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Metamorphose 02/12
Nachhaltig modernisieren
Metamorphose 02/12
zur Zeitschrift: Metamorphose
Fokus: Nachhaltig modernisieren

„Unsere Gebäude verbrauchen die Hälfte der Energie auf der Welt und destabilisieren dabei drastisch das Ökosystem.“
(Sir Richard Rogers, 1995 [1])


Keine Frage: Der Gebäudebestand bietet ein gewaltiges Potenzial, den Energieverbrauch zu senken und Ressourcen zu schonen. Doch verdient die heutige Modernisierungspraxis die Bezeichnung „nachhaltig“?

Als Richard Rogers 1995 im Radioprogramm der BBC Grundzüge einer nachhaltigen Architektur skizzierte, konnte er nicht ahnen, wie schnell sich der Begriff „nachhaltig“ abnutzen würde. Heute wird fast alles als nachhaltig tituliert, was nicht gerade eine ausgesprochene Ökosünde ist, und so spielt der Begriff auch im Bauwesen eine wichtige Rolle. In dieser Ausgabe lotet die Redaktion aus, wie es derzeit um die Nachhaltigkeitsbemühungen bei Umbau und Modernisierung bestellt ist, und spürt sehr unterschiedlichen, ja teils konträren baulichen Herangehensweisen nach.

Beim Umbau des ehemaligen Hamburger Unilever-Gebäudes zum Bürohochhaus „Emporio“ ist es beispielsweise gelungen, den jährlichen CO2-Ausstoß von einst 2.337 auf heute nur noch 916 Tonnen zu senken – sicher ein wertvoller Beitrag zum Klimaschutz (Seite 30–35). Doch dafür wurde – abgesehen vom Betonskelett – nahezu die komplette Bausubstanz ausgetauscht und damit zunächst einmal eine große Menge an grauer Energie verbraucht. Wie lange dauert es nun, bis sich der Umbau energetisch amortisiert, wie steht es um die Ökobilanz? Aussagen dazu hatten wir uns von dritter Stelle erhofft, denn das Gebäude bekommt seine Nachhaltigkeit von der DGNB und von LEED in einem Zertifikat bescheinigt. Doch der Bauherr wünscht nicht, dass Details aus dem Zertifikat veröffentlicht werden. Es ist schon etwas befremdlich, dass der Investor einerseits seine Immobilie lautstark mit den Zertifikaten bewirbt, andererseits aber sehr einsilbig wird, wenn man Genaueres daraus erfahren möchte.

Ähnliches erlebten wir bei der Modernisierung des Frankfurter Büroturms der Dresdner Bank, der jetzt auf den Namen „Silvertower“ hört (Seite 36–41). Auch dessen Bauherr wünscht nicht, dass Details aus dem Zertifikat an die Öffentlichkeit dringen. Irgendwie werden wir den Verdacht nicht los, dass es mit der bescheinigten Nachhaltigkeit nicht allzu weit her ist. Was beim Silvertower allerdings einen nachvollziehbar günstigen Beitrag zur Ökobilanz leisten dürfte, ist die Tatsache, dass weniger Bausubstanz ausgetauscht wurde. Zwar erhielt auch er eine neue Elementfassade mit besserer Dämmung, doch diese trägt eine Bekleidung aus den originalen Aluminiumpaneelen, die schon vor dem Umbau an der Fassade hingen.

Wie weit sich die Wiederverwendung alter Bauteile treiben lässt, zeigt das „HAKA Recycle Office“ in Rotterdam. Das Interieur bilden Holztüren, Dachlatten und viele andere Elemente aus Abrisshäusern der Umgebung (Seite 26–29). Statt Bauschutt auf der Halde zu entsorgen oder energieaufwendig zerkleinern und recyceln zu lassen, wurde hier die Chance ergriffen, ganze Bauteile direkt weiterzunutzen und in neuem Kontext zusammenzufügen. Zudem sind alle Einbauten reversibel, sodass sich ein künftiger Umbau des Gebäudes ohne großen Aufwand bewerkstelligen lässt.

Eine solche Reversibilität gehört bekanntlich zu den Grundforderungen der Denkmalpflege und fördert den dauerhaften Gebrauch eines Gebäudes über Generationen hinweg, da es sich immer wieder umnutzen lässt. Was man sich sonst noch von der Denkmalpflege in Sachen Nachhaltigkeit abschauen kann, wollten wir von der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger wissen. Sie betrachtet das Thema erwartungsgemäß aus einer etwas anderen Perspektive als die Erfinder von Energieeinsparverordnungen und Zertifizierungssystemen und liefert damit wertvolle Impulse für die Debatte (Seite 22–24).

Die Modernisierung von Denkmalen und großen Büroimmobilien gehört sicher nicht zu den alltäglichen Bauaufgaben. Der Umbau eines Reihenhauses bei Darmstadt hingegen zeigt, wie sich der Gebäudebestand in der Breite nachhaltiger gestalten lässt. Mit marktgängigen Systemen und ohne technische Experimente ist es dort gelungen, aus einem ganz normalen Wohngebäude nicht nur ein Null-, sondern sogar ein Plusenergiehaus zu machen (Seite 46–49). Derzeit berechnen seine Planer in einem „Gebäuderohstoffpass“ den gesamten CO2-Wert des Reihenhauses, von der Herstellung der Bauprodukte bis zu deren Recycling. Dieser Umbau macht deutlich, dass es heute technisch kein Problem mehr ist, Gebäude so umzurüsten, dass sie im täglichen Betrieb kaum noch Energie verbrauchen. Die nächste Herausforderung liegt vielmehr darin, auch den Energiebedarf für die Konstruktion in den Griff zu bekommen. Es geht darum, ressourcenschonende Baustoffe zu entwickeln und Planern Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen komplexe Ökobilanzen leichter zu beherrschen sind.

Christian Schönwetter


Anmerkungen:
[1] Rogers, Richard: „Nachhaltige Architektur. Dritte Vorlesung.“ In: arch , 127 (1995), S. 47

Bestandsaufnahme
06-11 | Geschichte inszenieren: Alte Hofbibliothek, Donaueschingen
12-17 | Projekte
18 | Bücher
19 | Termine

20-21 | Nachhaltig modernisieren
22-24 | Vom Denkmalschutz lernen? Positionen zur nachhaltigen Umgestaltung von Altbauten
26-29 | 01 Abfallwirtschaft: HAKA Recycle Office, Rotterdam
30-35 | 02 Modernisierung der Moderne: Emporio-Hochhaus, Hamburg
36-41 | 03 Altes Blech für neue Haut: Silvertower, Frankfurt am Main
42-45 | 04 Neuer Hut und alter Mantel: Bürogebäude in Hamburg
46-49 | 05 Alltagstauglich: Plusenergiehaus in Mühltal

Technik
50-53 | Technik aktuell – Gute Noten, schlechte Noten: Zertifizierung von Bestandsbauten
54-56 | Energetische Sanierung – Planung ist gut, Kontrolle ist besser: Luftdichtheitskonzepte in Theorie und Praxis
58-61 | Historische Baustoffe – Von der Platte zum Falz: Dacheindeckungen aus Ton und Beton

Produkte
62-63 | Schein oder nicht Schein? Öko-Siegel für Bauprodukte
64-65 | Dämmstoffe
66-67 | Sanitär
68-69 | Heizen und kühlen
70-71 | Neuheiten

Rubriken
72-73 | Verkannte Perlen – Schwache Schale, starker Kern: Was wird aus dem Scheveninger Pier?
74 | Vorschau
74 | Impressum
74 | Bildnachweis

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