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zur Zeitschrift: Hintergrund
Herausgeber:in: Architekturzentrum Wien

European Prize for Urban Public Space

21. Oktober 2010 - Dietmar Steiner
Die vergangenen zehn Jahre des biennalen European Prize for Urban Public Space belegen nicht nur die Entwicklung der Auszeichnung herausragender gestalterischer Leistungen, sondern begleiten auch die diskursive Entwicklung der Bedeutung des öffentlichen Raums des letzten Jahrzehnts. War der erste Preis im Jahr 2000 noch von einer lokalen Jury des CCCB bestimmt, begann 2002 die kontinuierlich bis heute wachsende Kooperation mit anderen europäischen Institutionen der Architektur. Damit ist eine einzigartige und repräsentative Sicht der Entwicklung des urbanen öffentlichen Raums in Europa mit seinen Preisträgern und dem akkumulierten Archiv gewährleistet. Ich versuche nun aus der Sicht eines Jurymitglieds seit 2002 die Entwicklung des Preises und des Engagements des CCCB als Widerspiegelung und Konzentrat der europäischen Debatte zu kommentieren.

Zunächst gibt es begründet keine andere europäische Stadt, die eine mit Barcelona vergleichbare Kompetenz als Diskursort für den öffentlichen Raum aufweisen könnte. Denn das heute legendäre Programm der öffentlichen Plätze der 1980er Jahre, von renommierten Architekten und Künstlern gestaltet, war für Barcelona nach der politischen Blockade der Franco-Zeit ein urbanistischer Befreiungsschlag, der weltweit über die Architekturdebatte hinaus für Aufsehen sorgte. Was lag also näher als – mit dieser Kompetenz ausgestattet – einen europäischen Preis für Urban Public Space vom CCCB, jene einzigartige Institution, die sich einer umfassenden kulturellen und intellektuellen Entwicklung verpflichtet fühlt, zu erfinden und auszuloben. Angesichts der eingesandten Projekte stellten sich für die Jurien aber immer und bis heute eine Reihe von inhaltlichen Fragen. Was ist der öffentliche urbane Raum im neuen Jahrtausend? Ist er nicht längst in den medialen Raum der Internet-Communities entschwunden? Wird der öffentliche urbane Raum im realen Leben nicht zunehmend privatisiert? Und wird der noch vorhandene öffentliche Raum nicht von immer mehr Regeln und Verhaltensvorschriften politisch domestiziert und diszipliniert?

Dabei vergessen wir gerne, dass der urbane öffentliche Raum – als Public Space der angelsächsischen Terminologie – erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als generalisierender Typus definiert wurde. Davor enthielt die Terminologie der Stadtplanung in Europa nur die Begriffe von Straßen und Plätzen, von Grünräumen und Spielräumen. Es ging ganz einfach um die vom Brandschutz und der Belichtung verordneten nötigen Abstandsflächen zwischen den Gebäuden. War der öffentliche Raum aber als „gestaltet“ gedacht und geplant, dann diente er der Repräsentation fürstlicher, faschistischer, kommunistischer, jedenfalls herrschaftlicher Macht, intendierte die Absicht, durch Gestaltung eine Lenkung und Kontrolle des Verhaltens der Benutzung herbeizuführen. Erst die demokratischen Reformen ab der Mitte des 19. Jahrhundert eröffneten den Begriff eines öffentlichen Raums „für alle“, der „alltäglichen Öffentlichkeiten“. Aber auch dieser war wieder mit soziologisch bestimmten, also politischen Ritualen belegt und definiert.

Ich wage daher die These, dass es den für alle Menschen offenen, für alle Aktionen und Repräsentationen des Öffentlichen freien urbanen Raum niemals gab und geben wird. Denn jeder öffentliche Raum, und wir sehen dies heute deutlich in den „sozialen Räumen“ des Internet, ist von Ritualen der Benutzung bestimmt, die immer Verhaltensregeln, Zugangsbeschränkungen und Ausschließungen beinhalten. Manuel Solà-Morales hat dies in einer der Jurien sehr klar und lapidar formuliert: Jedes Fußball-Stadion ist privat, dennoch empfinden alle Nutzer, die sogar für den Eintritt bezahlen, die Anteilnahme an dieser Veranstaltung als Nutzung eines öffentlichen Raums. Es spielt also in der Realität keine Rolle, ob sich der urbane öffentliche Raum unter öffentlicher oder privater Verwaltung befindet, ob er als realer oder virtueller Raum existiert. Jeder Zugang, jede Tätigkeit in diesem Raum bedarf einer „politischen Verhandlung“. Die von linken TheoretikerInnen beförderte Anklage der zunehmenden Privatisierung des öffentlichen Raums, Stichwort: vom öffentlichen Platz zur privaten Shopping-Mall, hält der Realität nicht stand. So sitze ich in einer Shopping- Mall in Barcelona in einem Restaurant, dieses geöffnet zu einem öffentlichen privaten Platz, bestelle nur ein Bier, und verbringe ein Stunde mit der Lektüre eines Buches, unbelästigt. So spaziere ich den öffentlichen Raum des Paseo de Gracia entlang, bis plötzlich von martialisch aussehenden öffentlichen Sicherheitskräften der Gehsteig abgeriegelt ist, weil eine kleine Demonstration stattfindet. Schlussfolgerung: Die öffentliche Benutzung des öffentlichen Raums ist nicht eine Frage der abstrakten Besitzverhältnisse, sondern immer eine Frage der Ausübung der Macht über diesen Raum.

Mit dieser Frage einer heutigen Definition des urbanen öffentlichen Raums waren wir in jeder Jury des letzten Jahrzehnts konfrontiert. Ist nur dann ein öffentlicher Raum gegeben, wenn er als offene Fläche unter freiem Himmel ausgebildet ist, oder können auch Gebäude öffentlicher Raum sein? Schon der legendäre Nolli-Plan Roms von 1748 erklärt in seiner Grafik, dass sich öffentliche Flächen von Straßen und Plätzen in die Innenräume von öffentlichen Gebäuden erstrecken. Ist eine Markthalle, eine Kirche, eine Shopping-Mall heute öffentlicher Raum? Eine besonders pikante Begründung fand der Juryvorsitzende Rafael Moneo für den Preis der Oper in Oslo 2010: Der hier gebotene öffentliche Raum auf dem Dach und im Umfeld des Gebäudes ist eine derartige Bereicherung für den urbanen Raum von Oslo, dass die Bedeutung des Gebäudes darunter keine Rolle spielt. Und welchen Wert messen wir Projekten bei, die sich als Kunst- oder Architekturprojekte mit ephemeren und temporären Projekten der Thematisierung des öffentlichen Raums widmen? Jawohl, diese Projekte wurden in den letzen Jahren immer wichtiger. Was sich hier meist als partizipatorische Kunstprojekte darstellt, ist der Ausdruck einer zunehmenden Verunsicherung über allgemein gültige Rituale der Benutzung des öffentlichen Raums einer zunehmend heterogenen Gesellschaft. So deutet sich in dieser künstlerischen Avantgarde an, dass die Zukunft der Benutzung des öffentlichen Raums wohl überwiegend nur mehr „moderiert“ gesehen werden kann. Dann werden wohl die Rituale der Macht mit den Ritualen der Aneignung des Raums ebenfalls in einen andauernden politischen Diskurs münden. Auf der anderen Seite der formale Mainstream: Die derzeit üblichen Elemente der Gestaltung des urbanen öffentlichen Raums sind Bodenlampen und dramatische Lichtkonzepte, informelle Wasserflächen mit oft interaktiven Fontänen zur belustigenden Bewässerung von spielenden Kindern, Bänke und Sitzmöglichkeiten und die ornamentale Gestaltung der Bodenflächen durch Muster und Materialien. Entscheidend ist aber nicht, wie „schön“ der neue öffentliche Raum geworden ist, sondern ob er eine Geschichte erzählt, die einen Beitrag zur Identität des Ortes leisten kann.

Und manchmal, konfrontiert mit den Bildern des Zustands vorher und denen nach der neuen Gestaltung, wäre es auch besser gewesen, ganz einfach nichts zu tun. Der urbane öffentliche Raum ist eine „soziale Plastik“, ein politischer Verhandlungsraum. Das ist der „Text“, der den Diskurs der Jury jenseits der präsentierten „Bilder“ begleitet.
[ Langfassung in: In Favour of Public Space – Ten Years of the European Prize for Urban Public Space, Actar 2010 ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Hintergrund

Ansprechpartner:in für diese Seite: Martina Frühwirthfruehwirth[at]azw.at

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