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anthos 2016/4
Masterplan + Freizeit
anthos 2016/4
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Erlebnischaraktere an Flussräumen

Flussräume gehören zu unseren wichtigsten Naherholungsgebieten. Unterschiede des Erlebnis­charakters wurden bis anhin nicht näher untersucht. Das Initialprojekt «Vom Rauschen zur Stille» stellt eine auf andere Flussräume übertragbare Methodik vor, die vier Charaktertypen unterscheidet und Ansätze für eine typengerechte Aufwertung entwickelt.

24. November 2016 - Gudrun Hoppe
Der Hochrhein zwischen Stein am Rhein und Rheinau ist ein wertvoller und sehr gut besuchter Nah­erholungsraum von überregionaler bis internationaler Bedeutung. Als ganz besonderer Flussraum mit vielen landschaftlichen und kulturellen Höhepunkten, wie beispielsweise der Stadt Stein am Rhein mit ihrem historischen Altstadtkern, dem Klostergut Paradies oder dem international bedeutenden Rheinfall, ermöglicht er Erlebnisse unterschiedlichster Art und Intensität im und am Wasser. Allerdings weist der Flussabschnitt auch Gebiete mit Beeinträchtigungen bei gleichzeitig hohem Aufwertungspotenzial auf.

1. Abschnittsbildung und Typisierung

In einem ersten Schritt unterteilten wir die Rheinufer im betrachteten Perimeter in typische Abschnitte. ­Gesamthaft identifizierten und untersuchten wir 49 Flussabschnitte, wobei wir das rechte und das linke Ufer unabhängig betrachteten.

Die Abschnitte unterscheiden sich insbesondere in ihrem Erlebnischarakter und den Schwerpunkten der Erholungstätigkeiten der Bevölkerung. Charakteristisch sind – und bereits dieser Analyseschritt ist auf andere Flussläufe übertragbar – vier Typen: Die «Stadtlandschaft am Fluss», die «Parklandschaft am Fluss», die «Kulturlandschaft am Fluss» und die «Naturlandschaft am Fluss». Für die 49 Abschnitte wurde auf einer dreistufigen Skala (hoch, mittel, gering) der Erlebniswert ermittelt. Bestehende Abhängigkeiten formulierten wir in Ausgangshypothesen wie «Je höher die Aufenthaltsqualität am Gewässer, umso höher der Erlebniswert». In die Beurteilung flossen positiv beeinflussende ebenso wie störende Faktoren ein. Positive Faktoren sind beispielsweise Ufer mit Kulissenwert, Aufenthaltsbereiche am Wasser und Bereiche mit hoher Gewässerdynamik.

2. Zielbildentwurf

Zielbilder, sogenannte «Strände», umschreiben die spezifische Erholungsqualität. Der Begriff des Strands steht stellvertretend für Freiraum, Musse und Naherholung mit hohem Wasserbezug. Jeder der vier Strandtypen weist eigene Erlebnismöglichkeiten auf und eignet sich für ganz unterschiedliche Erholungstätigkeiten und Wassererlebnisse.

Im nächsten Schritt schieden wir Vorrang­gebiete für unterschiedliche Erholungstätigkeiten und Schwer­­punkte aus, die sich am jeweiligen Hauptcharakter der Flusslandschaft orientieren. Ihre Identifikation steht in engem Zusammenhang mit der Überprüfung und Weiterentwicklung des Fusswegnetzes. Zur Kommunikation der verschiedenen Charaktere der Wege an die Bevölkerung differenzierten wir erneut in vier Möglichkeiten, welche auf ihre Beschaffenheit und das entsprechende Umfeld hindeuten. Zur grafischen Übersetzung wählten wir eine einfache Symbolik: das jeweils geeignete Schuhwerk. So kann der «Stadtstrand» mit dem Stöckelschuh erkundet werden, der «Parkstrand» mit dem Flipflop, der «Landschaftsstrand» mit dem Turnschuh. Der «Naturstrand» sollte ausserhalb der Wege nicht betreten werden – das zugewiesene Icon ist ein Fernglas.

Die Zielbilder geben Hinweise darauf, wie die unterschiedlichen Typen mit mittlerem oder geringem Erlebniswert spezifisch aufgewertet werden könnten: Die Abschnitte mit hohem Erlebniswert gilt es vor allem zu erhalten. Mögliche Aufwertungen für den Stadtstrand sind die Schaffung von Promenaden mit Bäumen wie auch gestaltete Zugänge zum Wasser. Der Parkstrand sollte vielfältige Wasserzugänge, ­Bademöglichkeiten, gestaltete und naturnahe Ufer­bereiche, Schattenplätze und Liegewiesen aufweisen. Für Stadt- und Parkstrand stellt die Erholungsnutzung eine wichtige Vorrangnutzung gegenüber anderen Nutzungen dar. Der Landschaftsstrand eignet sich für ausgedehnte Spaziergänge entlang renaturierter Flussufer; Zugänge zum Wasser sind wichtige Elemente. Am Naturstrand hat die Natur Vorrang, das Erlebnis und die Naturbeobachtung von Wegen aus sollten jedoch möglich sein.

3. Schwerpunkte und Realisierungs­empfehlungen

Die Aufteilung in die vier grundsätzlichen Typen hilft Schwerpunkte zu setzen. Sie kann gut und allgemein verständlich kommuniziert werden, auch zum Schutz und zur Schonung von empfindlichen, ökologisch wertvollen Gebieten. Abschnitte, die sich als Vorranggebiete für Erholungsräume (Parklandschaft, Parkstrand) eignen, können ermittelt und entsprechend in der Planung festgelegt werden.

Für 40 der 49 Abschnitte konnten wir Aufwertungsempfehlungen formulieren; bereits bestehende Projektideen bezogen wir mit ein. Wir unterschieden fünf Massnahmentypen: Bereinigung von Konflikten, Aufwertungen des Langsamverkehrs, Aufwertungen von Erholungsbereichen, Förderung naturnaher Ufer, Förderung gestalteter Uferzugänge.

Unsere Fliessgewässer sind wichtige und beliebte Naherholungsräume mit wachsender Bedeutung. Aufwertungen zugunsten der Naherholung als angestrebter Nutzung stossen ausserhalb der grossen Städte jedoch häufig auf Hindernisse wie kollidierende Interessen mit dem Naturschutz, der Landwirtschaft oder Investoren mit Über­bauungsabsichten und dem Versprechen «Blick aufs Wasser». In den Agglomerationsräumen wird zunehmend verdichtet gebaut, die Divergenz der ­Bedürfnisse an erreichbare Erholungsräume und deren Verfügbarkeit steigt. Nehmen wir Verdichtung ganzheitlich ernst, ist Naherholung eine wichtige ­Infrastrukturaufgabe, die es inklusive ihrer Finanzierungsmöglichkeiten differenziert zu entwickeln gilt – denn Erholung dient der Gesundheit!

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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