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Planung und Realität I
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Fallstudie 7: Die Cité du Lignon in Genf

13. Juli 2011 - Philipp Schneider
„Eine russische Delegation, die Le Lignon kaum nach dessen Fertigstellung besuchte, war begeistert. Sie sah in einem kleinen kapitalistischen Land wie der Schweiz das Wohnmodell für die große Masse verwirklicht, das die sowjetische Bürokratie schon lange für ihre Städte erträumte.“[1]

Genfer Stadtentwickung

Genf wird ab Mitte der 1950er Jahre mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Die Explosion der Stadtbevölkerung infolge des Wirtschaftsaufschwungs und der beginnenden Tertiarisierung erfordern den massenhaften Bau neuer Wohnungen. Zwischen 1950 und 1960 verzeichnet Genf einen Bevölkerungszuwachs von 16,2 %, die Vorortgemeinden von 51,9 %. Die Ausweitung der Stadt an der Peripherie durch den Bau einzelner Satellitenstädte erfolgte zunächst unkoordiniert. Ab 1962 wird von einer städtischen Kommission ein Entwicklungsplan für den Großraum Genf erarbeitet, der maßgeblich zurückgeht auf die „Groupe de Cinq“, einem Zusammenschluss von Architekten, die alle Mitglieder der Genfer CIAM waren. Die Trennung der Funktionen entsprechend der Charta von Athen bildet die Grundlage des neuen städtebaulichen Modells. Es ist eine großmaßstäbliche Vision der Raumentwicklung entlang der Verkehrsachsen, wobei das Genfer Territorium mit einem Raster überzogen und in mehrere Bezirke aufgeteilt wird. Diese wiederum untergliedern sich in Quartierseinheiten, die von zu Nachbarschaften zusammengefassten Wohnkomplexen mitsamt einer kleineren Gewerbezone gebildet werden. Die Cité du Lignon ist mit 10.000 Einwohnern auf der Ebene zwischen einer Nachbarschafts- und einer Quartierseinheit angesiedelt.

Bauindustrialisierung

Erstmalig in der Schweiz wurde in Lignon das Verfahren der Tunnelschalung für den Hochbau eingesetzt. Es handelt sich um eine Technik, die sich im Tiefbau bewährt hatte. Decken und Wände einer Wohneinheit werden unter Verwendung von Metallschalungen in Form eines umgekehrten U’s gleichzeitig gegossen. Nach dem durch Heizelemente beschleunigten Abbinden wird die Schalung entfernt und für die nächste Einheit wiederverwendet. Der gesamte Rohbau wird so fortlaufend in Ortbeton hergestellt. Die Fassade ist eine leichte Curtain-Wall-Konstruktion, deren vorfabrizierte Paneele mit Hilfe eines Krans und eines hängenden mobilen Gerüsts vor das Stahlbetonskelett gesetzt und befestigt werden.
 

Anmerkung:
[01] Zitat aus Carloni, Tita: „Cum grano salis“ et ce qui s´ensuit, in: Werk, Bauen Wohnen (1989), Nr. 7/8, S. 67

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