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anthos 2016/1
Die Profession
anthos 2016/1
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Es geht ums Ganze

Von der Siedlungsentwicklung zur Landschaftsgestaltung.

5. Dezember 2016 - Peter Wullschleger
Siedlungsentwicklung ist in der Tat ein ziemlich fader Begriff, nüchtern, neutral im Geschmack. Er hat etwas beobachtend-Langweiliges. Landschaftsgestaltung ist da schon aus anderem Holz geschnitzt. Tiefgründiger, vielschichtiger. Emotional, aktiv, kreativ. Landschaft lässt keinen kalt, allein schon die Ansprache eines konkreten Perimeters stellt eine Beziehung zu ihr her, erweckt sie zum Leben. Landschaft impliziert Gefühle, Bilder, Sehnsüchte, Vorstellungen und Ideale. Nimmt man der Landschaft all das weg, bleiben nur Hülsen, welche wir bevorzugt «Raum» nennen.

Wahrnehmung, Natur und Handeln

Wahrnehmung ist das Zauberwort, denn es steckt auch in der modernen Definition von Landschaft. «Landschaft», ein Gebiet, wie es vom Menschen wahrgenommen wird. Man könnte auch sagen «ein Raum, wie er vom Menschen wahrgenommen wird». Also könnte man einen wahrgenommenen Raum als Landschaft bezeichnen oder umgekehrt eine nicht wahrgenommene Landschaft als Raum. Wahrnehmung ist aber nur ein erstes Drittel. Ein zweites ist das, was man Natur nennen könnte, also alles, was nicht unmittelbar eine Frucht menschlichen Handelns ist, wie Topografie, Geologie, Boden, Wasser, natürliche Sukzession und Klimaxvegetation, Licht, Wetter und Klima. Das dritte Drittel ist alles, was der Mensch mit seinem Handeln zur Gestalt der Landschaft beiträgt, bewusst oder unbewusst, als Resultat seines Wirtschaftens. Dieses kann, ja muss man als Gestaltung bezeichnen. Denn nicht nur wenn der Mensch ein Auto, ein Haus oder eine Stadt baut, hat das Resultat eine Gestalt, sondern auch, wenn er eine Strasse anlegt, einen See staut oder Kühe auf eine Weide treibt. Bewusst oder unbewusst: Es handelt sich um gestalterische Akte oder zumindest um Handlungen mit gestalterischen Konsequenzen. Wir leben in einer Zeit, in der diese definitorischen Stellschrauben neu justiert werden.

Die Reise «von der Siedlungsentwicklung zur Landschaftsgestaltung» hat begonnen. Zeit für die Landschaftsarchitektur, Selbstbewusstsein zu manifestieren und sich als Reiseleiter aufzudrängen. Dies braucht ein neues Gestaltungsverständnis auf beiden Seiten. Annäherung ist angesagt. Ökologen und So­zialwissenschaftler müssen lernen, dass Gestaltung nicht schlicht das Raum gewordene Resultat gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse ist, sondern ein bewusster Akt im Hinblick auf ein gewünschtes Ziel, basierend auf einer Expertise. Landschaftsarchitekten müssen sich für diese Expertise empfehlen. Am erfolgreichsten werden Sie dabei sein, wenn Sie erkennen, dass Gestaltung mehr ist als ein individuell-künstlerisch-kreativer Akt, appliziert auf die Leinwand genannt Landschaft.

Landschaftsgestaltung als Prozess

Landschaft und deren Gestaltung sind Verhandlungsgegenstände, welche nur in breit abgestützten, interdisziplinären und partizipativen Verfahren angegangen werden können. Und Landschaftsgestaltung ist nicht das Vorlegen eines Projekts, nicht eine einmalige Investition, sondern ein laufender Entwicklungsprozess, der angestossen, begleitet und ausgerichtet werden will. Je früher die Landschaftsarchitektur in diesen Prozessen beteiligt ist, oder wenn sie sogar von Landschaftsarchitekten angeregt oder ausgelöst werden, umso besser. Dies gilt sowohl für den Siedlungsraum wie auch für die offene Landschaft.

Schaffung, Sicherung und Pflege von Freiraum und Landschaft sind kulturelle Akte. Innovative Lösungen finden sich also nicht in den Entwicklungsabteilungen von CAD-Software-Firmen, sondern sie kommen immer aus der Abteilung Integration. Die Überwindung von Sektorengrenzen hin zu einer gesamtheitlichen Sicht ist Voraussetzung für jede landschaftliche Qualitätsdiskussion. Innovative Lösungen sind also immer Lösungen, welche im Verbund angegangen werden, Rezepte hinterfragen, auf qualifizierten Analysen basieren, einen systemischen, gesamtheitlichen Ansatz haben und Bilder und Visionen produzieren, diskutieren und kommunizieren.

Landschaftsarchitektur als Disziplin mit jahrhundertelanger Erfahrung in Sachen urbane Freiräume sollte in der Lage sein, in diesem Diskurs eine tragende Rolle zu spielen, da sie, selbstverständlich zusammen mit anderen, wichtige Beiträge zur Lösung drängender Fragen liefern kann. Die – zugegebenermassen – gegenwärtige Schmalbrüstigkeit der Landschaftsarchitektur in der Schweiz darf nicht dazu führen, dass sie weiter geschwächt und in die Ecke der Bepflanzungsspezialisten getrieben wird. Sie ist aktuell nicht wirklich in den Diskurs involviert. Es gilt, sie auf theoretischer, konzeptioneller und instrumenteller Ebene zu stärken, damit sie diese wichtige Funktion auch umfassend übernehmen kann. Die Landschaftsarchitektur soll als integrative Disziplin mit einer tief verankerten Tradition in der Formung von Natur etabliert werden.

Starke Landschaftsarchitekten werden gebraucht

Es braucht mehr Landschaftsarchitekten in Praxis, Lehre und Forschung. Es braucht mehr Studierende in den Ausbildungsgängen an den Fachhochschulen, und es braucht zur Stimulierung der Forschung und des theoretischen Diskurses Ausbildungsgänge an Universitäten. Es braucht aber auch mehr multidisziplinäre Projekte mit starken Landschaftsarchitekten und dafür braucht es die Wahrnehmung der Landschaftsarchitektur als verlässlichen und starken Partner seitens der benachbarten Disziplinen.

Landschaftsarchitekten alleine verändern nicht die Landschaft, aber sie können einen Beitrag zur Besserung leisten. Sie bringen einen umfassenderen Blick ein, da für sie die Landschaft a priori ein Kon­strukt ist, im Kopf und im Feld, als Entität fass- und somit gestaltbar.

Bleibt das Problem der Wertbeimessung der qualitätvollen, sprich schönen und Bedürfnisse erfüllenden Landschaft. Bleibt das Problem des politischen Willens, gesellschaftliche Tendenzen aufzunehmen und in politische Aktion umzusetzen. Landschaft als gesellschaftliches Thema ist heute «in», aber noch lange nicht relevant.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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