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anthos 2012/3
Privatgärten
anthos 2012/3
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Der Wiener wollte selbst einen Garten

Im Herbst 2012 feiert der erste von Bürgern für Bürger errichtete Wiener Park sein 150-Jahre-Jubiläum. Der Stadtpark war der erste «Privatgarten» für das (Klein-)Bürgertum in der Residenzstadt Wien.

14. September 2012 - Christian Hlavac
Unter Kaiser Joseph II. (1741–1790) wurden mit dem Prater und dem Augarten zwei kaiserliche Gartenanlagen für die Öffentlichkeit zugänglich. Weniger bekannt ist, dass einige wenige adelige und grossbürgerliche Gärten in Wien und dem Umland bereits ab den 1770er-Jahren geöffnet waren. Die aufgeklärten Besitzer erlaubten «distinguierten und reinlichen» Personen den Zutritt. Der Liechtensteinpark mit dem Palais Liechtenstein gilt noch heute als Beispiel für einen adeligen Garten, der – obwohl im Privatbesitz – unentgeltlich offen stand.

Wenn wir von diesen Fällen absehen, existierten bis in die 1860er-Jahre keine frei zugänglichen Gärten und Parks in der Haupt- und Residenzstadt. Es gab einerseits keinen Platz in der mittelalterlich geprägten Stadt, andererseits lagen die grossen spätbarocken Palaisgärten ausserhalb, am Rande des Glacis. Erst vor 150 Jahren änderte sich diese Situation mit der Errichtung des ersten öffentlichen Stadtparks. Obwohl – unausgesprochen – nur für das städtische Bürgertum geschaffen, stellte er den ersten Privatpark für den «einfachen Mann» (Kleinbürgertum) dar.

Stadtwachstum als Chance

Im Vergleich zu anderen Grossstädten Europas wurde Wien relativ spät entfestigt. Die räumliche Sprengung Mitte des 19. Jahrhunderts war nicht nur der Beginn der städtebaulichen Verbindung der Stadt mit den Vorstädten, sondern ermöglichte auch die Errichtung von grossen öffentlichen Park- und Gartenanlagen am Rande der dichtbebauten Stadt. Obwohl diese Anlagen am ehemaligen Befestigungsgürtel rechtlich-faktisch vom Kaiser initiiert wurden, stehen sie für das grösser werdende Selbstbewusstsein des Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das sich auch in der Gartenanlage ausdrückte. 1857 forderte Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) grundlegende Vorschläge für eine Stadterweiterung auf Basis der Auflassung der Stadtbefestigung. Die zu errichtende Ringstrasse rund um die innere Stadt sollte «eine angemessene Einfassung von Gebäuden abwechselnd mit freien, zu Gartenanlagen bestimmten Plätzen» erhalten. Mit dem Beschluss der Schleifung der Befestigungsanlagen wurden neu zu planende Grünflächen als teilweiser Ersatz für das vor der Stadt liegende, unverbaute und von der Bevölkerung gut besuchte Glacis vorgesehen.

Die erste dieser neuen öffentlichen Grünanlagen war der Stadtpark auf der Fläche des ehemaligen «Wasserglacis». Wien erhielt das rund 94 000 Quadratmeter grosse Areal 1860 unter der Bedingung geschenkt, auf dieser Fläche auf eigene Kosten rasch einen öffentlichen Garten anzulegen, der «zu keiner Zeit seiner Widmung für die Bevölkerung entzogen werden» dürfe.

Der Entwurf

Im August 1861 lagen der Stadterweiterungskommission mehrere Entwürfe von eingeladenen Fachleuten für den Stadtpark vor. Man suchte einen «echten Communalgarten, einen allen Wienern gehörenden, einen wahren Volksgarten», wobei bereits im Vorfeld die Anlage eines Parks nach «englischer Manier» festgelegt worden war. Das Ergebnis der Beratung war, dass eine Planskizze des Landschaftsmalers (!) Joseph Selleny dem Gemeinderat zur Annahme empfohlen wurde. Die Bedenken gegen einzelne Details waren jedoch so gross, dass man die öffentliche Ausstellung der Skizze beschloss, um das «Urtheil des Publicums und der Journale zu hören», wie es in einem anonymen Zeitungsbericht Ende 1861 heisst.

Der Planentwurf von Selleny wurde von den Kommentatoren ebenso gelobt wie kritisiert. So hiess es anonym in der Wiener Zeitung: «Was die Wiener verlangen, ist, dass der freie Raum (…) mit breiten schattigen Alleen oder Laubgängen bepflanzt, mit frischen, sorgfältig zu pflegenden Rasen belegt und mit einem grossen Tummelplatz für Kinder ausgestattet werde. Alles Übrige ist unpassende Spielerei, die in einen Privat-Park gehört, wo der Besitzer seinen Launen freien Lauf lassen kann.» Nach intensiven Debatten akzeptierte der Wiener Gemeinderat den Entwurf Sellenys unter der Bedingung, einige Änderungen vorzunehmen.

Der Leipziger Rudolph Siebeck, der eigens für den Stadtpark provisorisch als «Stadtgärtner» eingestellt wurde, erstellte auf Sellenys Grundlage neue Pläne. Siebeck hielt am grundsätzlichen Entwurf fest, reduzierte jedoch den kleinteiligen, zu dicht mit Bäumen und Sträuchern gefüllten und von Dutzenden Nebenwegen durchschnittenen Landschaftsgarten. Die Bauarbeiten im Stadtpark liefen 1862 an, der Grossteil der Anlage war Ende August der Öffentlichkeit zugänglich.

Die zeitgenössische Kritik

Trotz der heftigen Diskussionen im Vorfeld der Planung wurde die Grünanlage in den folgenden Jahren positiv rezipiert. Einschränkend gilt – wie in jeder Rezeptionsgeschichte –, dass wir von Angehörigen mancher Besucherschichten keine schriftlichen Äusserungen besitzen. So sind wir vor allem auf die Texte in Zeitungen und Aussagen von Bildungsbürgern angewiesen.

Drei Jahre nach Übergabe der Grünanlage meinte beispielsweise Karl Weiss: «Die Anlage ist ein vielbesuchter Ort der Wiener geworden, welche sich aus allen Stadtteilen dahin flüchten, um den Park als erquickenden Erholungsort zu geniessen.» Für ihn war beim Stadtpark «die Idee vorherrschend, der Anlage den freundlichen Charakter eines Ziergartens zu geben». In der Allgemeinen Bauzeitung hiess es 1872: «Immer mehr gestaltet sich durch das Heranwachsen der Bäume und Gesträuche (…) diese wohlthätige grüne Oase in der steinigen Umgebung zu einem gesuchten Erholungsplatze der Bevölkerung.» Wie sich bei diesen und anderen Texten zeigt, wurde der Stadtpark als Erholungsort, als Natursanatorium für die Menschen gesehen, obwohl der Stadtpark auch als Sportfläche genutzt wurde: Im Winter 1867 gab man den Teich als Eislaufplatz frei. Arthur Roessler beschrieb 1909 die fortschreitende gesellschaftliche Durchmischung des Publikums im Stadtpark: «Dieser ist der bevorzugte Garten der Wiener Plutokratie. Auf dem erhöhten Plateau vor dem Kursalon (…) pflegen während der schönen Jahreszeit die Frauen der Bankdirektoren, Grossindustriellen, Verwaltungsräte und erfolgreichen Börseaner mit ihren Kindern die ‹Jause› einzunehmen. (…) Hier ruhen aber auch während der Mittagsstunden die ‹Stellenlosen› ein wenig von den Strapazen aus, die ihnen das stundenlange Stehen und bange Warten auf dem improvisierten ‹Stellenmarkt› in der Schulerstrasse und den umliegenden Gässchen verursachen. Hierher kommen die alten Pensionisten und Rentner von der Landstrasse, die jungen Kunstgewerbeschüler von dem nahen Museum am Stubenring, postenlose Gouvernanten und Hauslehrer.»

Die Weckung der Sehnsucht

In Kontinentaleuropa war in vielen Fällen der zentrale Anlass für die Errichtung von neuen Grünanlagen in Städten die fehlende, weil überflüssige Nutzung und spätere Abtragung der mittelalterlichen Befestigungssysteme. Diese neu gewonnenen Freiräume für die «gesitteten» bürgerlichen Schichten wurden vom Herrscher «verschönert». Die Volksgärten dienten nicht mehr ausschliesslich dem Amüsement, sondern bezweckten auch die Erziehung des Volkes. Der nächste Schritt war ein nach der Revolution von 1848 naheliegender: Das Bürgertum schuf sich auf eigene Kosten seine eigene Parkanlage. Der Wiener Stadtpark sollte diese aufstrebende Gesellschaftsschicht repräsentieren. Er steht am Beginn der Errichtung von Stadtparks und Stadtteilparks durch die Bürgervertreter für die Bürger. Schliesslich ist er ein bedeutender Vorläufer des mittelständischen Privatgartens: Der Stadtpark sowie jene adeligen und kaiserlichen Gärten, die für die breite Öffentlichkeit schon im 18. und 19. Jahrhundert geöffnet wurden, weckten in der Mittelschicht die Sehnsucht nach einem eigenen Garten in der rasch wachsenden Stadt Wien.


Literatur: Berger, Eva; Gälzer, Ralph: Parkpflegekonzept Stadtpark Wien. TU Wien, 1989. Hlavac, Christian: 150 Jahre Wiener Stadtpark. In: Wiener Geschichtsblätter. 66. Jg., Heft 2 / 2012 (in Druck).

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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