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Bauwelt 48.06
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zur Zeitschrift: Bauwelt

Kirchen in der Stadt

21. Dezember 2006 - Gudrun Escher
Drei Dutzend Mitwirkende und Referenten bei fünfzehn Veranstaltungen in sieben Städten in Nordrhein-Westfalen mit Hunderten von Gästen – dies ist die positive Bilanz der zweiwöchigen Programmreihe „Kirchen in der Stadt – erben, erhalten, nutzen“, die der BDA NRW im November veranstaltet hat. Einen Wermutstropfen goss Bischof Genn in Essen auf den Enthusiasmus der dortigen Initiatoren, die in St. Engelbert von Dominikus Böhm „Raumgenuss“ im wahren Wortsinn mit Mittagsimbiss bieten wollten und nicht damit rechneten, dass die Speisung in geweihten Kirchen nicht gestattet ist. Diese Episode ist bezeichnend für die Verständigungsprobleme auf beiden Seiten: bei den Verantwortlichen der kirchlichen Organisationen wie auch bei Planern und in der Öffentlichkeit. In vielen der jetzt beteiligten Städte haben bereits mehrfach Veranstaltungen zum Thema stattgefunden, denn über Kirchenschließungen aus finanziellen und demographischen Gründen wird nun schon seit Jahren heftig diskutiert (Heft 5).

Ob städtebauliche und architektonische Bedeutung von Kirchenbauten, ob Baurecht und Denkmalpflege oder Kirchen als emotionale Orte der Identifikation, es gibt wohl keinen Aspekt, der nicht angesprochen wurde, kein Argument für „weiche“, d.h. kulturell und ethisch akzeptable Umnutzungen, und keines gegen „harte“, die den ursprünglichen Sinn der Kirchenbauten missachten und schädigen, das nicht auf allgemeine Zustimmung gestoßen wäre. In Köln ging Gisberth Hülsmann, ehemals Partner von Emil Steffann und Präsident der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, einen Schritt weiter, indem er der Kirche als Institution das Verfügungsrecht über die Kirchengebäude absprach, denn sie gehörten als Baukultur der Allgemeinheit, Verwaltungsentscheidungen im stillen Kämmerlein seien deshalb nicht akzeptabel. „Allein dieser Maßstab – was bedeuten die Kirchen, die wir gebaut haben, unsere Kirchen, uns, unserer Gemeinschaft – allein diese Frage kann gelten, wenn Kirchen „aus dem Verkehr gezogen“ werden sollen. Mit funktionalem Bedarf und wirtschaftlicher Nutzung zu argumentieren, bedeutet eine unerträgliche kulturverachtende Trivialisierung, Banalisierung jener Werke der Baukunst, die wir Kirchen nennen.“ Und er fragte weiter, wann denn je in ihrer Geschichte Kirchen rentabel gewesen seien. Beim Abschlussgespräch in Düsseldorf äußerte der Landesvorsitzende des BDA Martin Halfmann die Vermutung, dass die marktwirtschaftliche Betrachtungsweise durch die allgemeine Ökonomisierung von Stadt und öffentlichem Raum befördert werde, sie aber auch Zeichen für das Fehlen eines ideellen Konsenses in der Gesellschaft sei.

Ein besonderes Problem stellen die Kirchenbauten der letzten fünfzig Jahre dar, denn fast ausschließlich sie sind betroffen von der Entscheidung, als sogenannte „weitere Kirchen“ nicht mehr liturgisch gebraucht und unterhalten zu werden. Unvermutet sieht sich hier die Architektenschaft selbst angesprochen, denn es sind ihre Positionen, ihre Entwürfe, deren Wertigkeit für die Stadt und die Gesellschaft auf dem Prüfstand steht. Dieser vielfach ungeliebten Moderne müsse Zeit eingeräumt werden zu wirken, so hieß es, aber eine kritische, auch selbstkritische Bewertung bleibe bislang ausgeklammert. Im letzten Vortrag der Reihe beleuchtete Werner Sewing „Architekturen der Identität“ und was die vielfach erhobene Forderung nach Erhalt dieser „Orte der Identität“ für die Bürger eigentlich bedeute, denn Identifizierung sei ein lebenslanger Prozess, dem jeder Einzelne ausgesetzt sei und den er selbst gestalte. Wenn eine Gesellschaft „Identität“ fordere, sei das nichts anderes als Regression – wie in Dresden, wo das Verlangen nach einem „schönen Bild“ den Wiederaufbau der Frauenkirche ermöglichte. Für jede „weitere Kirche“ greife dieser Ansatz aber zu kurz. Der Diskurs über Kirchen sei Teil einer politischen Kultur, der zur Identifizierung gehöre.
Die Landesregierung NRW hat ein Modellprojekt beschlossen, bei dem mit je 20.000 Euro für 14 ausgewählte Kirchengebäude in einem transparenten Verfahren Perspektiven erarbeitet werden sollen. Das politisch und gesellschaftlich relevante Matrial, das in den beiden Programmwochen diskutiert wurde, ist dafür eine gute Basis.

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