick auf Fluss und Landschaft ein. Die Verbreiterung des Flusses bedingt auch die Anlage von neuen Flussübergängen. In Certoux wird eine Brücke für Fussgänger und Reiter mit einer Spannweite von 35 Metern komplett aus Holz gebaut. Die neue Morphologie der Aire macht zudem in Lully ein weiteres Bauwerk notwendig: Eine Betonbrücke mit einer Spannweite von 80 Metern, die die neu gestaltete Promenade und den neuen Fluss überspannen wird.

Dort, wo die Aire in ihr neues, unabhängig vom historischen Kanal angelegtes Bett fliesst, wirken enorme Kräfte auf das Prallufer, die bei Hochwasser Teile der Böschung herausreissen könnten; es erfolgt eine technische Stabilisierung dieser Böschung am linken Flussufer. Aufgeschüttetes grobes Kalkgestein bildet den Böschungsfuss, während die Böschung selbst durch Pflanzen stabilisiert wird. Um den Abfluss in die Kurve zu lenken und dauerhafte Auskolkungen der Flusssohle zu erreichen, werden schwimmende Buhnen eingesetzt. Am rechten Ufer folgt das Hochwasserbett denselben Prinzipien wie im vor der Brücke gelegenen Abschnitt.

Hier wird der Kanal als Erweiterung der Promenade behandelt und teilweise aufgefüllt, bleibt jedoch sichtbar. Durch diesen Ort der Entspannung mit seinem sanften Abhang und der Blumenwiese hindurch führt ein Graben, der das Meteorwasser von Lully sammelt und in den Fluss leitet.

Pont de Lully – Pont des Marais

In der dritten, aktuell in Planung befindlichen Phase, soll ein grosses Auffangbecken flussabwärts den Hochwasserschutz im Krisenfall vervollständigen. Hier werden die öffentliche Promenade, der neu gestaltete Kanal und der neue Flusslauf der Aire parallel verlaufen. Mit dieser Phase wird die Schaffung eines ökologischen Korridors abgeschlossen, und die Aire erhält im Abschnitt hinter der Autobahn wieder ihr altes Flussbett. Das Spazierwegenetz ist dann ebenfalls komplett.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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