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anthos 2015/4
Qualität und Dichte
anthos 2015/4
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Animal-Aided Design

17. November 2015 - Thomas Hauck, Wolfgang W. Weisser
Das zeitgenössische europäische städtebauliche Leitbild der kompakten Stadt der kurzen Wege greift die alte Idee der räumlichen Trennung von Menschen- und Tierwelt forciert auf, indem es den Kontrast eines nach innen verdichteten Stadtraums zu einer freien, möglichst wenig zersiedelten Landschaft wiederbelebt. In Kombination mit den Bestrebungen, Städte energieeffizienter zu machen, führt dies zu einem eklatanten Widerspruch im planerischen Nachhaltigkeitsdiskurs. Denn die Innenverdichtung von Städten und die effizientere, intensivere Nutzung von Flächen in der Stadt als Strategie gegen Flächenverbrauch im Umland, aber auch die energetische Optimierung von Gebäuden aus Klimaschutzgründen – alles Massnahmen, die Städte nachhaltiger machen sollen – führen zu einer Beseitigung vieler Nischen für Tiere im urbanen Raum. Die gestalterische Optimierung des öffentlichen Raums und seiner Freiflächen aus Perspektive des Stadtmarketings sowie die gestiegenen Sicherheitsansprüche an diese Räume (zum Beispiel Gefahr durch alte Bäume) tun ihr Übriges. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die urbane Biodiversität gefährdet ist.

Planungsmethode AAD

Die intensivere Nutzung von urbanen Freiflächen hat die Konsequenz, dass man das Vorkommen von Tieren künftig nicht mehr wie bisher dem Zufall überlassen sollte, sondern steuern und planvoll fördern muss. Der klassische Weg über den Schutz von bestehenden Biotopen reicht dabei längst nicht mehr aus. AAD ist eine Planungsmethode, die es ermöglicht, städtebauliche Anforderungen und die Bedürfnisse von Tieren zusammenzuführen, um Konflikte zwischen Naturschutz und Stadtplanung zu vermeiden und eine neue Qualität des Zusammenlebens von Mensch und Tier zu ermöglichen.
Beispiel Haussperling: Wie können bei einer Fassadendämmung Nistplätze erhalten oder hergestellt werden? Wie lässt sich das Nahrungsangebot sichern? Wie profitiert der Mensch von der Anwesenheit des Spatzen? Der Ansatz von AAD ist, das Vorkommen von Zielarten wie dem Haussperling von Anfang an in die Stadt- und Freiraumplanung zu integrieren. So lassen sich nicht nur wertvolle Nischen für Vögel, Reptilien oder Säugetiere schaffen, auch die Lebensqualität der Städter steigt: Die mit Tierarten gestalteten Freiräume sind Orte, in denen der Stadtbewohner Natur erleben und mit Tieren in Kontakt kommen kann. Das Ziel ist es, am jeweiligen Entwurfsort eine stabile Population der Zielarten aufzubauen, oder, bei Arten, deren Populationen grössere Räume als den Planungsraum bewohnen, einen signifikanten Beitrag zur Populationsstabilisierung zu leisten. AAD hat den Anspruch sicherzustellen, dass bestimmte Arten in einem Freiraum im Sinne eines evidenzbasierten Naturschutzes tatsächlich vorkommen können und gleichzeitig aufgrund des frühen Einbezugs der Methode in Planungsprozesse eine attraktive Gestaltung möglich ist.

Testplanung in München

AAD kann nicht nur im Neubau, sondern auch bei der energetischen Sanierung und städtebaulichen Erneuerung von in die Jahre gekommenen Quartieren angewandt werden. In diesem Bereich liegt auch der Schwerpunkt erster Umsetzungsprojekte. In München, wo kaum noch Flächenpotenziale für Neubau vorhanden sind, stehen heute die Wohnanlagen der 50er- bis 70er-Jahre im Fokus. Für eine erste Testplanung wählten wir eine Siedlung der 1960er, deren energetische Fassadensanierung wir als Chance für die Ansiedlung von Arten nutzten, die normalerweise unter derartigen Massnahmen leiden. Durch geringe Eingriffe lassen sich Nisträume für eine Reihe von Arten schaffen. Als Zielarten wählten wir den Haussperling Passer domesticus, die Zwergfledermaus Pipi­strellus pipistrellus sowie die Zauneidechse Lacerta agilis. Sie alle nutzen Fassaden: die Zwergfledermaus im Dachbereich, der Spatz in mittlerer Höhe und die Zauneidechse am Gebäudesockel.
Der Haussperling ist ein typischer Gebäudebrüter und sehr ortstreu. Durch den Einbau von Nistbausteinen in Gebäudefassaden können leicht Nistmöglichkeiten für eine Kolonie Haussperlinge geschaffen werden. Es ist aber notwendig, in einem Radius von etwa 50 Metern um die Bruthöhlen alle notwendigen Bedürfnisse (Nahrungsangebot, Schutzgehölze, Badestellen, Staubbäder) zu erfüllen, um die Vögel erfolgreich anzusiedeln oder am Standort zu halten. ­Eidechsen bevorzugen sonnige Standorte in südexponierter Lage. Nach Süden ausgerichtete Fassaden können mit Sockelbereichen aus Naturstein, zum Beispiel mit Gabionen und Staudenbeeten mit offenen, sandigen Böden und kleinen solitären Gehölzen, ausgestattet werden, um attraktive Habitate für Zaun-eidechsen zu bieten, die deren Bedürfnisse in allen Lebensphasen erfüllen. Gestalterische Ideen sind für den Schutz der Eidechsen vor Hauskatzen gefragt – das wurde in unserem Testentwurf mithilfe von Drahtgewebe versucht, welches die Katzen fernhält, und mit Totholzskulpturen, die den Eidechsen Schutz bieten sollen. Zurzeit sind weitere Umsetzungs­projekte mit unseren Partnern in München, der ­GEWOFAG1 und dem Landesbund für Vogelschutz LBV im Rahmen der Sanierung von Wohnhausanlagen in Planung. Anhand der gebauten Projekte werden die AAD-Massnahmen auf ihre Wirksamkeit hin überprüft.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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