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anthos 2019/03
Gesamtplanung Umgebung
anthos 2019/03
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Wasser als Vehikel in Metropolregionen

Die gewaltigen Anforderungen der grossen Flussgebiete anzugehen, schliesst die Umsetzung konkreter Projekte nicht aus – es bereitet sie vor.

Wir sind seit über 30 Jahren in der Branche tätig und konnten beobachten, wie der Landschaftsarchitekt bei Planungsaufträgen im kleinen, mittleren und grossen Massstab immer häufiger als bevollmächtigter Vertreter eines fachübergreifenden Teams zum Einsatz kommt. Mit der Entstehung von Metropolen und der zunehmenden Sensibilisierung für Umwelt, Ökologie und Klimawandel haben auch die Raumplanungsaufträge zugenommen.

Der grossstädtische Massstab interessiert uns, weil er ein ausgewogenes Gesamtkonzept verlangt, ein Gleichgewicht zwischen Stadt und Natur in riesigen Gebieten, die ihre Identität noch suchen. Fruchtbare Metropolen, insbesondere in Flussnähe, so zu planen, dass sich die Menschen dort auf lange Sicht wohlfühlen, ist unser Leitmotiv. Dabei binden wir den Fluss und die durch ihn erzeugten Gewässernetze als Träger für Identität, Natur und urbanes Denken in unsere Planungen ein.

Da sich grossräumige Vorhaben immer über einen sehr langen Zeitraum erstrecken, erfordert ihre Planung eine intelligente Verbindung aus langfristigen Strategien mit kurzfristig sichtbaren Massnahmen. Der grosse Raum besteht aus kleinen Räumen, die entwickelt werden wollen. Es ist dieses ständige Experimentieren, dieser gleitende Wechsel von einem Massstab in den anderen, der Landschafts­ar­chi­tek­turprojekte so spannend macht.

Massstabübergreifende Logik

Diese massstabübergreifende Logik kam auch beim Urbanisierungsprojekt «Seine Aval – Seine Park» zum Tragen, das Teil des Bauvorhabens Grand Paris ist. Auf einer Uferlänge von 80 Kilometern haben wir das Konzept der «Strände» für die landschaftlichen Räume zwischen Fluss und Städten entwickelt. In diesem Rahmen konnten wir in Carrières-sous-Poissy auf dem Gelände einer ehemaligen Sandgrube im Überschwemmungsgebiet der Seine einen grossen Regionalpark entstehen lassen.

Der Metropole Toulouse haben wir im Rahmen des Richtplans für die Rückeroberung der Garonne in einem ersten Schritt mit dem «Grand Parc Garonne» eine Identität gegeben, die ihr bis dahin fehlte: Der 32 Kilometer lange Stadtpark mit einer Fläche von 3000 Hektaren dient als Pufferzone in einem Bereich, der heute durch den Menschen überformt ist. Der Gemeindeverband Toulouse Métropole hat uns beim geplanten Übergang «von der Planung zur ­Aktion» mit der Projektbetreuung beauftragt. Nach acht Jahren, voll mit Überlegungen, soll jetzt ein Team abschnittsweise einen linearen Park entwickeln. Die Île du Ramier wurde als für die Entwicklung der Metropole strategischer Ort ermittelt und als prioritären Aktionsbereich bestimmt.

Landschaftliche Durchlässigkeit

Städtebauliche Vorhaben in Flussnähe sind die Schnittstellen zwischen Natur und sanfter Mobilität. In Strassburg arbeiten wir an der Entwicklung einer städtebaulichen Strategie für das Gebiet am Rhein. Das Grossprojekt «Deux Rives / Zwei Ufer» steht für die Öffnung der Stadt gen Rhein und Deutschland. Das Stadtentwicklungsgebiet «Deux Rives» ist das wasserseitige Gesicht und der neue Stadteingang der Rheinmetropole. Das Vorhaben ist das Ergebnis eines mehrjährigen und ehrgeizigen Planungsprozesses und baut auf einer langen Tradition gemeinsamer Verkehrsprojekte der Städte Strassburg und Kehl auf. Unser Konzept sieht eine städtebauliche Ausrichtung weg von der Nord-Süd-Achse, hin zum Wasser vor. Das Gebiet des Flusses, in Form einer Reihe von Ufern, Kanälen, Docks und Becken, leistet dabei Unterstützung für die Projektierung diversifizierter öffentlicher Räume mit ganz eigenen Charakteren. Das Flussgebiet übernimmt hier die Rolle urbaner Verbindungsstücke und ist eingebunden in ein Netzwerk aus Grünräumen und Radwegen, die vom Rhein und seinen Aueninseln ausgehen.

Dieses städtebauliche Programm soll die Rahmenbedingungen für ein Miteinander von Stadt und Hafen schaffen. Gezielte Infrastruktur- und Wohnungsbauprogramme sollen das selbstverständliche Nebeneinander von Wohnen, Handel und Gewerbe, Fluss, Hafen und Inseln ermöglichen und eine Art Hybrid-Stadt entstehen lassen, in der sich die «wilden» Räume am Rheinufer mit Stadt und Wohn­vierteln verbinden.

Umkehrbarkeit der Urbanisierung

Das Wasser ist als Träger neuer Mobilitätskonzepte in den Grossstädten ein zentrales Element der Stadtforschung. In Shanghai organisieren wir die Rückeroberung der «Flussufer des Huangpu» auf einer Länge von 22 Kilometern. Wir haben das ehemals industriell genutzte Gebiet zur lebendigen Schnittstelle zwischen dem Fluss und den angrenzenden Stadtvierteln umdefiniert – als einen Bereich, der sanfte Mobilität, Ökologie, öffentlichen Raum, Freizeitaktivitäten und Gewerbe gleichermassen berücksichtigt. Alle Wege für sind unterschiedliche ­Arten der Mobilität geeignet und geben den Blick frei auf die traditionelle Industrielandschaft und die Skyline der sich ständig verändernden Megastadt.

Das ehrgeizige Ziel, bisher kaum gestaltete oder stark durch die Schiffbauindustrie genutzte Ufer für die EinwohnerInnen zurückzuerobern und etwas zu schaffen, womit sie sich identifizieren können, begeistert uns. Dabei reizt uns nicht nur der allgemeine Beitrag der Landschaftsarchitektur zur Planung ­einer Megastadt. Die lokalen Methoden, die zügige Planung und Umsetzung lassen uns auch an die ­Umkehrbarkeit der negativen Ausprägungen von ­Urbanisierung glauben. Der Fluss ist in Shanghai ein Mobilitäts- und Lebensraum geworden, der in China Schule macht.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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