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anthos 2010/3
Stadtoasen
anthos 2010/3
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Kleine Fluchten

27. September 2010 - Thilo Folkerts
«Jetzt stell Dir vor: Die Sonne prasselt so richtig, ein laues Lüftchen weht, ein Liegestuhl, ein erfrischendes Getränk, Sand, der zwischen den Zehen kitzelt, Musik die den Ohren schmeichelt, Deine Freunde und Du mittendrin. [...]

Was wäre denn eine Oase ohne Palmen und Sand, unser Name ist Programm. [...] Umrandet wird diese Atmosphäre von Schatten spendenden Pagoden, ausgelegt mit grossen orientalischen Teppichen und Sitzkissen, die zum Verweilen und Entspannen einladen.»

Stadtoasen sind natürlich eine Fata Morgana: vage Versprechen des Urlaubs von der Stadt in der Stadt oder Zielorte einer inneren Reise. Sowohl Ferienwohnungen, Luxushotels, interkulturelle Mehrgenerationenhäuser und Projektentwickler für Immobilien im Grünen, als auch seelsorgerische Meditations- und Ruheräume, Kindergärten, Erlebnis- und Lernorte des Naturschutzes, Jugendaktionsprogramme, «aufgewertete und begrünte» Verkehrsinseln nehmen Namen und Konzept für sich in Anspruch. Fügt man den Oasen noch Inseln und Strände hinzu, vermehrt sich das Angebot an stadtfluchtgeeigneten Topographien ins Unermessliche.

Im städtischen Freiraum haben diese Abenteuerwelten inzwischen touristisch vermarktbare Präsenz entwickelt. Wenige Gehminuten von zu Hause entfernt sind die zumeist sommerlich-temporär gestalteten Oasen- und Strandinszenierungen tatsächlich oft einen Schritt abseits vom Gewohnten und bespielen fremde – weil reaktivierte – Orte. Deren Wiederentdeckung geht mit der Regenerierung von innerstädtischen Flussabschnitten einher oder mit der Rückeroberung urbanen Brachlands im Zuge der Deindustrialisierung.

Urbane Spektakel

Diese neuen Freiräume dienen nicht nur in schrumpfenden Städten als Substrat für Stadtentwicklung, sondern werden aller Orten als belebendes urbanes Spektakel willkommen geheissen. Vielleicht lässt sich mit dem seit 2002 stattfindenden, viel zitierten Pariser Stadtstrand La Plage ein zeitlicher Markierungspunkt der offiziellen Förderung temporär inszenierter Freiräume verorten. Seitdem ist der Stadtraum dammbruchartig als Trainingsort für unkonventionelle Gestaltung freigegeben. Die Stadtoasen machen vor, wie man kurzfristig viel besuchte Freiräume schaffen kann. Oft mit nur ein paar Handgriffen und wenig Bürokratie entsteht eine phantasievolle, erfrischende Freirauminszenierung. Die zumeist mit low- oder nobudget umgesetzten Projekte sind angesichts leerer kommunaler Kassen vielleicht eine Notwendigkeit, um die innerstädtische Versorgung mit Freiraum zu gewährleisten. Im bayrischen Rosenheim werden zum Beispiel seit 2008 mit Unterstützung des Bauministeriums Jugendliche eingeladen, in Brachen und an ungenutzten Orten ihre Freiräume selbst zu gestalten. 10 Werden die Städte derart in Zukunft zu einer neuen Art von Abenteuerspielplatz für Jugendliche und Erwachsene?

Palme Sand = Oase?

Leider fallen die Inszenierungen oft klischeehaft aus und orientieren sich eher an kommerziellen denn an urbanistischen Wunschvorstellungen. Ein oder zwei Plastikpalmen, eine Tonne Sand und schon wird der Freiraum statt zu einer Oase der Ruhe zu einem Partystrand – mit grünen Sonnenschirmen einer Biermarke. In Berlin wird das inszenatorische Spektrum der Stadtfluchten mannigfaltig verhandelt. So gibt es am Spreeufer sowohl einen offiziösen «Bundespressestrand » als auch aktivistisch gegen fortschreitende Stadtentwicklung verteidigte Brachen. Auch wenn die Ästhetik des Improvisierten aktuell angesagt ist, bedeuten Kabelbinder und Gaffa-Tape-Konstruktionen nicht automatisch eine Öffnung für alle. Schnell bleiben diese Orte jenen versperrt, die nicht jung und schön oder zahlungskräftig für den Getränkekonsum sind: Der Schein des Improvisierten überstrahlt oftmals die Partikularinteressen.

Frankfurt, Paris, Madrid

Ist diese Dynamik Zeichen des Wandels weg von einem kommunitären Freiraumangebot? Weg von kommunal initiierter Stadtgestaltung, die auch den Blick auf den grösseren Massstab behält? Die Oase ist ein insulärer Ort, insulär auch in der Zeit. Die schnell gemachte Oase hat zumeist keinen langen Atem und lebt mit und von geringer Verantwortung für die Stadt. Es lassen sich jedoch auch langlebige Beispiele finden. Im «Nizza am Main» in Frankfurt12 erwartet den Besucher seit 1875 «ein Hauch von Mittelmeer mit Palmen, Feigenbäumen.» Die knapp viereinhalb Hektar grosse Anlage ist «einer der grössten südländischen, öffentlich zugänglichen Gärten nördlich der Alpen». Sie entwickelte sich von einer romantischen Stelle am Fluss über ein 1832 eröffnetes Vergnügungslokal mit Gartenterrasse zu einer exotischen Stadtoase. Während die mediterranen Pflanzen nach 1875 noch sommerlich temporär aufgestellt wurden, sorgt seit der Restaurierung von 2000 nun ein winterhartes Pflanzensortiment für das entsprechende Ambiente.

Vielleicht können wir aus dem Erfolg der Stadtoasen eine Wunschbeschreibung für die Stadt lesen? Den Wunsch nach einem Moment des Anderen in der Wüste des Städtischen? Stadtoasen leben von der Illusion anderer Landschaften, sie haben Charme, Charakter und Atmosphäre. Und während sie Flucht und Ferne versprechen, sind sie vor allem eines: Gleich da, mittendrin! Ist in diesem Sinne nicht der Central Park in New York auch eine Stadtoase? Sind nicht alle Parks idealerweise Stadtoasen? Ist das nur eine Frage der Terminologie?

Paris hat neben dem jährlich neu inszenierten Seinestrand mit dem «Jardin des Bambous» von Alexandre Chemetoff aus dem Jahr 1987 eine der schönsten Stadtoasen. Versunken im dicht mit Menschen gepackten Parc de la Villette ist der dschungelartige Garten wunderbarerweise gleichzeitig auch eine Thematisierung und Zelebrierung des Urbanen. Ebenfalls in Paris bietet das Museum für nichteuropäische Kunst am Quai Branly seit 2006 hinter einer zweihundert Meter langen und zwölf Meter hohen Glaswand wie in einem Terrarium ein Freiraumexponat im landschaftlichen Massstab. Der vom Landschaftsarchitekten Gilles Clément entworfene, knapp zwei Hektar grosse Garten ist geprägt durch die üppige Vegetation aus 180 Bäumen, vielen Sträuchern, Stauden und Gräsern. Als eine Art thematisches Polster umgibt der öffentliche Garten das Museum und ermöglicht das Eintauchen in fremde Welten.

Im ariden Klima Madrids bildet der 2005 eröffnete «ecoboulevard» der jungen Madrider Architekten ecosistema urbano mit klimatechnologischen Mitteln eine Stadtoase, die als sozialer und urbanistischer Katalysator dienen soll. Drei den Ort überragende Zylinder unterschiedlicher Ausstattung bieten Schatten und zum Teil durch natürliche Zirkulation gekühlte Luft. Denn bisher haben weder das neue Stadtquartier noch die echten Bäume des das Quartier gliedernden Boulevards die Grösse entwickelt, einen beschatteten und belebten öffentlichen Raum zu generieren. Die Zylinderpavillons kondensieren Atmosphäre und Aktionsraum als Vorboten in der urbanen Wüste. Nachdem sich Quartier und Promenade eingelebt und eingewachsen haben, sollen die turmartigen, aus einfach montierbaren Leichtstrukturen bestehenden Pavillons wieder rückgebaut werden. Als Lichtungen werden sie dann ein invertiertes Nachleben im Blätterdach des Boulevards haben.

Besondere Räume

Stadtoasen sind vor allem charakterstarke, dichte Räume. Während wir uns als Landschaftsarchitekten sicher auch auf die urbanistische Kraft eines individuell angeeigneten Improvisationsstrandes verlassen können, müssen wir als Gestalter daran arbeiten, dass die städtischen Freiräume atmosphärische Kraft haben, um als Stadtoasen Wünsche und Phantasien des Stadtbewohners zu beflügeln. Unsere oftmals wenig reizvollen und übermässig auf wenige Standards reduzierten Landschaftsarchitekturen stehen nämlich der phantasielosen, klischeehaften Möblierung kommerzieller Strandbars mit Plastikpalmen und werbelogogeprägten Liegestühlen oft um nichts nach.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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