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Planung und Realität I
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Vom Ein- und Auszug der Vahraonen

50 Jahre Wohnzufriedenheit?

13. Juli 2011 - Florian Heilmeyer
Niemals ist in Bremen so schnell so viel gebaut worden: In gerade einmal sieben Jahren entstehen zwischen östlichem Stadtrand und Autobahn 11.000 Wohnungen und 800 Eigenheime. Der Bau der modernen Musterstadt verlief so schnell, dass sich zwischen den Wohnblöcken noch Pferdekoppeln und Kuhweiden befanden. Auch die restliche Tierwelt zeigte sich von der rasenden Geschwindigkeit nachhaltig verwirrt: Fasane und Rebhühner kehrten noch einige Jahre in die Siedlung zurück, um unter den neuen Balkonen nach ihren angestammten Revieren zu suchen.

Die moderne Stadt, ein erregendes Abenteuer

Die Menschen arrangieren sich schneller mit ihrer neuen Umgebung, diesem betonten Gegenentwurf zur engen, dunklen Altstadt. Die „größte Baustelle der Bundesrepublik“ hatte die Bremer durch ihre Größe, ihre durchgrünte Offenheit und ihren optimistischen Fortschrittsglauben fasziniert. „Eine Fahrt an Bremens östlichen Stadtrand ist ein erregendes Abenteuer“, schreibt der Weser Kurier 1958. „Wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt kann man etwas erleben, was sich in früheren Zeiten über Jahrhunderte erstreckt hat; eine neue Stadt wächst aus der Erde.“ Eka von Merveldt hat es insbesondere das autofreundliche Konzept angetan, wie sie 1961 in der „Zeit“ schreibt: “In unserer Zeit dominiert das Auto, folgerichtig ist die Neue Vahr zwischen der Autobahn und der Franz-Schütte-Allee, einer großen Zufahrtsstraße, entstanden. Das schafft Kontur. Der neue Stadtteil [...] ist eine der ersten „autogerechten“ Wohnstädte. Man hat alle vordergründig materiellen Klagen der Großstadtkritik gehört und die Ursachen einer Art von Stadtflucht in den letzten Jahren auszumerzen versucht: Den Mangel an Ruhe, die räumliche Enge, die Armut an frischer Luft. Die Häuser stehen weit auseinander.“
Es muss ja wirklich erregend gewesen sein, wenn man sich die Distanz zwischen der neuen und der alten Stadt vor Augen führt: In 15 Minuten konnte man mit dem öffentlichen Bus aus der Vergangenheit in die Zukunft fahren. Wie muss das gewesen sein für eine Bremer Bevölkerung, die sich damals gerade notgedrungen an die instandgesetzten Gartenhäuser und Behelfsunterkünfte gewöhnt hatte? Der innen- und außenpolitische Druck war die Grundlage für die Entschlossenheit des Bremer Senats. Als erstes und größtes Projekt des ehrgeizigen Wohnungsbauprogramms musste die Neue Vahr doppelt erfolgreich sein: Den Bremer Bürgern sollte bewiesen werden, dass man der Wohnungsnot nun entschlossen begegnete. Gleichzeitig widersprach dieser soziale Wohnungsbau den Leitlinien der CDU-geführten Bundesregierung, sodass der SPD-Senat auch dieser gegenüber zu finanziellem, sozialem und politischem Erfolg verdammt war. So wurde aus dem Projekt ein bundesweites Pilotprojekt, was unter anderem dazu führte, dass Willy Brandt und Heinrich Lübke vor der Baustellenkulisse ihre Wahlkampfauftritte absolvierten und dass das neue Einkaufszentrum im Jahr des Mauerbaus „Berliner Freiheit“ getauft wurde.

Aber trotz ihrer raschen Realisierung wird die Neue Vahr doch erst zu einem Zeitpunkt fertig, als das strahlende Leitbild einer modern aufgelockerten Stadtlandschaft bereits Risse bekam; so kann etwa Wolf Jobst Siedler die Neue Vahr 1962 kein „erregendes Abenteuer“ finden. Er schreibt in der „Zeit“: “Möglicherweise kann man heute keine anderen Städte als Bremens „Neue Vahr“ bauen — nur muß man wissen, daß sich in diese Kunstgebilde kein städtisches Leben mehr begibt.“ Im selben Artikel schreibt er dann allgemeiner über den Nachkriegsstädtebau, die „neuen Wohnstädte“ würden den Eindruck „gespenstischer Menschenleere“ erzeugen, als sei ein „Atomkrieg“ über sie hinweggegangen.

Dabei trifft diese Pauschalkritik auf die Neue Vahr kaum zu. Schon 1957 ziehen die ersten Bewohner ein und manche erzählen heute lächelnd, dass sie damals extra eine Familie gründeten, um auf den städtischen Verteilungslisten weiter nach vorne zu kommen. 1960 werden in der Neuen Vahr bereits 15.000 Menschen gezählt – ein Jahr vor ihrer offiziellen Eröffnung! Wer in den Genuss einer der begehrten Wohnungen kam – im Grünen, meist mit Aussicht und Balkon, immer mit Frankfurter Küche und Wannenbad –, der nahm die suburbane Lage der neuen Stadt in Kauf. Die Ladenzeilen und die Waschsalons werden zu sozialen Treffpunkten der Nachbarschaften. Die Freiflächen und Spielplätze, so lässt sich den Fotos und den Berichten aus den Anfangstagen entnehmen, werden von den vielen Kindern rasch in Beschlag genommen, man spielt Minigolf und Bockspringen. Auch das Einkaufszentrum und der Wochenmarkt werden gut angenommen, die Pläne für ein Kino und eine Veranstaltungshalle werden zwar gestrichen, stattdessen stiftet die GEWOBA ein Hallenbad, das sie auch gleich nach ihrem Geschäftsführer Herbert Ritze benennt. Alle Umfragen zeugen von einer großen Zufriedenheit in den ersten Jahren. Und was den Eindruck eines Atomkriegs angeht, so ist Siedler einfach noch etwas zu früh in die Siedlung gekommen. Denn für die umfangreiche Grünflächenplanung von Karl-August Orf war ja gerade alles umgebuddelt worden, mit dem Aushub aus den Baugruben gestaltete er Wälle, Böschungen und kleine Hügel auf dem flachen Ackergelände, zusätzlich wurden kleine Wasserläufe und ein großer See am Aalto-Hochhaus ausgehoben. Die Pflanzen, hinter denen die eher spartanisch gestalteten, niedrigeren Zeilenbauten verschwinden sollten, brauchten aber noch einige Jahre zum Anwachsen.

Einzug der Vahraonen

Über die städtischen Verteilungslisten kommt in der Neuen Vahr eine sehr homogene Bevölkerung zusammen. Denn so sehr sich die Planer um eine Vielfalt der öffentlichen und halb-öffentlichen Freiräume kümmerten, so homogen waren die Grundrisse. Selbst Ernst May beklagt sich 1963 in einem Interview mit dem „Spiegel“: „Die Neue Vahr ist so offen, so locker, und vor allem das Volksleben funktioniert dort so wunderschön, daß ich sie absolut bejahe. Daß die Grundrisse viel fach nicht so sind, wie wir sie gerne gesehen hätten, das liegt daran, daß wir immer wieder an diese konformen Vorschriften [des sozialen Wohnungsbaus] gebunden sind.“ Die Neue Vahr besteht zum überwiegenden Teil aus 3-Zimmer- Wohnungen: Eltern-, Kinder- und Wohnzimmer. So sind es überwiegend junge Familien, die einziehen, und für einige Jahre wird die Neue Vahr zu Bremens kinderreichstem Viertel. Über die städtischen Listen kommen überproportional viele SPD-Mitglieder in die Siedlung, die eine SPD-Hochburg im ohnehin stark SPD-lastigen Bremen wird. Diese politische Nähe ist auch in den Stadtplan der Neuen Vahr eingeschrieben worden, deren Straßen entweder nach SPD-Politikern oder nach Widerstandskämpfern im Dritten Reich benannt werden.

So erscheint es folgerichtig, dass aus dieser sozialen und politischen Homogenität erst eine nachbarschaftliche Solidarität und dann eine gemeinsame Identität entsteht. Es kursiert der Begriff des „Vahraonen“, der sich rasch durchsetzt und fortpflanzt. Die Stadtteilzeitung der GEWOBA heißt „Vahrplan“, der „Vahraonenkeller“ wird die legendärste Kneipe des Viertels und wer wegzieht, begeht „Vahrerflucht“. Die Vahraonen sind engagiert und wissen, wie man sich politisch organisiert. Sie fordern Nachbesserungen, vor allem hapert es an kulturellen Angeboten und Infrastruktur: Wer ins Kino will, muss in die Innenstadt fahren. Aber wie? Während die Planer bis 1965 zuerst von einer U-Bahn und dann sogar von einer Magnetschwebebahn träumen, wird die erste Tramverbindung zur Innenstadt erst im Sommer 1967 eröffnet. Private PKW sind in der jungen, autogerechten Anlage ein seltener Anblick. Größere Betriebe organisieren eigene Busse, die ihre Arbeiter und Angestellten zur Arbeitsstelle bringen.

Ein „Bürgerausschuss für die Umgestaltung der Vahr“ erarbeitet 1972 Verbesserungsvorschläge – sie fordern ein Bürgerzentrum, bessere Verkehrsanbindungen, mehr Freizeit- und bessere Kindereinrichtungen sowie neue Wohnungsbauten, „in denen Wohngemeinschaften und andere Wohnformen ermöglicht werden.“ Darunter sind einige Dinge, die in den ursprünglichen Planungen zwar vorhanden, deren Umsetzung aber auf unbestimmte Zeit verschoben worden waren. Trotz der geforderten Neubauten sollen die beliebten Parkflächen erhalten bleiben – statt einer Nachverdichtung soll auf den Geländen der Pferderennbahn oder des Golfplatzes gebaut werden. Offenbar war die langsam anwachsende Parklandschaft da bereits zum populärsten Element der Planungen geworden. Außer dem Bürgerzentrum wird aber praktisch keiner der Vorschläge umgesetzt.

Äußere Starre, innere Transformation

Ihre Planer hatten die Neue Vahr als universelle Antwort formuliert. Allerdings waren die Siedlungsstrukturen in Wahrheit eine sehr spezielle Antwort auf die dringendsten Bedürfnisse der Nachkriegsgesellschaft in Bremen. Die Neue Vahr ist kein universell einsetzbares Stadtmodell, sondern ein sehr spezifisches Produkt der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Umstände ihrer Entstehung. Die Planer hatten ja noch an die einheitliche und rationale Optimierbarkeit eines städtischen Alltags von 40.000 Menschen geglaubt. So ging beispielsweise von den Frankfurter Küchen stets ein Fenster hinaus zum Spielplatz vor dem Haus, die Hausfrau sollte ihre 2,4 Kinder jederzeit im Auge behalten und zum Essen rufen können. Für Flexibilität und Adaption war die Neue Vahr nicht ausgelegt, denn die Planer wussten ja, wie ein „gutes Leben“ für jeden auszusehen hatte. In den Plänen und Skizzen der Vahr stehen weibliche Silhouetten in der Küche, die Männer lesen am Esstisch sitzend Zeitung und die Kinder spielen still in ihrer Ecke.

Aber die Gesellschaft verändert sich ebenso rasch, wie die Vahr zuvor gebaut worden war. Schon sind die jungen Familien älter geworden und ihre Kinder ziehen aus. Nur die wenigsten bleiben in der Siedlung, die für Jugendliche wenig zu bieten hat. So ist zwar heute noch der Großteil der Wohnungen belegt, die Einwohnerzahl aber seit Anfang 1970 kontinuierlich gesunken. Von einst 25.000 Menschen leben heute noch knapp 20.000 hier, sie sind 45,4 Jahre alt und wohnen auf mehr Wohnfläche pro Kopf. Es sind viele Zuwanderer darunter, aber das waren die Vahraonen eigentlich schon immer: Erst Kriegs- und Stadtflüchtlinge, dann kamen die sogenannten Gastarbeiter aus Italien und der Türkei hinzu und seit 1990 sind Spätaussiedler aus Russland die größte Gruppe der Zuwanderer. Statistisch zählt man heute 44 % Vahraonen mit Migrationshintergrund, davon sind über die Hälfte Aussiedler. Das bringt der Schlafstadt ein gewisses Maß an multikultureller Urbanität, Veränderungen und neue Qualitäten. Im Einkaufszentrum wird heute neben deutsch auch russisch und arabisch gesprochen und der „Schach- Club Vahr“ ist durch neue, spielstarke Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion in die Verbandsliga Nord aufgestiegen. Allerdings sinkt der Bildungsstand kontinuierlich und 3200 Vahraonen empfangen Arbeitslosengeld. Damit entspricht die Großsiedlung am Stadtrand ziemlich genau dem Bremer Durchschnitt und zeigt genau dieselben demographischen Veränderungen wie die gesamte deutsche Gesellschaft. Daraus lässt sich wohl vor allem schließen, dass die Neue Vahr ein lebendiger Bestandteil der Gesellschaft ist, kein autarker Mikrokosmos.

Der Begriff des Vahraonen ist mittlerweile fast ganz verschwunden. Wer von den Jüngeren ihn heute noch kennt, der glaubt, es sei eine Bezeichnung für die älteren Bewohner. Der Vahraonenkeller schloss 2002, den verbliebenen Jugendlichen bleiben nur die Grünflächen und die Sportplätze zum Herumhängen – oder das neue Einkaufszentrum. Das heißt zwar noch „Berliner Freiheit“, aber das alte Gebäude wurde 2002 vollständig abgerissen. Seine Ausstattung genügte den globalisierten Anforderungen der internationalen Handelsketten nicht mehr. Das neue hat zwar nicht viel mehr Verkaufsfläche, ist aber vollständig überdacht und überwacht. Gegen den Abriss hatte sich übrigens keinerlei Protest im benachbarten Bürgerzentrum gerührt. So sehr sich die Vahraonen ihren Grünflächen verbunden fühlen, so gleichgültig stehen sie der Architektur gegenüber.

Die Pflege der Moderne

Zum größten Teil ist die Neue Vahr noch im Besitz der GEWOBA. Diese Kontinuität hat sich in der kontinuierlichen Pflege bezahlt gemacht. Dabei ist der Umgang mit den Gebäuden recht pragmatisch. Von Konservierung oder gar Denkmalschutz ist höchstens beim Aalto-Hochhaus die Rede. Die GEWOBA hat aber in den 90er Jahren bei der Sanierung der Siedlung mit einem Wärmedämmputz den alten Hans-Albrecht Schilling hinzugezogen, dessen Farbgestaltung einst als „Farbwunder“ bezeichnet worden war. Sein Konzept hatte die Architektur der Häuser und die Gliederung der Siedlung farbig unterstrichen. Die Eintönigkeit vieler Gebäude lockerte er mit kräftigen Tönen aus mineralischer Keimfarbe auf. Das Tiefenspiel von Simsen oder Loggien wurde so ersetzt oder verstärkt, der stete Wechsel von „kalten“ und „warmen“ Farbgruppen unterstützte die Orientierung in der Siedlung. Bei der Sanierung wurde dieses Konzept aktualisiert: Die kräftigen Töne hat Schil ling durch mildere ersetzt. Die Bauten seien jetzt ja hinter den Bäumen und Büschen zurückgetreten, sodass die kräftigen Töne nicht mehr nötig wären, so Schilling.

Die aufs Minimum optimierten Nachkriegsgrundrisse, die den Bewohnern schon zehn Jahre nach der Fertigstellung nicht mehr genügten, sind hingegen viel schwieriger zu verändern. Es fehlen immer noch größere Wohnungen für die Jüngeren und Fahrstühle für die Älteren, die kleinen Waschsalon-Pavillons sind hingegen obsolet. Letztere werden von der GEWOBA als kulturelle Veranstaltungsräume oder Nachbarschaftstreffs umgenutzt, das erfordert keine großen Eingriffe und verursacht wenig Kosten. Wie aufwändig hingegen Grundrissveränderungen der bestehenden Gebäude sind, hat sich bei einem ersten Pilotprojekt gezeigt. 2006 wurde ein viergeschossiger Zeilenbau an der Kurt-Schumacher-Allee, schräg gegenüber vom Einkaufszentrum, nach „ganz neuen Maßstäben umgebaut“ (GEWOBA- Broschüre). Aus 24 wurden 18 Wohnungen, sechs davon speziell für ältere Mieter in den unteren Etagen, darüber 12 L-förmige Maisonetten für „anspruchsvolle, jüngere Familien“. Das Mehrgenerationenhaus ist das einzige seiner Art im Viertel. Zwar wurde es vom BDA Bremen als „herausragendes und nachahmungswürdiges Beispiel“ ausgezeichnet, es wird jedoch vorerst keine „Nachahmer“ geben. Die GEWOBA sagt, die Umbauten rentieren sich einfach nicht. Noch immer bekommt die GEWOBA über die städtischen Verteilungslisten genügend Mieter für die 3-Zimmer-Wohnungen zugeteilt und mal ehrlich: Welche junge, anspruchsvolle Familie möchte denn an der Kurt-Schumacher-Allee direkt gegenüber dem potthässlichen neuen Einkaufszentrum wohnen?

Spaß macht sie nicht?

Das „erregende Abenteuer“ von 1958 ist Alltag geworden und Schlagzeilen macht die Neue Vahr nur noch zu ihren runden Geburtstagen. Zum Dreißigsten bezeichnete Eberhard Kulenkampff sie wenig schmeichelhaft als „Denkmal edler Einfalt, gut gemeint, aber keine Stadt. Sie ist auf gute Weise nützlich, aber Spaß macht sie nicht.“ Manfred Sack zeigt sich 1993 in der „Zeit“ wesentlich versöhnlicher: „Nun aber [...] begegnet man ihr [der Neuen Vahr] mild wie einer betagten Dame von matter Nettigkeit. Jawohl, sie ist so beliebt wie je. Ein Drittel ihrer Bewohner sind immer noch die ersten.“

Die Vahr, die nicht mehr „Neue“ heißt, ist eine eher stille Sensation. Fährt man heute mit der Straßenbahnlinie 24 aus Bremen hinaus in den „Stadtteil Vahr“, dann fällt einem der Übergang von der Vergangenheit in die Zukunft fast gar nicht mehr auf. Die Gebäude der Vahr sind weit von der Straße zurückgesetzt und insbesondere die Zeilenbauten sind inzwischen beinahe vollständig hinter den dichten Grünanlagen verschwunden, aus denen ab und zu in der Ferne ein Hochhaus ragt. Die Fahrradwege und die Grünanlagen scheinen gut genutzt, die Mieter klagen über den Müll, die Preissteigerungen im Allgemeinen und den verschwundenen Fischbrötchenstand auf dem Wochenmarkt (stattdessen steht dort nun eine Dönerbude). Normale Klagen, nichts Aufregendes, kein Unsicherheitsgefühl, keine bemerkenswerte Kriminalität. Gleichzeitig loben alle das Grün und die gesunde Umgebung. Noch immer wohnen knapp 700 Erstmieter in der Vahr, seit über 50 Jahren also. Vielleicht macht die Vahr keinen Spaß, aber diese Treue relativ vieler Menschen ist, ebenso wie die Abwesenheit negativer Schlagzeilen, sicher als Zeichen einer nicht geringen Zufriedenheit zu verstehen.

Die Vahr profitiert bis heute von der hohen Qualität ihrer Konzeption als Gesamtkunstwerk des organischen Städtebaus – vor allem von ihren Grünzügen, ihren architektonischen Akzenten und wohl auch von dem Pragmatismus, mit dem sie gepflegt wird. Die GEWOBA besitzt noch 8000 Wohnungen, davon stehen leer. Das ist ein sensationeller Wert. Die Vahr ist – trotz all ihrer Schwächen – vielen Menschen zur Heimat geworden. Allzu oft wird das dem modernen Städtebau ja nicht zugetraut.

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