Zeitschrift

Architektur + Wettbewerbe 206
Wohnheime und Herbergen
Architektur + Wettbewerbe 206
Zugegeben: Während meiner gesamten Studienzeit habe ich nie in einem Studentenwohnheim gewohnt. Vielleicht sollte ich besser sagen: Ich musste nie dort wohnen, denn die häufig in die Jahre gekommenen Wohnheime, in denen einige meiner Kommilitonen anfangs untergebracht waren, machten auf mich einen alles andere als erstrebenswerten Eindruck. Nicht etwa, weil ich als frisch gebackener Architekturstudent bereits besonders hohe Ansprüche an die Gestaltung der Heimstätten gehabt hätte. Der permanente Platzmangel, der geringe Individualraum, die aufgezwungene Gemeinschaft mit unzugänglichen Mitbewohnern oder die Tatsache, dass fast jede Nacht irgendwo eine private Zimmerparty den nicht daran Beteiligten den Schlaf raubte, waren auch für sporadische Besucher wie mich unverkennbar. De facto hielt es niemand von meinen Bekannten länger als ein, zwei Semester in einem Wohnheim aus – wer konnte wechselte sobald wie möglich in eine WG oder bezog eine eigene Studentenbude. Dass sich die Situation in den vergangenen Jahren sogar noch verschlechtert hat, offenbart eine aktuelle statistische Erhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW). Unter anderem wurde dabei festgestellt, dass die Zahl der Studenten, die das Wohnheim als Wohnform bevorzugen mittlerweile von 20 auf 11 Prozent gesunken ist und sich derzeit über die Hälfte der Heimbewohner für andere Wohnformen entscheiden würde. Lediglich die meist recht günstige Lage der Wohnheime zur Hochschule und die preisgünstigen Mieten vor allem in Ballungszentren wurden positiv bewertet. Tatsache ist, dass die aktuelle Wohnraumnachfrage der Studierenden nicht mehr mit dem angebotenen Wohnraum übereinstimmt. Die örtlichen Studentenwerke und andere Träger haben diese negative Entwicklung erkannt und versuchen ihr zunehmend mit Umbauten und Sanierungen der bestehenden Wohnheime entgegenzuwirken. Da die Hörerzahl in den nächsten Jahren wieder ansteigen wird – Prognosen gehen von einer Zunahme von derzeit zwei auf 2,5 bis 2,7 Millionen Studenten aus – muss an vielen Hochschulstandorten zusätzliche Wohnfläche geschaffen werden. Das DSW schätzt diesen akuten Bedarf auf insgesamt rund 21.000 Wohnplätze – reichlich Arbeit also für Architekten. Von ihnen sind dabei nicht nur zeitgemäße sondern vor allem auch kostengünstige Konzepte gefragt, da es um die finanziellen Kapazitäten der Bauherren nicht besonders gut gestellt ist.

Nicht viel anders sieht es bei den Jugendherbergen aus. Auch hier haben sich in den letzten Jahren – vor allem aufgrund der wachsenden Konkurrenz von Billighotelketten – die Ansprüche der Gäste und damit auch die Anforderungen an die Häuser verändert. Die Zeiten von großen Schlafsälen, Gruppenwaschräumen, Bettruhe um 22 Uhr und einem Pott Muckefuck am Morgen sind längst vorbei. Die Besucher erwarten heute gut ausgestattete Zimmer mit Dusche und WC, ein Zugangssystem mittels Chipkarte, eine Cafeteria mit Snack-Angebot, Fitnesseinrichtungen, Tagungs- und Seminarräume und vieles mehr. In Deutschland sind fast 600 Häuser im Deutschen Jugendherbergswerk organisiert, die nach und nach durch Renovierungen, Erweiterungen oder Neubauten auf einen einheitlichen Qualitätsstandard gebracht werden sollen. Wo dieser Standard aus Architektensicht liegen könnte, zeigen wir Ihnen in dieser Ausgabe der »AW«. Arne Barth

Zum Thema
Hier wohne ich | Arno Lederer

Beispiele I
Studentenwohnanlage in Hof | Bez + Kock Architekten BDA
Studentenwohnanlage in Zürich | Marc Langenegger
Studentenwohnanlage in München | bogevischs buero, Hofmann Ritzer Architekten
Studentenwohnheim in Garching | Fink + Jocher
Studentenwohnheim in Paris | Atelier Seraji
Studentenwohnheim in Amsterdam | Claus en Kaan Architecten
Schülerwohnheim in Schwäbisch Gmünd | Lederer + Ragnarsdóttir + Oei
»Micro-compact home« und »O2 village« in München | Lydia Haack + John Höpfner Architekten und Horden, Cherry, Lee Architects
Bausystem »Study Case« | Lutz + Roos Architekten

Projekt
Wohnheim für Musikstudenten in Kopenhagen | Dorte Mandrup Arkitekter

Beispiele II
Jugendherberge in Bremen | Raumzeit
Jugendherberge in Possenhofen | Hierl Architekten
Jugendcamp in Passail | Holzbox ZT GmbH
Berghütte »Cristallina« in Bedretto | Baserga & Mozzetti
Jugendherberge in Zermatt | Bauart Architekten
Wohnheim für Geistig Behinderte in Hokkaido | Sou Fujimoto Architects

Wettbewerbe
Mädcheninternat in Bad Gleichenberg
Studentenwohnheime in Frankfurt am Main
Studentenwohnheime in Münster

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Karl Krämer Verlag GmbH & Co. KG

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