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Kritik
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zur Zeitschrift: ARCH+

68er-Bewegung

1960er Jahre

25. Oktober 2010
Während der Studentenbewegung der 1960er Jahre tritt die Kritik aus dem philosophisch-wissenschaftlichen Zusammenhang heraus. Es entsteht ein sich gesellschaftlich breit niederschlagender Diskurs des Kritischen: Von den studentischen Initiativen ausgehend sollen sämtliche sozialen Schichten, vor allem aber die Arbeiterklasse, mobilisiert werden. In der Orientierung an den marxistischen Theorien, der Frankfurter Schule, der Psychoanalyse bzw. des Existentialismus werden die jeweiligen sozial-, kapitalismus- bzw. ideologiekritischen Grundhaltungen dieser Denkschulen aufgenommen. Dabei geht es allerdings nicht um einen umfassenden und konstruktiven gesellschaftspolitischen Neuentwurf.

Zwischen Politik und Lifestyle

Was diese Form der Sozialkritik auszeichnet, ist ihr aktionistisches Potential, da im Rückgriff auf die Ideen des Marxismus auch dessen Handlungsimpulse übernommen werden. Die Kritik der 68er zielt zudem auf eine weitreichende öffentliche Wirksamkeit, da gerade die Öffentlichkeit als das wichtigste Instrument demokratischer Auseinander-setzung mit der politischen Macht angesehen wird. Im Zuge der Omnipräsenz des Kriti-schen und des Insistierens auf der politischen Potenz der Kritik entwickelt sich diese zu-nehmend zur Lebenshaltung: Kritik als Attitüde des antiautoritären, aufgeklärten Subjekts und als entschiedene politische Gegen-Haltung zum Traditionellen und Etablierten.

Kritische Universität als Protestorgan

1967 wird die Kritische Universität (KU) von Arbeitsgruppen des Sozialistischen Deut-schen Studentenbundes (SDS) an der Freien Universität Berlin ins Leben gerufen. Diese versteht sich als vorbildhafter Gegenentwurf zur etablierten Lehrpraxis der Massenuni-versitäten sowie deren bildungsbürgerlicher Ideologien und dient als Sprachrohr, um allgemeine bildungspolitische Defizite publik zu machen. Die Protagonisten der KU pro-pagieren die Aufhebung der strikten Grenze zwischen Wissenschaft und Politik sowie die Neuorientierung sämtlicher Bildungsinstitutionen hin zu einem selbstbestimmten Lernen.

Für praktische Relevanz in der Architektur

Die Kritik der Architekturstudenten richtet sich in erster Linie gegen die traditionelle Architekturausbildung an den Hochschulen und gegen die als unpolitisch wahrgenomme-ne, sich an ästhetischen Fragen aufhaltende Einstellung der Professoren. Sie fordern einen stärker praktisch orientierten, sich der sozialen Verantwortlichkeit stellenden Realitätsbe-zug in der Lehre und Praxis; sie opponieren gegen konkrete architektonische und stadt-planerische Entscheidungen, etwa die Kahlschlagsanierung von Gründerzeitvierteln in Berlin-Kreuzberg. Generell plädiert man für eine durch Politik und Sozialwissenschaften gestützte Bau- und Planungspraxis, die zudem durch eine kritische Auseinandersetzung in enger Kooperation von Architekt und Intellektuellen fundiert wird.

Kulturrevolution

Das Politisch-Kritische der 68er-Bewegung ist in seiner Wirkung divergent: Die kritische Haltung erfährt zum einen eine Radikalisierung durch den RAF-Terrorismus der siebziger Jahre. Zum anderen – und das ist das eigentlich Revolutionäre – kommt es zu einer Ent-radikalisierung des Kritischen im öffentlichen Bewusstsein: Das kritische Projekt, als randständiges Phänomen lediglich von einer Minderheit revoltierender Studenten vertre-ten, ist zwar nicht politisch, umso mehr jedoch kulturell einschlägig. Die aus den Studen-tenprotesten resultierenden Friedens-, Umwelt- und Frauenrechtsbewegungen etwa ge-winnen in den Jahren nach den Aufständen maßgeblich an gesellschaftlicher Akzeptanz, Resonanz bzw. an politischem Einfluss und machen somit die kritischen Ansätze der 68er sozial wirksam.

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Für den Beitrag verantwortlich: ARCH+

Ansprechpartner:in für diese Seite: Anh-Linh Ngoberlin[at]archplus.net

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