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anthos 2016/4
Masterplan + Freizeit
anthos 2016/4
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Seenlandschaften als Spiegelbilder unserer Gesellschaft

Sogenannte «natürliche» Landschaften sind für die Freizeitgestaltung besonders attraktiv. Doch sobald sie von der Bevölkerung erobert werden, sind sie bedroht. Welchen Wert wollen wir unserer Freizeitgestaltung einräumen oder unserem Wunsch, am See zu wohnen – und was lassen wir der Natur übrig? urbaplans Vorschlag beruht auf einer sensiblen Lesart der Ufer des Neuenburgersees.

24. November 2016 - Élise Riedo
Was ist Landschaft anderes als ein Spiegel unserer Gesellschaft? Die aktuelle Beschäftigung mit Landschaft zeigt grundsätzliche Fragen zu Werten und Herausforderungen auf, mit denen wir konfrontiert sind: Landschaftsplanung, -konservierung, -aufwertung… all diese Ziele sind schwer in Einklang zu bringen, was sie paradoxerweise zu einer stimulierenden Quelle der Kreativität werden lässt. Lösungsvorschläge und Ideen für ein Gleichgewicht zwischen mehreren Sichtweisen, die manchmal als Kompromisse bezeichnet werden, ermöglichen es ebenfalls, «geschlossen» hinter einem verbindenden Projekt zu stehen, und vereinfachen dessen Verinnerlichung und Konkretisierung.

Obwohl sie einem ständigen Wandel unterliegen, sind sogenannte «natürliche» Landschaften eigentlich nicht erneuerbar. Wurden sie erst einmal zerstört, ist ihre Ursprünglichkeit für immer verloren, darin liegt die gesamte Begründung ihrer Schutzwürdigkeit. Doch diese Landschaften üben auf uns Spaziergänger, Badende, Radfahrer auch eine starke ­Anziehungskraft aus. Welchen Wert geben wir divergierenden Nutzungsansprüchen wie Erholung und Wohnen – und was bleibt Natur?

Das «Landschaftsprojekt», Skizze des Richtplans

Das Amt für Raumentwicklung des Kantons Neuenburg muss sich mit dieser sensiblen Frage auseinandersetzen, um den Zielvorgaben der Projektbögen S_31 «Landschaftserhaltung und -aufwertung» sowie S_33 «Schutz und Management der Seeufer» seines kantonalen Richtplans gerecht zu werden. Mit­arbeiter des beauftragten Unternehmens urbaplan schritten die 30 Kilometer zu Fuss ab und schlugen dann vor, mittels einer sensiblen Lesart der Ufer des Neuenburgersees Denkanstösse zu liefern. Diese Entzifferung ermöglichte zugleich das Erkennen regelrechter Lieblingsplätze in dieser Landschaft: ungewöhnliche Orte, besonders bezaubernde Stimmungen, Bereiche, die zu Projekten inspirieren. Eine Erfassung der bestehenden und potenziellen Konflikte zwischen den verschiedenen Nutzern floss ebenfalls in die Überlegungen ein. Weitere Analysen ­(sanfte Mobilität, Zugänglichkeit, Umfang der schutzwürdigen Bereiche…) sowie mehrere auf Kantons­ebene durchgeführte Studien über das Naturerbe und die Pfahlbaustätten vervollständigten diese globale Diagnose.

Alle diese Elemente haben sich nach und nach um ein «Landschaftsprojekt» herum zu einem Ganzen zusammengeschlossen. Diese Skizze eines Richtplans ermöglichte die Verankerung und Feinspatialisierung zahlreicher Vorschläge auf einer für die Beteiligten im Alltag sehr ausdrucksstarken Ebene.

Ja zum Konsens – in jedem Bereich, aber nicht überall

Im Juni 2013 wurden die circa 60 Beteiligten (Gemeinden, Interessensgruppen, Nutzer) anlässlich eines partizipativen Workshops angesprochen, welcher die Diagnose und das Projekt inhaltlich bereicherte, ebenso wie die regelmässigen Sitzungen mit den betroffenen Bundesstellen sowie mit Neuenburg Tourismus. Eine öffentliche Vorvernehmlassung bei elf Gemeinden und Interessengruppen vervollständigte den Ansatz.

Bei jeder dieser Etappen standen sich natürlich die Erwartungen der Umweltschützer und jene der Entwickler gegenüber. Es entstand jedoch ein starker Konsens zum Erhalt der landschaftlichen Vielfalt, ihrer Seltenheit und Attraktivität. Kurzum, man kam überein, dass alles angeboten werden kann, aber nicht überall. So setzte sich allmählich ein Gleichgewicht zwischen folgenden Zielsetzungen durch:
 – bereits massiv anthropogene Bereiche wie Strände und Häfen stärken und aufwerten,
 – das Netzwerk der öffentlichen Freiflächen und der sanften Mobilität optimieren und vervollständigen,
 – die Biodiversität der Mündungen sowie der bekannten Biotope bewahren und aufwerten,
 – die Eingriffe der öffentlichen Körperschaften priorisieren und hierarchisieren.

Den passenden Interventionsgrad finden

Das andere zu findende Gleichgewicht betraf die Suche nach dem passenden Detaillierungsniveau. Ein kantonaler Richtplan zielt nicht darauf ab, alles zu regeln, und muss den passenden Interventionsgrad haben. Den kommunalen Stellen sowie Dritten muss ausreichend Spielraum gelassen werden.

Der Schwerpunkt des Richtplans beruht auf drei allgemeinen Grundsätzen für primäre und sekundäre Umsetzungsmassnahmen, die getrennt erfasst sind. Ein Teil davon ist rechtlich bindend, während der andere detailreicher ist und lediglich Empfehlungscharakter besitzt:
 – Natur, Landschaft und Erbe: Eine der primären Massnahmen schlägt die Einrichtung eines weitläufigen Parks auf der Ebene des Ballungsraums Neuenburg vor, in dem Freizeitgestaltung und wachsende Artenvielfalt vereint auftreten.
 – Urbanisierung und Tourismus: Hierarchisierung prioritärer und sekundärer Entwicklungsbereiche, wobei einige Stätten für ein umfangreiches öffentliches Programm am Seeufer reserviert wurden.
 – Sanfte Mobilität und Schifffahrt: Der Seeweg Neuenburgersee, der dem Ufer fast durchgehend folgt, wird durch touristisch ansprechende Stätten ergänzt, doch in seinen natürlichen Bereichen aus dem Fokus genommen. Aquarius, ein unter anderem auf Gewässerökologie und Fischereibiologie spezialisiertes Büro, brachte seine Expertise bei der Definition der Entwicklungsbereiche der Sportschifffahrt und schützenswerten Zonen ein.

Die zweite Konsultationsphase ist nunmehr beendet. Der Richtplan wird mit dem Ziel, Anfang 2017 vom Staatsrat genehmigt zu werden, abgeschlossen. Die festgelegten Massnahmen werden danach von verschiedenen staatlichen Behörden und den Gemeinden mit ihren lokalen Planungswerkzeugen umgesetzt.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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