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steeldoc 03+04/11
Erdbebensicherheit im Stahlbau
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zur Zeitschrift: Steeldoc
Herausgeber:in: Stahlbau Zentrum Schweiz

Brücke im Fassadenbild

Erhalt der architektonischen Qualität und ununterbrochener Fabrikationsbetrieb während der Sanierungsarbeiten: Die Erdbebenertüchtigung des Produktionsgebäudes K90 in Basel stellte die Planer vor eine grosse Herausforderung. In enger Zusammenarbeit entwickelten Ingenieur, Architekt, Stahlbauer, Behörden und Stadtbildkommission eine überzeugende Lösung.

20. Dezember 2011 - Christa Vogt
Die Erdbebengefährdung in der Schweiz wird für die Regionen Basel und Wallis am höchsten eingestuft, wobei das Gefahrenpotential aufgrund der dichten Bebauung für städtische Gebiete noch grösser ausfällt als für das Umland. Die Stadt Basel ist jedoch nicht nur geologisch ein kritisches Gebiet. Die ansässige chemische und pharmazeutische Industrie stellt ein zusätzliches Gefahrenpotential dar. Vor allem die Brandkatastrophe in Schweizerhalle am 1. November 1986, als 500 Tonnen Chemikalien verbrannten und das Löschwasser, das teilweise in den Rhein gelangte, ein grosses Fischsterben verursachte, hat die Behörden wachgerüttelt und zum Handeln bewogen.

1991 setzte der Kanton Basel-Stadt die Störfallverordnung in Kraft. Diese besagt, dass Firmen, die Anlagen betreiben, die bei ausserordentlichen Ereignissen den Menschen oder seine natürliche Umwelt schwer schädigen können, Schutzmassnahmen zu ergreifen haben. Die betroffenen Bauten müssen Erschütterungen durch ein Erdbeben solange stand halten, bis der laufende Betrieb regulär eingestellt und die Gefahr von abrupten Ausfällen mit schwerwiegenden Folgen verhindert werden kann. Um eine solche Sicherheit gewährleisten zu können, sind nicht nur Neubauten entsprechend auszulegen, sondern auch bestehende Gebäude gemäss den aktuellen Normen zu prüfen und je nachdem zu ertüchtigen.

Das Produktionsgebäude K-90

Von dieser neuen Verordnung waren auch die Bauten auf dem Basler Werksareal Klybeck betroffen, das in der Nähe eines Wohnquartiers liegt und rückseitig an den Rhein grenzt. Das Areal war ursprünglich im Besitz der Ciba Spezialitätenchemie AG, bevor die Farbstoffherstellung 2003 von der Huntsman Advanced Materials (Switzerland) GmbH übernommen wurde. Diese verpflichtete sich mit dem Kauf der Liegenschaften, sämtliche Anlagen innert zehn Jahren bezüglich Erdbebensicherheit zu überprüfen und nachzurüsten, entsprechend den Vereinbarungen, die von den chemisch-pharmazeutischen Grossfirmen Novartis, Roche, Valorec und Ciba Spezialitätenchemie AG mit dem Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt im Jahr 1999 getroffen wurden. Die Kontrolle der Erdbebenstruktur ergab, dass zwei der drei Gebäude auf dem Klybeckareal mit verhältnismässig einfachen Massnahmen – wie etwa zusätzlichen Wandscheiben, der Verstärkung von Wänden und Fundamenten sowie der Verbindung einzelner Gebäudeteile zu einem starren Körper – ertüchtigt werden können. Die grösste dieser Bauten jedoch, das Produktionsgebäude K-90, stellte für die Bauingenieure eine Herausforderung dar.

Das Gebäude K-90 steht prominent an der Klybeckstrasse, direkt neben dem Eingang zum Areal. Auf der anderen Seite wird die Pforte von den Bauten der Feuerwache gefasst. Im Falle eines Erdbebens dürfte das Gebäude auch deshalb auf keinen Fall einstürzen, weil sonst das ungehinderte Ausrücken der Feuerwehr nicht gewährleistet wäre. Der neungeschossige Bau aus den 1950er Jahren ist Zeuge einer qualitätsbewussten Industriearchitektur der damaligen Zeit. Er wurde im Laufe der Jahre um verschiedene Anbauten ergänzt. Dass das Gebäude als Stahlskelettbau aus miteinander verschraubten Stützen und Trägern errichtet wurde, ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, da die filigrane Struktur aus Brandschutzgründen mit Beton ummantelt wurde. In der Fassade ist die Rahmenstruktur mit Mauerwerk und Fensterelementen ausgefacht. Die Fensterelemente bestehen aus vorfabrizierten feinen Betongittern, in die teils Festverglasungen, teils öffenbare Holzflügelfenster eingelassen sind.

Suche nach einem Ertüchtigungskonzept

Die mit Hilfe von Computermodellen durchgeführte Überprüfung der Erdbebensicherheit ergab, dass der Bau die in den Swisscodes-Normen definierten Sicherheitsanforderungen deutlich unterschritt, was die Ingenieure der Abteilung Bauwerkserhalt der Firma Gruner AG nicht überraschte. Einerseits wurden Bauten in den 1950er Jahren nur auf Wind- und nicht auf Erdbebenkräfte bemessen, andererseits sind sowohl die Skelettkonstruktion als auch die gemauerten Wände und Treppenhäuser schlecht auf horizontale Scherkräfte belastbar. Somit waren umfassende zusätzliche Massnahmen zur Aussteifung und Verstärkung des Gebäudes nötig.

Das Ertüchtigungskonzept hatte zu berücksichtigen, dass Eingriffe im Gebäudeinnern, wie etwa das Einbauen von Betonkernen oder -mauern, nur dort möglich waren, wo sie die Produktion nicht tangierten. Der Betrieb musste während der ganzen Sanierung reibungslos weitergeführt werden können. Dementsprechend konzentrierten die Ingenieure ihre Suche nach sinnvollen Lösungen auf die Fassaden, in Zusammenarbeit mit Flubacher-Nyfeler Partner Architekten. Eine erste Variante sah vor, einige Fensterachsen zur Stabilisierung mit Betonwänden zu schliessen.

Gegen diesen Vorschlag erhob das Amt für Wirtschaft und Arbeit der Stadt Basel Einspruch, weil die Betriebsräume damit zu wenig Tageslicht erhalten hätten und die Sicht ins Freie für die Arbeiter versperrt gewesen wäre. Die Möglichkeit, das Gebäude auf eine neue, schwimmende Lagerung über der Fundation anzuheben (Base Isolation) musste aus Kosten- und betrieblichen Gründen verworfen werden.

Auf Zustimmung bei der Bauherrschaft und der Stadtbildkommission stiess schliesslich der Ansatz, die Fassaden mit Stahlverbänden zu verstärken. In der Nord- und Ostfassade konnten die Stahlträger auf der Innenseite angebracht werden, da in diesem Gebäudeteil keine Produktion untergebracht ist. Auf der Süd- und Westseite mussten sie aussen vor die Fassade gestellt werden. Doch auch diese Variante stellte hohe Anforderungen an die Planer. Verschiedene Anbauten und die Anlieferung für LKW im Erdgeschoss schränkten die Möglichkeiten der Auflagerung der Stahlkonstruktion stark ein. So überspannen die Verbände in beiden Fassaden das Erdgeschoss mit einer Brückenkonstruktion, die nur auf jeweils zwei Eckpfeilern auf den Boden aufsetzt. Entsprechend mussten dort eigens hoch belastbare, mit Pfählungen verstärkte Fundamente dicht neben den bestehenden Grundmauern des Gebäudes errichtet werden.

Die unterschiedlichen Geschosshöhen und verschieden hohen Gebäudeteile machten es nicht einfach, eine möglichst gleichmässige Gliederung des Stahlverbandes zu finden, die auf das bestehende Fassadenbild Rücksicht nimmt.

Die Konstruktion

Die ausgeführte Variante nimmt auf die klassisch anmutende Gliederung der bestehenden Fassade Bezug, indem das überhohe Sockelgeschoss überspannt wird, die Stahlverbände in den Regelgeschossen sich je weils über zwei Etagen erstrecken und das Attika frei von Verstärkungen gehalten wird.

Eine besondere technische Herausforderung stellen die Verbindungen zwischen dem Gebäude und dem dicht davor stehenden Stützskelett dar: Einerseits müssen die Verbindungen die unterschiedlichen Ausdehnungen von Stahlverband und Baukörper aufnehmen; andererseits müssen sie bei einem Erdbeben die zuverlässige Übertragung der horizontalen Kräfte sicherstellen können. Für die Konstruktion der Verbände schieden Doppel-T-Träger aus, da deren Verbindungen grossflächige Knotenbleche erfordert hätten und deshalb als eine ästhetisch unbefriedigende Lösung erachtet wurden. Man entschied sich stattdessen für MSH-Träger der Firma Vallourec & Mannesmann, die über Innenflansche elegant miteinander verbunden werden können. Die bis zu zwölf Meter langen Träger mussten bei Gewährleistung der nötigen Steifigkeit 40 x 40 Zentimeter stark dimensioniert werden. Zum Schutz vor Korrosion wurden sie mit einer anthrazitenen Eisenglimmerfarbe gestrichen.

Rechtzeitig zum Jahresende 2010 konnte, wie in dem mit dem Kanton Basel-Stadt im Jahr 1999 unterzeichneten Stufenplan vereinbart, die Erdbebensicherung des Gebäudes K-90 abgeschlossen werden. Die Sanierung konzentrierte sich auf den Schutz vor Schäden durch Erderschütterungen. Eine zusätzliche wärmetechnische Sanierung war bei der gegenwärtigen Nutzung des Gebäudes nicht dringlich. Man hat sich bei der Sanierung pragmatisch auf das Nötigste beschränkt, um das Bauwerk in seiner heutigen Funktion zu stärken. Die umgesetzten Massnahmen lassen aber auch für künftige Nutzungen viel Spielraum offen. Das Ergebnis zeugt von einer engen und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Ingenieur, Architekt, Stahlbauer, Behörden und Stadtbildkommission. Obwohl in einem solch komplexen Prozess alle Beteiligten Zugeständnisse machen müssen, überzeugt das Resultat durch seine kompromisslose Direktheit und pragmatische Einfachheit.

Das bestehende Gebäude wurde nicht aufwändig umgebaut, sondern durch einen intelligenten Lösungsansatz auf rücksichtsvolle Weise ertüchtigt. Die für diesen Bau erarbeitete Lösung zeigt dabei beispielhaft, dass die Erdbebenertüchtigung eines erhaltenswerten Bauwerks auch eine vielschichtige architektonische Aufgabe sein kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

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